7. Juni 2015

Neue Heimat Siebenbürgen: Ehepaar Leutert gestaltet das Musikleben mit

In Europa gibt es kaum eine längere Wegstrecke als von den Lofoten nach Rumänien: Die neue Kantorin der Hermannstädter Stadtpfarrkirche und der neue Musikwart der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) und Leiter des Bachchors Hermannstadt haben im Januar eine ganze Woche dafür aufgewandt, um aus dem Norden Norwegens über Malmö, Dresden und Wien nach Siebenbürgen zu gelangen. Die Norwegerin Brita Falch Leutert und der Schweizer Jürg Leutert sind seit Februar die Amtsnachfolger des Musikerehepaars Ursula und Kurt Philippi im Kirchenmusikleben Hermannstadts. Sie haben sich als Studierende in den Niederlanden kennengelernt und ihr Studium in der Schweiz abgeschlossen, um daraufhin 17 Jahre lang in Nordnorwegen zu leben. Mit beiden sprach in Hermannstadt unsere Korrespondentin Christine Chiriac.
Zunächst eine unmittelbare Frage: Was bringt einen Schweizer und eine Norwegerin nach Siebenbürgen?
Jürg Leutert (JL): Vor allem Zufälle! In der Schweiz hatten wir durch den Orgelbau Kontakt zu Rumänien: 1993 war ich in Siebenbürgen und habe an der Reinigung einer Orgel mitgearbeitet. Wir kennen die Orgelwerkstatt in Honigberg sehr gut. Nachdem wir 1997 nach Norwegen gezogen sind, gab es weniger Austausch, aber 2010 waren wir mit der norwegischen Kindergruppe „KorOrk“ hier, die gemeinsam mit der Kronstädter „Canzonetta“ von Ingeborg Acker konzertiert hat. Als die Stellen in Hermannstadt ausgeschrieben wurden, dachten wir uns, nach fast zwei Jahrzehnten auf den Lofoten tut ein bisschen Veränderung gewiss ganz gut.

Haben Sie den Wechsel als Kulturschock empfunden?
Brita Falch Leutert (BFL): Wir waren beide über längere Zeit in Holland, der Schweiz, Norwegen, wir sind außerdem sehr viel gereist und dadurch sind wir auf Kulturunterschiede gefasst. Nein, es ist kein großer Kulturschock. Siebenbürgen ist eindeutig ein Teil von Europa.
Brita Falch Leutert und Jürg Leutert in der ...
Brita Falch Leutert und Jürg Leutert in der ­Johanniskirche in Hermannstadt. Foto: Christine Chiriac
Welches sind Ihre neuen beruflichen Aufgaben in Hermannstadt?
JL: Wir setzen das fort, was das Ehepaar Philippi aufgebaut hat. Brita arbeitet für die Stadtpfarrgemeinde, ich selbst für die Landeskirche, aber wir haben untereinander ausgemacht, dass wir uns abwechseln, wenn Bedarf besteht. Solange die Arbeit gemacht wird, teilen wir uns die Aufgaben flexibel auf, was sowohl uns, als auch den Ensembles gut tut, denn so wird es nie langweilig. Beispielsweise kann ich die Klavierbegleitung des Bachchors übernehmen, während Brita dirigiert, oder Brita kann einen Kurs für Kantoren geben und ich den Gottesdienst musikalisch begleiten. Allerdings müssen wir noch genauer entdecken, was sich hinter unseren Stellen „versteckt“. Die Arbeit des Musikwarts ist auf den ersten Blick etwas unübersichtlicher als die Kantorenstelle: Wenn mein Arbeitsfeld die ganze Evangelische Kirche A.B. in Rumänien ist, dann habe ich bisher nur einen kleinen Teil persönlich kennengelernt.

Inwiefern ist es schwierig, mit Laien zu arbeiten – oder mit Dorfchören, die lange Zeit keinen Chorleiter mehr hatten?
BFL: Die Arbeit mit Laien ist auf der ganzen Welt gleich – es gibt extrem wenige Kantoren und Kirchenmusiker, die professionelle Chorsänger zur Verfügung haben. Es ist interessant zu schauen, wie sich überall ähnliche soziale und auch musikalische Mechanismen in den Chören abspielen, ganz gleich ob es um Siebenbürger, Schweizer oder Norweger geht. Überall gibt es ähnliche Mentalitäten, ähnliche Verhaltensweisen, Probleme, Erfolge. JL: Die Situation in den Dörfern ist mir noch nicht vertraut genug. Kurt Philippi hat mir aber unter anderem Malmkrog gezeigt, und ich fand es sehr schön dort. Ich weiß aber noch nicht, wie repräsentativ Malmkrog für Siebenbürgen ist. Wenn in einem Dorf nur noch sehr wenige Sachsen leben, kann man nicht von einem Kirchenchor sprechen – aber die Menschen singen gerne und sind motiviert. Das ist das Wichtigste, und daraus muss man versuchen, das Beste zu machen. Menschen, die gerne Musik machen, sind Menschen, die gerne Musik machen, egal ob in Afrika oder auf Grönland.

Welches Repertoire möchten Sie in der kommenden Zeit aufführen? Ändert sich in dieser Hinsicht viel im Vergleich zur Amtszeit Ihrer Vorgänger?
BFL: Die Arbeit, die Kurt und Ursula Philippi drei Jahrzehnte lang geleistet haben, ist hervorragend, wir können also gerne in die gleichen Spuren einsteigen. Wenn man eine Stelle wie diese übernimmt, ergibt sich immer eine Mischung aus Traditionspflege und Neuem, wobei es wichtig ist, das Neue sanft anzugehen, um die Ensembles und die Zuhörer nicht zu überrumpeln. JL: Natürlich ist auch eine Zeit der Angewöhnung notwendig: Jeder Chorleiter hat seine eigene musikalische Sprache, seine Gewohnheiten, seine Unarten. Ich finde, man muss keine prätentiösen Visionen im Voraus entwerfen, denn die Praxis zeigt einem, was man ausbauen muss, wo die Herausforderungen stecken, wo die Pluspunkte. Die Hauptsache ist, dass man aus der Zusammenarbeit heraus die Dinge entwickelt und mit den Ensembles gut kommuniziert, statt seine eigene Sicht durchzudrücken. Was das Repertoire angeht, gibt es in den hiesigen Archiven auch viel Musik, die in den vergangenen 150 Jahren kaum aufgeführt worden ist. Ich freue mich darauf, diese Werke mit dem Chor einzustudieren.
BFL: Außerdem haben wir beide bisher neben der Klassik auch sehr viel ethnische Musik gemacht. Ich verwende ungerne den Begriff „Volksmusik“, weil er leider in der neueren Zeit einen negativen Beigeschmack bekommen hat. Aber ich bin sehr neugierig, die Traditionsmusik der Siebenbürger Sachsen zu entdecken und zu spielen. Im Gottesdienst und in Konzerten ist das hier vielleicht etwas Ungewöhnliches.

War es für Sie anstrengend, sich in Rumänien einzuleben?
BFL: Überhaupt nicht. Natürlich mussten wir erst einmal viel Papierkram und Stempelarbeit erledigen und von Behörde zu Behörde gehen. Das ist aber in anderen Ländern ähnlich verlaufen – obgleich mein Eindruck ist, dass in Rumänien die Stempel einen größeren Stellenwert einnehmen, man liebt hier Stempel. Es war vielleicht in unserem Fall bürokratischer, weil wir keine EU-Bürger sind, aber wir haben versucht, die Dinge mit Humor zu betrachten. Abgesehen davon finde ich die Menschen hierzulande sehr freundlich und fühle mich wohl.

Welcher ist in Siebenbürgen der größte Unterschied zu Ihrem bisherigen Leben?
JL: Früher hatten wir den Berg direkt hinter unserem Haus, wir konnten einfach die Bergschuhe anziehen und wandern gehen. Hier sind die Berge doch etwas weiter weg.
BFL: Ich darf nicht an das Meer denken, sonst werde ich melancholisch. Ich bin drei Meter über dem Meer aufgewachsen, das Meer war immer in meiner Nähe. Das vermisse ich.
JL: Der größte Unterschied ist vielleicht, dass wir früher auf dem Land in einem Dreihundert-Seelen-Dorf gelebt haben. Auch wenn es heißt, Hermannstadt sei eine kleine Stadt, ist sie für uns sehr groß.

Schlagwörter: Musik, EKR

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