26. Mai 2020

Siebenbürgisches Leben anschaulich präsentiert: Interview mit Irmgard Sedler und Markus Lörz

Das Siebenbürgische Museum in Gundelsheim am Neckar steht vor großen Herausforderungen nicht nur durch die Corona-Krise, sondern auch den Auf- und Umbau des Siebenbürgischen Kulturzentrums „Schloss Horneck“. Ein Interview zu diesem Thema führte Siegbert Bruss mit Dr. Irmgard Sedler, die im Dezember 2019 für eine fünfte Amtszeit als Vorsitzende des Trägervereins Siebenbürgisches Museum e.V. gewählt wurde, und mit Dr. Markus Lörz, der das Museum seit 2013 leitet.
Blick in die Dauerausstellung des ...
Blick in die Dauerausstellung des Siebenbürgischen Museums: historischer Wohnraum in sächsischem Bauernhaus. Foto: Markus Lörz
Frau Dr. Sedler, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz. Damit wurde Ihr „ehrenamtlicher Einsatz für das professionelle Fortbestehen des Siebenbürgischen Museums gewürdigt, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dieses Museum zum zentralen Ort der Bewahrung und Erforschung des materiellen Kulturguts der Siebenbürger Sachsen im Kontext ihres pluriethnischen Umfeldes zu machen“. Wie gelingt es, den hohen Anspruch, den Sie an Ihre Arbeit stellen, in Zeiten von Corona gerecht zu werden?

Sedler: Die Museumsarbeit ist ein vielschichtiges Unterfangen, dessen wesentliche Aufgaben erstens im ­Aufbau der Sammlungen und deren fachgerechter Lagerung, zweitens im wissenschaftlichen Aufarbeiten der gesammelten Objekte im Sinne kulturgeschichtlicher Zeugnisse und drittens in der ansprechenden Präsentation dieser Objekte für ein Besucherpublikum bestehen. Nur dieser letzte Aspekt, der die Ausstellungen und die damit verbundenen Werbemöglichkeiten betrifft, wird gewöhnlich von der Öffentlichkeit wahrgenommen. Dementsprechend hatte der bis vor Kurzem durch Corona bedingte physische Ausschluss der Besucher aus den Räumlichkeiten unseres Hauses seine Auswirkungen vor allem auf diesen letzten Bereich unserer Arbeit. Es galt Strategien und Möglichkeiten zu finden, um die Präsentationen ansprechend und konkurrenzfähig in die digitalen Medien, ins Internet zu verlagern.

Das Siebenbürgische Museum war seit Mitte März geschlossen. Wie läuft die Museumsarbeit in Corona-Zeiten konkret weiter?

Lörz: Das Museum ist seit dem 6. Mai unter Auflagen wieder geöffnet. Die derzeitige Sonderausstellung „Schön war die Zeit“ wird aus gegebenem Anlass bis 14. Juni verlängert. Nach derzeitigem Stand kann die folgende Ausstellung „Siebenbürgische Künstlerinnen und Künstler – Lebenswege und Landschaften“, wie geplant, am 5. Juli beginnen; leider jedoch ohne Vernissage. Ebenso können weiterhin auf absehbare Zeit keine Gruppenführungen stattfinden. Als Alternative gibt es hierfür digitale Angebote auf unserer Homepage www.siebenbuergisches-museum.de, der Facebook-Seite und dem Youtube-Kanal des Museums. Die Arbeit des Museums­teams ist während der gesamten Krisenzeit im Hintergrund unvermindert weitergegangen. Neben der Erstellung von digitalen Angeboten und einer intensivierten Sammlungsbetreuung wurden die kommenden Ausstellungen und die Gestaltung der Museumserweiterung weiter geplant und bearbeitet.

Sie befassen sich intensiv mit der Deportation der Siebenbürger Sachsen vor 75 Jahren in die ehemalige Sowjetunion. Wie weit ist die Ausstellung gediehen, die in Gundelsheim und Dinkelsbühl gezeigt werden soll?

Sedler: Die Recherchen für die Ausstellung haben eigentlich schon vor Jahren begonnen. Schon in den 1980er Jahren habe ich Interviews mit Deportationsüberlebenden geführt. Diese Informationen sind wertvoll, da viele der damals Interviewten nicht mehr leben. Parallel dazu habe ich eine kleine Fotosammlung aufgebaut. In den 1990er Jahren kamen dann zahlreiche Archivalien und Objekte ins Siebenbürgische Museum. In der Zusammenarbeit mit dem Verband der Siebenbürger Sachsen konnten in diesem Frühjahr viele Menschen mobilisiert werden, die uns mit Informationen und Gegenständen (Schenkungen oder Leihgaben) bei dem Ausstellungsvorhaben großzügig unterstützen. Das Siebenbürgische Archiv in Gundelsheim hilft uns auch bei den Recherchen. Die aktuelle Jubiläumausstellung bündelt all das zu einer Schau, die das Deportationsereignis für die heutigen Generationen aus dem Schatten der Geschichte herüberbringen möchte, und dem Besucher informativ und emotional Erkenntniswege zu dem damaligen Geschehen anbietet. Dies geschieht über Objekte, hinter denen sich Einzelschicksale verbergen, über Archivalien auch aus rumänischen Archiven, die eine Sprache des intendierten Auseinandertreibens der ethnischen Gruppen im Siebenbürgen der Zeit um 1945 sprechen; über Briefe der Verzweiflung und der Hoffnung aus der Deportation, vor allem aber über Fotografien. Letztere sind weit mehr als nur Bilddokumente der Lagerwirklichkeit, sie bringen meistens in weichgezeichnetem Licht ein Stück Selbstvergewisserung junger Menschen ins Bild, die mehr sein wollen (in Kleidung und Gesten, im Zusammenhalt untereinander) als nur eine Verwaltungsnummer im Lager. Der Drang nach Normalität, nach ein bisschen Schönheit bei aller Lagermisere spricht aus diesen inszenierten Fotos, auch wenn es nur darum geht, sich ein „schöneres“ Plätzchen hinter dem Stacheldraht für den Fotohintergrund auszusuchen. Es ist so viel Material zusammengekommen, dass es für zwei Ausstellungen reicht: eine kulturhistorische im September und eine Kunstausstellung zu Pfingsten 2021, die über Werke aus späterer Zeit eine künstlerische Reflexion der Deportation zeigen wird.

Bei dieser Ausstellung arbeiten Sie mit dem Haus der Geschichte in Dinkelsbühl zusammen. Hat dieser Partner das Potential, die vielseitigen Kooperationserfahrungen des Siebenbürgischen Museums zu bereichern?

Sedler: Für mich war es wichtig, mit dieser Ausstellung im Haus der Geschichte den zu erwartenden Siebenbürger Besuchern nicht bekannte Facetten der Stadt Dinkelsbühl über den Gang ins Museum näherzubringen. Die Heimattagsbesucher nehmen Dinkelsbühl meist nur als Kulisse unserer Veranstaltungen wahr, doch die Stadt hat weit mehr zu bieten. Im Museum ist die vielschichtige Geschichte der Stadt hervorragend aufgearbeitet. Mich selbst hat die qualitätsvolle Kunstsammlung im Hause überrascht, habe ich selbst auch erst jetzt erfahren, dass Dinkelbühl ehedem namhaften Künstlern der Münchner Malerschule als Sommeraufenthalt und Landschaftsinspiration diente. Andrerseits werden über die Deportations-Ausstellung den üblichen Besuchern des Hauses Einblicke in die siebenbürgische Geschichte gewährt und wohl mancher dieser Besucher könnte auch für Gundelsheim und sein Schloss gewonnen werden.
Gert Fabritius (links) übergab dem ...
Gert Fabritius (links) übergab dem Siebenbürgischen Museum am 30. November 2016 Holzschnitt-Einzelblätter, in der Mitte Dr. Irmgard Sedler, Vorsitzende des Museumsvereins, und rechts Markus Lörz, Kurator des Museums. Foto: Werner Sedler
Schloss Horneck wird seit zwei Jahren zum Siebenbürgischen Kulturzentrum aus- und umgebaut. Ergeben sich dadurch neue Räume für Ausstellungen und die Sammelbestände des Siebenbürgischen Museums?

Lörz: Die Erweiterung der Museumsfläche infolge des Umbaus zum Kulturzentrum stellt einen veritablen Meilenstein in der Entwicklung des Siebenbürgischen Museums dar. Die über die Jahrzehnte gewachsene Kunstsammlung erhält in der Beletage des Schlosses nun ihrer Qualität und kulturhistorischen Bedeutung angemessene Präsentationsflächen. Auch die Sammlung an Gold- und Silberschmiedearbeiten, die für die Vermittlung des frühneuzeitlichen Kunsthandwerks Siebenbürgens von großer Bedeutung ist, kann zukünftig in einer eigenen „Schatzkammer“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Durch die Einrichtung eines Werkraums kann außerdem das museums­pädagogische Angebot für Schulklassen und Jugendgruppen entscheidend erweitert werden.

Sedler: Die neue Akzentuierung des Kunstbereichs ist mir seit bald zwei Jahrzehnten auch ein persönliches Anliegen gewesen, das nun in die Realität umgesetzt werden kann. Die neue, räumlich großzügige Präsentation von Kunstwerken aus über drei Jahrhunderten versucht mit dem Pauschalurteil aufzuräumen, die Siebenbürger Sachsen hätten in ihrer Geschichte keine große Kunstaffinität gezeigt und kaum nennenswerte Maler gehabt: Vom Patrizierporträt des 18. Jahrhunderts über die Werke des 19. Jahrhunderts bis zur zeitgenössischen Kunstproduktion wird die Raumflucht der neuen Galerie dem Besucher einen äußerst informativen wie ästhetischen Genussmoment anbieten.

Welches sind Ihre Zukunftspläne?

Sedler: Unter anderem geht es darum, das Museumsprofil weiter zu schärfen, das Sammlungskonzept weiter zu entwickeln und es an die heutigen Gegebenheiten siebenbürgischer Lebensentfaltung anzupassen. Konkret heißt das, materielle Zeugnisse aus dem heutigen Kulturleben, etwa der siebenbürgischen Jugend in Deutschland, der Heimatortsgemeinschaften, des Verbandlebens überhaupt ins Museum zu überführen. Hier sind noch bedeutende Lücken zu füllen. Wir würden uns über Schenkungen freuen – Faltblätter zu Veranstaltungen, Fotografien, Videos, Pins, neu geschaffene Trachten, Objekte, die in Handarbeitskreisen entstanden sind und vieles mehr. Das gilt auch für die sächsische Wirklichkeit in Rumänien nach 1990. Zudem möchte ich mich persönlich auch weiter in die wissenschaftliche Aufarbeitung des vorhandenen Sammlungsbestandes einbringen. Hier hat sich durch die akribische Inventarisationsarbeit von Frau Julia Koch in den letzten Jahren viel getan. Die ehedem recht vernachlässigte digitale Inventarisation nimmt Gestalt an.

Lörz: Ein wichtiges Ziel ist es, durch wissenschaftlich fundierte, aber auch zeitgemäß vermittelte Ausstellungen die siebenbürgische Kulturgeschichte einem immer größeren Publikum näher zu bringen. Durch Kooperationen mit Partnermuseen im In- und Ausland soll das Haus fest in der europäischen Museumslandschaft als Landesmuseum für Siebenbürgen verankert werden. Derzeit laufen bereits Planungen zu einer Jubiläumsausstellung anlässlich des 300. Geburtstags Baron Samuel von Brukenthals in Zusammenarbeit mit dem Brukenthalmuseum Hermannstadt, die in der zweiten Jahreshälfte 2021 beginnen soll und von ihm gesammelte Kunstwerke in Gundelsheim präsentieren wird.

Was wird die Besucher im Siebenbürgischen Museum nach der Corona-Krise und nach Abschluss der Umbauarbeiten konkret erwarten?

Lörz: Schon das neue Foyer mit der großen Glasfront wird zum Besuch des Museums einladen. Weiterhin wird die Ausstellungsfläche des Museums sich nahezu verdoppeln, was die Präsentation vieler neuer Objekte ermöglicht. Schon jetzt kann das neu gestaltete Schaudepot für die Glassammlung besucht werden. Neben der neuen Gemäldegalerie und der bereits angesprochenen Schatzkammer wird auch ein neues Grafikkabinett eingerichtet werden, in dem die mehrere tausend Blätter zählende Sammlung an Zeichnungen und Druckgrafiken ihren Platz finden wird. Dabei lässt es das neue Raumkonzept mit Depoträumen und Ausstellungsflächen auf einer Ebene zu, in der Dauerausstellung öfter Exponate zu wechseln und so den Besuchern in kürzeren Intervallen, als dies bislang möglich war, neue Objekte aus der reichhaltigen Sammlung vorstellen zu können. Nach der Einrichtung der neuen Räume wird auch die jetzige Dauerausstellung aus dem Jahr 1996 erneuert werden. Hier wird ein Raum zur Wirtschaftsgeschichte Siebenbürgens hinzukommen.

Sedler: Eine konkrete Aufgabe sehe ich in der inhaltlichen wie gestalterischen Neupräsentation des Bereiches Kleidung und Identität (Trachtenraum) und im neuen Präsentationskonzept der Kunstgalerie. Zudem bleibt die gezielte fachlich unternommene Ergänzung der Sammlung eine Daueraufgabe, von der die Besucher durch neue Ausstellungen und zeitgemäße Fragestellungen an die Objekte profitieren.

Lörz: Mit der Verdoppelung der Ausstellungsfläche und der zeitgemäßen Neubearbeitung der Schauräume untermauert die Präsentation zukünftig den Status des Museums als Landesmuseum für Siebenbürgen in der Bundesrepublik Deutschland.

Besten Dank für das Interview und viel Erfolg in allen Ihren Vorhaben!

Schlagwörter: Kultur, Siebenbürgisches Museum, Gundelsheim, Schloss Horneck, Irmgard Sedler, Lörz

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