8. Juli 2023

Zuhause in der Mundart: Zum Ableben der Mundartforscherin Malwine Dengel

Ich gestehe: Wenn ich an Malwine-Maria Dengel denke, so sehe ich sie in einem erinnerten, zeitlosen Raum verklärter Kindheit in Alzen im Harbachtal mit uns Nachbarkindern lachen und spielen, Streiche aushecken im Schatten der alten Kastanien, die den Dorfbach säumten. Dieses Bild und das Gefühl bedingungsloser Vertrautheit waren immer da auch in späteren Jahren, wenn man sich in Hermannstadt bei der Wörterbuchstelle der Akademie der Wissenschaften traf, in dem nüchternen Büro einer architektonischen Hülle, die den geistigen Raum sächsischer Mundartforschung barg.
Malwine Dengel. Foto: Mircea Ardeleanu ...
Malwine Dengel. Foto: Mircea Ardeleanu
Dieses Bild überlagerte in späteren Jahren jenes der erwachsenen, sehr ernsten Malwine und schaffte doch immer wieder den emotionalen Zugang zu dem inzwischen sehr zurückgenommenen Wesen der Mundartforscherin Malwine Dengel, der das Leben und die Verantwortung für ihre wichtige Aufgabe den Stempel der Verinnerlichung und Vergeistigung aufgedrückt hatte. Sie war eine aus der letzten Generation der urwüchsigen Mundartsprecherinnen und diese zu erforschen, wurde ihr zur Lebensaufgabe. In der stetigen Konzentration auf das Wesentliche in ihrem Handeln und in ihren Aussagen, blieb die Ernsthaftigkeit ihres Gesichtsausdrucks stets hinterfangen und dadurch gemildert von einem feinen, gütigen Lächeln. Daran erkannte ich dann „meine frühere Winnie“ und alles wurde wieder vertraut und endete oft in inhaltsreichen, für beide gewinnbringenden Gesprächen und schönen Erinnerungen.

Malwine wurde am 6. Juni 1952 geboren und wuchs als das älteste Kind von Maria und Engelbert Dengel, aus einem der ältesten Alzner Geschlechter abstammend, auf dem geräumigen Anwesen auf, wie es heute noch in der Grabengasse steht, und von wo wir sie auf ihren letzten Gang begleiten durften.

Nach der Grundschule trennten sich unsere Wege, Malwine ging 1963 nach Agnetheln, schloss hier nach der Oberstufe auch die Lyzeumsjahre mit dem Abitur ab, bevor sie an der Alexandru-Ioan Cuza-Universität in Jassy zwischen 1971 und 1975 Germanistik und Anglistik studierte. Ich blieb über die Grundschulzeit in Alzen und vollendete meine Schulbildung dann in Hermannstadt. Doch aus den Augen verloren haben wir zwei uns nie.

Malwines glänzender Hochschulabschluss befähigte sie zu einer universitären Karriere, doch schloss die junge Sächsin diese zugunsten einer Lehrerlaufbahn im siebenbürgischen Bistritz aus, wo sie mit Leib und Seele als allerseits geschätzte Deutschlehrerin und Pädagogin fünfzehn Jahre lang so manchen der ihr anvertrauten Jugendlichen bis zu dessen akademischer Laufbahn vorbereitete und begleitete.

Hier in Bistritz fand sie mit Mircea Ardeleanu, den sie schon aus ihrer Studentenzeit in Jassy kannte, ihren Ehemann. Sie heirateten 1978. In Mircea hatte Malwine den ebenbürtigen geistigen und menschlich wahlverwandten Lebenspartner, der als exzellenter Kenner der französischen Literatur und später als Professor an der Hermannstädter „Lucian Blaga Universität“ tätig, sie bei ihrer Forschung unterstützte.

Von 1990 bis 2015 war Malwine wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lexikologin bei der Forschungsabteilung des Sächsischen Wörterbuchs an der Rumänischen Akademie der Wissenschaften, deren Leitung in den Händen von Dr. Sigrid Haldenwang lag und bis heute liegt. Malwine hatte sich ganz ihrer Arbeit im Sinne des berühmten Ausspruchs von Goethe „Die Mundart ist das Element, aus dem die Seele ihren Atem schöpft“ voll verschrieben. Die von ihr als Lexeme und Lemmata aufgearbeiteten Wörter tragen den Stempel gründlicher Recherche und sind ein wertvoller Beitrag zum schriftlichen Festhalten unserer in ihrer Lebendigkeit so sehr gefährdeten siebenbürgisch-sächsischen Mundart. Ich denke hier etwa zurück an die gemeinsamen mitternächtlichen Telefongespräche rund um die Laut- und Bedeutungsvarianten von „rutschen“, „rätschen“ (Erdrutsch), „ratschen“, wo es der Lexikologin darum ging, die Urwüchsigkeit und Sprachmusik des sächsischen Idioms in seinem ganzen lautlichen Reichtum und den Dialektakkorden einzufangen und wissenschaftlich zu fixieren. Malwine Dengels wissenschaftliches Vermächtnis ist die Mitarbeit an den Bänden 7 bis 11 (die Buchstaben L, M, N, P, Qu, R, S bis Schnapp) des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs. Bei Band 10 (S – Sche) zeichnete sie zusammen mit Dr. Haldenwang als Herausgeberin. Diese Bände sind in der Zusammenarbeit des Rumänischen Akademie-Verlags Bukarest und des Böhlau Verlags Köln, Weimar, Wien zwischen 1998 und 2020 erschienen.

Mit Malwine Dengel ist am 19. Mai 2023 nicht nur eine wissenschaftliche Persönlichkeit und ein wertvoller Mensch, sondern für mich auch eine Freundin gegangen, die ihre schwere Krankheit in den letzten Jahren in Zurückgezogenheit und Würde getragen hat. Geschichtete Zeit, in der Erinnerung lebendig und der Trost des Glaubens uns aber bleiben: „Ich habe Dich geführet / durch Raum und Zeit hinaus, / durch nachtumflorte Türen, / ins Vaterland nach haus‘.“

Irmgard Sedler

Schlagwörter: Porträt, Nachruf, Mundart, Forscherin

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