21. Oktober 2008

Gustav Binder im Münchner Erzählcafé

Es war eine Werbung für die Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“/Akademie Mitteleuropa in Bad Kissingen: Die Begegnung mit dem Studienleiter Gustav (Gusti) Binder im Oktober-Erzählcafé des Hauses des Deutschen Ostens in München. „Wie kann es sein, dass ein Siebenbürger Sachse Studienleiter einer sudetendeutschen Bildungsstätte wird?“ hatte HDO-Direktor Dr. Ortfried Kotzian in seiner Moderation gefragt, die er für die kurzfristig erkrankte Dr. Renate von Walter übernehmen musste.
Dr. Kotzian zielte auf die Person und Persönlichkeit Binders ab und versuchte den Lebensweg mit dem Erzählenden in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang zu stellen. Am Beispiel Binders wurde das Schicksal der Siebenbürgen Sachsen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dramatisch vor Augen geführt. 1960 in Kronstadt, das damals Stalinstadt hieß, geboren, verlor Binder früh seinen Vater und wuchs in einer Neubausiedlung als Halbwaise auf. Dort kam er bereits mit rumänischer Sprache und Kultur in Berührung. „Zuhause sprachen wir Sächsisch, auf der Straße Rumänisch und in der Schule lernten wir Deutsch.“ Er hob immer wieder hervor, dass auch im kommunistischen Rumänien seiner Kindheit die Unterrichtssprache der Schule Deutsch war und vor allem die Evangelische Kirche sprach- und identitätserhaltend wirkte.
Dr. Ortfried Kotzian (links) und Gusti Binder im ...
Dr. Ortfried Kotzian (links) und Gusti Binder im HDO-Erzählcafé in München. Foto: Herbert Pietschmann
Ein prägender Abschnitt seines Lebens war die Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland, die er als Zwölfjähriger erleben durfte. Schon kurz nach dem Tode des Vaters hatte die Mutter bei den staatlichen Behörden die Ausreise nach Deutschland unter dem Stichwort „Familienzusammenführung“ beantragt. Nach kurzem Lageraufhalt in Unna-Massen bemühte sich die Familie, möglichst in der Nähe von Verwandten in Gummersbach eine neue Heimat zu finden. Dort hatten sich schon viele Siebenbürger Sachsen niedergelassen. Die Firmen rissen sich um die tüchtigen Arbeitskräfte aus Rumänien. Man schrieb das Jahr 1972. Auch der junge Gustav versuchte nach Abschluss der Schulpflicht zunächst in einem Industrieberuf Fuß zu fassen. Er machte eine Schlosserlehre, das Fachabitur Technik, diente als Soldat bei den Marinefliegern, studiere Sozialwissenschaften, war jedoch mit all diesen Erfahrungen nicht glücklich und entschloss sich schließlich, den Beruf des Buchhändlers zu erlernen.

Seine Beziehungen zur siebenbürgischen Herkunft verloren sich zunächst im Integrationsprozess in der neuen Heimat, bis er sich Kindheits- und Jugenderfahrungen durch Mitarbeit in Ferienakademien und Studentenaktivitäten mit der djo-Deutschen Jugend in Europa und der siebenbürgischen akademischen Jugend zurückholte. Er gründete eine Ferienakademie für Siebenbürgen, führte Reisen und Tagungen durch und sammelte Erfahrungen im Jugendbildungsbereich. Dann wagte er den Schritt in seine Herkunftsheimat Siebenbürgen. In Hermannstadt baute er die Evangelische Akademie mit auf und war dort in der Studienleitung tätig. Er lernte seine rumänische Frau kennen und kehrte schließlich nach Deutschland ins Siebenbürgen-Institut auf Schloss Horneck in Gundelsheim zurück. Nachdem das Patenland Nordrhein-Westfalender die öffentliche Förderung für den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat eingestellt hatte, wurde er arbeitslos. Er bewarb sich um die Stelle des Studienleiters am Heiligenhof/Akademie Mitteleuropa und wurde genommen. Durch den Erwerb eines Hauses in Michelsberg in Siebenbürgen behielt er ein Standbein in seiner Heimat und sicherte damit die zweifache Identität seiner beiden Töchter.

„Ich lebe zwei Leben – eines hier und eines dort“, betont er und weiß diese Leben harmonisch zu verbinden, denn das Motto Martin Bubers, das er über seine Arbeit am Heiligenhof in Bad Kissingen gesetzt hat, „Alles Leben ist Begegnung“, gilt für ihn persönlich in besonderer Weise.

Zum nächsten Erzählcafé im Haus des Deutschen Ostens erwartet Dr. Renate von Walter am Donnerstag, den 13. November 2008, um 15 Uhr in der Gaststätte des HDO „Zum Alten Bezirksamt“ den gebürtigen Egerländer (aus Großsichdichfür bei Marienbad) Staatsminister a. D. Franz Neubauer, ehemaliger Vorsitzender der Bayerischen Landesbank und langjähriger Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft.

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Schlagwörter: Porträt, Kultur, Bad Kissingen, HDO

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Neueste Kommentare

  • 21.10.2008, 08:31 Uhr von Robert: Korrigiert. Danke für den Hinweis. [weiter]
  • 21.10.2008, 08:24 Uhr von Johann: Sitzt der Gusti nicht Rechts oder hat er sich so verändert? [weiter]

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