25. Juli 2010

Gymnasiasten untersuchen Ceaușescu-Bild in den Medien

Die erfolgreiche Gemeinschaftsarbeit von Leverkusener und Mediascher Gymnasiasten dokumentiert das Buch „’Vom Liebling des Westens zum Monster von Bukarest’. Jugendliche aus Rumänien und Deutschland untersuchen den Wandel des Ceaușescu-Bildes im Spiegelbild der Medien und in der Erinnerung von Zeitzeugen“, herausgegeben vom Freiherr-vom-Stein-Gymnasium, Leverkusen, 2010, 247 Seiten (Großformat), 18 Euro. Das Projekt wurde von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gefördert (siehe Bericht in der Siebenbürgischen Zeitung Online vom 22. Dezember 2009).
Das Projekt fand am 31. Mai seinen krönenden Abschluss, als in der Aula des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Leverkusen das mit dem Stephan-Ludwig-Roth-Gymnasium Mediasch in Gemeinschaft erarbeitete Endergebnis vorgestellt wurde: Es sind dies das Buch und der gemeinsam realisierte Dokumentarfilm über den Wandel des Ceaușescu-Bildes, beides zusätzlich unterstützt mit 5000 Euro von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, die auch das Gesamtprojekt finanziert hatte.

Die Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Geschichte von Oberstudienrat Hans-Gerhard Pauer, einem Siebenbürger Sachsen, konnten hier ihre Ergebnisse als wissenschaftliche Facharbeit im Abitur einbringen. Aufgrund der Archivarbeit – auch vor Ort in Rumänien – entstand eine anschauliche Dokumentation über das Pressewesen in einer Diktatur. Dazu kam noch die Befragung von Zeitzeugen und Filmmaterial aus Tagesschauen. Sogar im Geheimarchiv Ceaușescus wurde man fündig. Kombiniert mit Mitschnitten der Brennpunkte von ARD und ZDF bis Januar 1990 und aus Material des österreichischen ORF entstand der Dokumentarfilm über Ceaușescus Weg vom Hoffnungsträger in seiner liberalen Phase von 1965-1971, bis zu den Juli-Thesen 1971, seiner neostalinistischen Kulturrevolution, zum immer dogmatischeren und neurotischeren, realitätsfernen Diktator.

Es wurde erarbeitet, wie er die Bevölkerung kaum vorstellbar leiden ließ: Hunger, Kälte, Mangel an ärztlicher Versorgung und Medikamenten, Zwangsschwangerschaften bis hin zu fünf Kindern, Scheidungsverunmöglichungen und anderes mehr. Es ging den Autoren darum, vor allem in der Studie „die außenpolitische Sonderrolle Rumäniens in der zweiten Hälfte der 60er Jahre als Voraussetzung des positiven Ceaușescu-Bildes“ in historischen Zusammenhängen (Ostblock) darzulegen. Im kulturellen Bereich hat es in der liberalen Phase eine ideologische Lockerung gegeben. Jimmy Hendrix und die Stones – im Ostblock verpönt – wurden im Radio gesendet. Fast alle Stücke von Eugenio Ionesco, dem rumänischstämmigen französischen Vater des Absurden Theaters, wurden in Rumänien aufgeführt. In der Literatur war eine gewisse Kritik geduldet.

Die Sonderrolle Ceaușescus im politischen Bereich ist von den Gymnasiasten kenntnisreich erarbeitet worden: Die Aufnahme der diplomatischen Beziehung zur Bundesrepublik 1967, die Präsidentschaft der Vollversammlung der Vereinten Nationen (1967), der UNO, durch Ceaușescus Außenminister Corneliu Mănescu, das Nichtabbrechen als einziges Ostblockland der Beziehungen zu Israel nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967, Ceaușescus Weigerung, nach der Niederwalzung des Prager Frühlings am 21. August 1968 nicht einzumarschieren.

Kein Wunder, dass die westlichen Politiker Ceaușescu hofierten. Amerikanische Präsidenten besuchten Rumänien, Richard Nixon und auch Gerald Ford. Ceaușescu selbst besuchte dreimal die USA. Auch die bundesdeutschen Politiker kamen Ceaușescu sehr entgegen, wie übrigens ganz Westeuropa. Außer Willy Brandt lobten Ceaușescu auch Walter Scheel, Gustav Heinemann, Karl Carstens, Helmut Kohl und Richard von Weizsäcker, wie am Ende dieses Buches dokumentiert wird im Kapitel „Dokumente im Anhang“. Drei Reden von Gustav Heinemann (Bundespräsident 1969-1974), Walter Scheel (Außenminister 1969-1974) von Willy Brandt (Bundeskanzler 1969-1974) werden belegt.

In der Projektarbeit bleibt es nicht bei einer einseitigen Schuldzuweisung an den Westen, was die Hofierung Ceaușescus anbelangt, sondern auch Landsleute werden zitiert mit unglaublich Ceaușescu-hörigen literarischen und sonstigen Ergebenheitsadressen: Für die Siebenbürger Sachsen wird Hans Schuller mit seinem Gedicht „Von seinen Gedanken geprägt“ zitiert. Als Parteimitglied war sich Hans Schuller nicht zu schade, Ceaușescu sogar haushoch über die Partei zu stellen, indem er P.C.R. (Partidul Comunist Român – Rumänische Kommunistische Partei) personenkultmäßig umfunktionierte in Partei Ceaușescu Rumänien.

Richard Wagner wird seitens der Banater Schwaben zitiert aus seinen Erinnerungen, in denen er bekennt, dass er die Banater Schwaben wegen des Tragens ihrer Trachten und des Feierns ihres Volksfestes Kerweih (Kirchweih) – sogar von den kommunistischen Kulturfunktionären geduldet – als Nazis schmähte. Eine komplexe, nachdenkenswerte, gesamteuropäische Publikation jenseits einseitiger Schuldzuwei­sun­gen und damit diesseits abstrakter Verallge­meinerungen und auch theoretischer Verharmlosungen.

Ingmar Brantsch

Schlagwörter: Ceausescu, Schule, Forschungsprojekt

Bewerten:

84 Bewertungen: ––

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.