21. November 2006

Nachbarschaften leben in Drabenderhöhe weiter

Die Siebenbürger-Sachsen-Siedlung Drabenderhöhe feiert 2006 ihren 40. Jahrestag. Die Nachbarschaften in Drabenderhöhe sind in vier Jahrzehnten zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen, haben identitätsstiftend gewirkt und Traditionen erfolgreich in unsere Zeit getragen. Die Gemeinschaft hält die Siebenbürger Sachsen von der Wiege bis zum Sarg, wenn auch unter anderen Bedingungen als in der alten Heimat, zusammen.
Als im Jahr 1976, anlässlich der Feier zum zehnjährigen Bestehen der Siedlung, das Buch „Heimat im Wandel der Zeiten“ erschien, wurde im Vorwort darauf hingewiesen, dass die Pflege der Gemeinschaft mit der einheimischen Bevölkerung, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, in kirchlichen, öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie in den vielen Vereinen, ein Ziel der Siebenbürger Sachsen sein solle. Daneben wurde dem Nachbarschaftswesen in der Siedlung eine zentrale Bedeutung zugemessen.

Nachbarschaftstruhe und Nachbarschaftszeichen in Drabenderhöhe.
Nachbarschaftstruhe und Nachbarschaftszeichen in Drabenderhöhe.

In Siebenbürgen spielten die Nachbarschaften als Kernzellen sozialer Einrichtungen neben der Kirche eine bedeutende Rolle. Sie waren Träger des Gemeinschaftswesens und Bewahrer des Brauchtums. Als unsichtbares Gepäck vor mehr als 850 Jahren aus den Ursprungsländern in das Land „jenseits der Wälder“ mitgenommen, überlebte die Einrichtung sich anpassend, wandelnd, erneuernd die Jahrhunderte und ermöglichte den Sachsen das Überleben in ihren Städten und Gemeinden. Wiederum als unsichtbares Fluchtgepäck haben die Nachkommen derer, die einst das Nachbarschaftswesen nach Siebenbürgen brachten, dieses wieder in die „alte, neue Heimat“ zurückgebracht. Ab 1965 kamen siedlungswillige Siebenbürger Sachsen aus allen Teilen der Bundesrepublik und aus Siebenbürgen nach Drabenderhöhe. Die Menschen, die hier Nachbarn wurden, hatten sich meist noch niemals gesehen, waren sich aber nicht fremd. Herkunft und Sprache verbanden sie, so dass rasch Freundschaften geschlossen und Vereine gegründet wurden.

Straßen werden nach siebenbürgischen Landschaften benannt

Die Idee, Nachbarschaften nach siebenbürgischem Vorbild zu bilden, wurde umgesetzt. Eine Siedlung entstand, deren Straßen im ersten Bauabschnitt nach siebenbürgischen Landschaften und später nach siebenbürgischen Städten benannt wurden. Im „Burzenland“ Nr. 36 hatten schon im Dezember 1964 die ersten Siedler, Familie Maria und Kurt Kirscher, ihr Haus bezogen. Die erste Nachbarschaft wurde 1965 ebenfalls im Burzenland gegründet. Weitere Straßen folgten und 1966 wurden sieben Nachbarschaften gegründet. In der Delegiertenversammlung der Kreisgruppe der Landsmannschaft vom 11. März 1967 wurde eine den hiesigen Verhältnissen angepasste Nachbarschaftsordnung beschlossen. Sie hatte das Ziel, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gemeinschaft zu stärken sowie Sitten und Brauchtum zu pflegen. Die Mitglieder der Nachbarschaften sollten sich gegenseitig helfen und damit den Einzelnen zum Teil einer Gemeinschaft machen, die ihm im Notfall zur Seite steht. Sie sollten die Neuankömmlinge die kleinen Unterschiede ihrer Herkunft vergessen lassen und zu einer Tatengemeinschaft innerhalb der Landsmannschaft zusammenfügen.

Durch die Erweiterung der Siedlung in mehreren Bauabschnitten kamen neue Nachbarschaften hinzu. Bei Abschluss der Siedlungstätigkeit gab es 20 Nachbarschaften, zu der auch eine in Wiehl/Bielstein zählte, die später zu einer selbstständigen Kreisgruppe wurde. Zurzeit gibt es in der Siedlung 16 Nachbarschaften, nachdem es in der Kronstädter Gasse von ehemals vieren nur noch eine gibt, da die meisten Bewohner der Mietshäuser kein großes Interesse daran haben, sich diesbezüglich zu engagieren.

Die Nachbarschaften verstehen sich als Untergliederungen der Kreisgruppe Drabenderhöhe. Die Nachbarväter und -mütter leiten mit ihren Stellvertretern die Nachbarschaften und sind Mitglieder des Vorstandes der Kreisgruppe. So wird eine Einheit gewährleistet, die von nur einem Führungsgremium geleitet wird. Mitglied der Nachbarschaft kann jeder Erwachsene über 18 Jahre werden, der sich ihr zugehörig fühlt und bereit ist, die in der Nachbarschaftsordnung vorgesehenen Pflichten zu erfüllen.

Bräuche aus Siebenbürgen werden fortgeführt

Jede Nachbarschaft wählt bei den Richttagen (Sitttagen) den Nachbarvater, die Nachbarmutter und die Stellvertreter und Stellvertreterinnen. Wie sie die nachbarlichen Hilfen und Pflichten ausfüllen, entscheiden die einzelnen Nachbarschaften selbst. Es gibt eine Reihe von Traditionen, die die Nachbarn miteinander verbindet: So werden die neuen Bewohner beim Einzug in ein Haus mit Brot und Salz begrüßt. Wenn ein Kind geboren wird, überbringt die Nachbarmutter mit einer Abordnung des Frauenvereins Glückwunsche und ein kleines Geschenk. Bei grünen, silbernen und goldenen Hochzeiten wird das Hochzeitshaus geschmückt und ebenfalls Geschenke überreicht. An besonderen Geburtstagen ab 70 Jahren und Konfirmationen gratulieren die Nachbarväter und -mütter mit einem kleinen Präsent. Und wenn ein Mitglied stirbt, begeben sich der Nachbarvater und die Nachbarmutter in das Trauerhaus, sprechen den Angehörigen ihre Anteilnahme aus und bieten Hilfe an. Die Nachbarn tragen den Sarg des Verstorbenen zu Grabe, die Frauen der Nachbarschaft backen auf Wunsch Kuchen und richten die Brote für das „Tränenbrot“ her. Ein Gebinde mit blau-rotem Band ist der letzte Gruß.

Brauchtumspflege und traditionelle Veranstaltungen gibt es das ganze Jahr über. Dazu zählen die Sommerfeste, Adventsfeiern, „Richttage“ der einzelnen Nachbarschaften und Feste, bei denen Jung und Alt aus mehreren Nachbarschaften mit einem besonderen Programm gemeinsam feiern. Beim Erntedankfest nehmen reihum zwei Nachbarschaften mit je einem schön geschmückten Erntewagen am Festumzug teil. Auch viele Erntepaare kamen schon aus den Nachbarschaften. Die Frühjahrsaktion „Saubere Landschaft“ ist ebenfalls eine nachbarschaftliche Leistung. Wichtige Nachrichten, Todesfälle, Bekanntmachungen sowie Einladungen werden mit dem „Nachbarzeichen“ (einer kleinen Holztafel, siehe Bild) überbracht, das als Umlauf von Haus zu Haus weitergegeben wird.

Gegenseitige Hilfe ist wichtiger Pfeiler des Zusammenlebens

Die gegenseitige Hilfe ist einer der wichtigsten Pfeiler des Zusammenlebens. Krankenbesuche, Einkäufe, Hilfe beim Hausbau und im Garten, Hilfe bei Umzügen gehören dazu. Diese Hilfe hat sich in der Aufbauphase besonders bewährt, nach dem Motto: „Hilfe empfängt, wer sie benötigt, und Hilfe leistet, wer dazu im Stande ist, ohne Rücksicht darauf, ob er sie selber jemals nötig haben wird.“ Aber nicht nur zu individuellen Hilfeleistungen sind die Mitglieder der Nachbarschaften bereit. Auch bei größeren Vorhaben und Gemeinschaftsleistungen ist ihr Einsatz unerlässlich. So wurde der Anbau für die Heimatstube erst durch die Mitarbeit vieler Fach- und Hilfsarbeiter aus den Nachbarschaften möglich. Auch die Erfolge bei den Wettbewerben „Unser Dorf soll schöner werden“ sind der unermüdlichen Mitarbeit der Nachbarschaften zu verdanken. Bei der Errichtung des „Turms der Erinnerung“ haben die Nachbarschaften durch ihre Spenden kräftig mitgeholfen. Die Nachbarmütter sind besonders häufig gefordert: Sie müssen dafür Sorge tragen, dass die Frauen aus den Nachbarschaften an den zahlreichen Veranstaltungen bei der Bewirtung helfen und den Kuchen dafür spenden.

Die meisten Nachbarschaften haben eine „Nachbarschaftslade“, in der die Satzungen, Protokolle und Berichte über die Ereignisse des Nachbarschaftslebens aufbewahrt werden. Alle Namen der Nachbarväter, Nachbarmütter und deren Stellvertreter der vergangenen vierzig Jahre findet man darin. Es ist erstaunlich und mit Freude zu lesen, wie viele Menschen bereit waren, ein Amt für die Gemeinschaft zu übernehmen. Viele von ihnen sind schon tot, aber allen sei für ihren Einsatz gedankt.

Ihre Nachbarschaften haben auch die Bewohner von Alt-Drabenderhöhe, sie helfen sich gegenseitig und pflegen überlieferte Sitten und Bräuche. Auch hier sind Geburten, Hochzeiten und Tod ein Ereignis, an der die Gemeinschaft Anteil nimmt. Feste werden zusammen gefeiert und Erntewagen für das traditionelle Erntedankfest hergerichtet. Das „Erntefest“ wird in dieser würdigen Art nur noch in ganz wenigen Gemeinden Oberbergs zelebriert. Durch die Teilnahme und Hilfe aller Dorfvereine gerade auch bei diesem Fest zeigt sich, wie gute Zusammenarbeit zur erfolgreichen Präsentation eines ganzen Ortes führen kann.

Anna Janesch

Schlagwörter: Drabenderhöhe, Nachbarschaften, Jubiläum

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