10. Juni 2010

„Hoffnungsschimmer im Alten Land“: Neue Siebenbürgen-DVD von Günter Czernetzky

Nostalgie? Sehnsucht nach alten Zeiten? Suche nach dem sächsischen Siebenbürgen von einst? Nein, keine Spur. Die neue von Günter Czernetzky herausgegebene DVD „Hoffnungsschimmer im Alten Land“ – ihr programmatischer Titel sagt es schon sehr deutlich – konzentriert sich anhand von Beispielen aus dem Alten Land auf den Wandel in Siebenbürgen, auf das Gegenwärtige, das heute Mögliche und Reale.
Ihre ungewohnte Vielfalt bezieht die DVD aus einem geschickten Schachzug: Günter Czernetzky lässt neben den bekannten Kunsthistorikern und Filmemachern Dragoș Tudor und Alex Mihăilescu oder Christl Ungar-Țopescu und Arno Ungar junge Menschen zu Werke gehen, Studenten der Fakultät für Journalistik der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt. Das Duo Tudor/Mihăi­lescu geht außer den Landlern speziell romanischen Denkmälern in Hermannstadt, Heltau, Kerz, Großscheuern, Kleinscheuern, Thalheim und Holzmengen mit viel kunsthistorischem Sachverstand und Detailschärfe nach. Ihre Art, siebenbürgisch-sächsische Kulturgüter hohen Ranges bildmäßig und sprachlich zu präsentieren, setzt keineswegs auf Spannung, bleibt etwas trocken und verlangt vom Zuschauer Sachverstand und ein gewisses persönliches Interesse am romanischen Baustil. Den jungen Filmemachern gelingt es hingegen, in technisch sehr sauberen Aufnahmen lebendige Ausschnitte der besuchte Orten einzufangen. Das Experimentieren, die kreative Umsetzung einer besonderen Idee, der ungewohnte nichtsächsische Blickwinkel, das persönliche Engagement – sie bezaubern im wahrsten Sinne des Wortes. In Burgberg etwa lässt Angela Zaporojan ganz unerwartet ein junges Ehepaar sächsisch ihrem Kind das Wiegenlied „Schlof, Mädele, schlof“ singen. In Freck bereitet die wohl in einem ehemals sächsischen Haus wohnende Cornelia Codrescu unter den Blicken von Maria Minchievici eine sächsische Bauernsuppe zu und lädt dazu freundlich ein („Wir beten immer vor dem Essen“). In Großau zeigt Adriana Glodariu Natur und Agrikultur pur, wobei nach der Ernte das traditionelle Brotbacken und das gemeinsame Essen im Groß-familienkreis (auch mit Gebet) folgen. Narcis Neagu lässt in Hahnenbach eine alte, auch siebenbürgisch-sächsische Welt am Betrachter vorbeiziehen: Mădălina, Brenda, Resi und wie die Kühe im Dorf noch genannt werden, sie ordnen sich am Morgen zur Kuhherde, weiden tagsüber – in der Ferne ist die Kirchenburg sichtbar – , kehren bei Sonnenuntergang heim, werden gemolken … In Hammersdorf, das passt wirklich, da ist der Hammer drin: Eliada Dumitru fügt völlig Unerwartetes zusammen: Glockengeläut und Gottesdienst in der Kirche, Motocross im Scheinwerferlicht, Rockkonzert und Kesselfleisch vor dem Lichtermeerfinale – alle Achtung. Marțiana Rus geht in Michelsberg dem Glockenklang, dem Ruf zum Gottesdienst mit zwei Pfarrerinnen, der Orgelmusik, der Michelsburg nach und lässt dieses siebenbürgisch-sächsische Kleinod ungemein geschickt touristisch erschließen.
Das beispielgebende Heranführen junger rumänischer Könner an das allerorten noch auffindbare Siebenbürgisch-Sächsische, ein großes Verdienst von Günter Czernetzky auch mit diesem Filmprojekt, lässt Hoffnung keimen. Die Hoffnung, dass unsere Nachfolger in Siebenbürgen den Wert siebenbürgisch-sächsischer Zivilisation entdecken, erkennen, fruchtbar machen und damit an deren Bewahrung mitwirken.

Dass die Zahl der Roma auch in siebenbürgisch-sächsischen Dörfern stark zugenommen hat und man sich um diese Menschen im Bereich Bildung in besonderem Maße kümmern muss – und es zum Teil wohl auch tut – zeigt Alexandra Marcu am Beispiel der Ganztagsschule in Neudorf, wo den Jungen und Mädchen Disziplin und Ordnung beigebracht wird. Florin Pîrvu enthüllt anschaulich in Reußen, wie ein Heimatortstreffen mit Glockenklang, Blasmusik (sechs Musikanten!) und Gottesdienst auch heute gelingen kann. „Meine Tante aus Marokko, ja, die kommt!“ singen im deutschen Kindergarten in Schellenberg beherzt seine Jüngsten und Cristina Jurcan präsentiert nach dem Friedhof und den Störchen auch die gut ausgestattete deutsche Schule, in der leider nur noch wenige Deutsche da sind. Corina Marcu wendet sich der ehrwürdigen Vergangenheit in Stolzenburg zu, ermöglicht einen Blick auf die Ruine und die evangelische Kirche und nimmt uns mit in den Gottesdienst, bevor Pfarrer Walter Seidner im Pfarrhaus das Stolzenburger Bekenntnis übersetzt.

In allen Filmteilen ist die musikalische Untermalung – ob klassisch oder volkstümlich – sehr expressiv, einladend, passend. Dass öfters der Glockenklang in diesen Dörfern zu hören ist, überrascht nicht, es betont den angesagten Hoffnungsschimmer genau so wie die vielen jungen Menschen, die in den Filmsequenzen agieren. Im „Bonus 1“ genannten Filmteil „Die Landler“ von Dragoș Tudor und Alex Mihăilescu wird umfassend die Herkunft und das Selbstverständnis von Landlern und ihr nicht ohne Konflikte mit den Siebenbürger Sachsen vonstatten gegangenes Zusammenleben in den drei südsiebenbürgischen Gemeinden Neppendorf, Großau und Großpold minutiös mit Karten, Familienfotos, Trachten, Kirchenszenen dargestellt. Dabei durchkreuzen die authentischen Aussagen von Kurator Samuel Gromer den z.T. monoton wirkenden Autorenkommentar erfrischend. Christl und Arno Ungar bekunden im zweiten Teil von „Bonus 1“ anregend, dass es nach einer Pause zwischen 1993 und 2005 auch derzeit möglich ist, ein vielgestaltiges Kronenfest mit allen traditionellen Teilen (Pflücken von Wiesenblumen, Besorgen von Eichenlaub, Kronenaufbau, Gottesdienst – Dietrich Galter spricht auch von den schmerzlichen Erfahrungen des Zerrissenseins beim Verlassen der Heimat – Blaskapelle, Kronenumzug, Aufstellen des Baums, dessen Bestei­gen durch den „Alktknecht“, „Kronenpredigt“, ausgelassenes Feiern…) und großem Zuspruch in Kerz durchzuführen – und das alles im Zeichen der Kirchenruine.

Im „Bonus 2“ dokumentieren Dragoș Tudor und Alex Mihăilescu umfassend wertvolle (vorwiegend) romanische Architektur im Hermannstädter Bereich.

„Hoffnungsschimmer im Alten Land“ erscheint trotz einiger Abzüge als eine ansprechende, wirkungsvolle Filmproduktion. Ihr dokumentarischer Wert ließe sich mit kleinen Ergänzungen steigern. Wir wissen, Bilder sprechen für sich. Dennoch sollte Günter Czernetzky sich die Mühe antun, in allen notwendigen Fällen mit Untertiteln so zu arbeiten, dass jeder, der nur deutsch oder nur rumänisch versteht, dokumentarisch und sprachlich sauber mitkommt.

Summa summarum: „Hoffnungsschimmer im Alten Land“ ist ein weiterer Hoffnungsimpuls siebenbürgischer Realität.

Die DVD kann bezogen werden zum Preis von 15,00 Euro bei Bettina Schubert, Fritschestraße 77, 10585 Berlin, Telefon: (01 79) 1 17 64 56, oder per E-Mail: RubiconGbR[ät]gmx.de.

Horst Göbbel

Schlagwörter: DVD, Rezension, Siebenbürgen

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