13. Juli 2010

Zur 20. Auflage der Deutschen Literaturtage in Reschitza

Gleich nach dem blutigen Umbruch in Rumänien 1989/90 öffneten sich alle Dämme nach Westen für die Rumäniendeutschen nach fast einem halben Jahrhundert Eingesperrtsein im Ostblock. Ein Großteil der bis dahin verbliebenen 300000 Rumäniendeutschen verließ das Land, so dass heute nur noch 60000 Angehörige dieser Minderheit in Rumänien leben.
Wenn auch ihre Zahl zurückgegangen ist, sind sie nach wie vor präsent und vor allem noch immer von einer beachtlichen sprachlich-kulturellen Bedeutung. Dazu haben wesentlich die inzwi­schen traditionellen „Deutschen Literaturtage Reschitza“ beigetragen. Von ihrem Anfang 1991 bis heute sind sie ein Stützpfeiler der rumänien­deutschen Literatur. Darüber hinaus sind sie auch ein Pfeiler der rumäniendeutschen Kultur allgemein, denn sie gehen weit über das Literarische hinaus und schließen auch Kunstausstellungen, Musikdarbietungen, Tänze und Theater­aufführungen ein. Diese 20-jährige Jubiläums- feier vom 7. bis 9. Mai wurde mit einer Ausstellung der aus Lowrin im Banat stammenden Malerin, Fotografin und Autorin Ilse Hehn eröffnet, die sich eines regen Interesses von Seiten des Publikums und der Presse erfreute.

Bei der Eröffnung der Tagung erwähnte Erwin Josef Țigla einige Stammgäste wie Carmen Elisabeth Puchianu, die schon 16 Mal an den Literaturtagen teilnahm, Joachim Wittstock und An­nemarie Potlypnyi Hehn sogar 18 Mal. Leider fehlte Hans Liebhardt, der auch schon 18 Mal dabei war.

Den Vortragsreigen eröffnete Dr. Carmen Elisabeth Puchianu. Sie berichtete mit viel Humor und Selbstironie von den Erfahrungen ihrer 16-maligen Teilnahme.

Joachim Wittstock aus Hermannstadt hielt den gründlich recherchierten Vortrag „Das Banatbild eines Siebenbürgers“. Es gelang ihm, die Einmaligkeit der Autoren dieser Montanregion den Zuhörern vor Augen zu führen. Wie Georg Hromadka, der nach einigen politischen Konflik­ten als Redaktionssekretär bei der rumäniendeutschen Tageszeitung des Bukarester Magistrats (nicht der Partei) Neuer Weg arbeitete. Hier war er ein sensibler Förderer von Oskar Pastior, dem bekanntesten rumäniendeutschen Dichter nach dem 2. Weltkrieg und ursprünglichen Mitautor von Herta Müllers Nobelpreisroman „Atemschaukel“. Dem 79-jährigen Oskar Pastior nahm 2006 der Tod die Feder aus der Hand, so dass Herta Müller, ohne Schreibpartner zurückgeblieben, den Roman alleine zu Ende führte. Joachim Wittstock würdigte auch den Sammelband von Briefen an und von Alexander Tietz: „Briefe von der Alm“.

Der nächste Tag war der Literatur und Musik gewidmet. Danach wurde dem Verfasser dieses Berichtes die Möglichkeit geboten, gleich drei Bücher vorzustellen: Seine ironische Autobiogra­fie „Ich war kein Dissident“ (2009), seine Aphorismen- und Essaysammlung „Inkorrektes über die Political Correctness“ (2009) und die anthologische Berichtsammlung aus der Praxis: „Unterricht in der JVA, Köln-Ossendorf. Jedem eine zweite Chance“ (2010). Anschließend boten Carmen Elisabeth Puchianu, Kronstadt, Michael Ast­ner, Jassy, und Robert Gabriel Elekes, Kronstadt, Textproben aus ihrem literarischen Schaffen.

Carmen Puchianu, immer für eine Überraschung gut, gab zum Besten, dass ihre Gedichte häufig auf der Rückseite der Konzertprogramme und Kirchenblätter festgehalten werden, da sie sich da besonders angesprochen fühle und sofort niederschreiben müsse, was ihr durch Herz und Hirn gehe. Eines dieser Gedichte über den letzten Siebenbürger Sachsen beschreibt sarkastisch-wehmütig, wie dieser, in einem Schaukasten konserviert, der Nachwelt serviert wird.

Michael Astner, obwohl inzwischen 50, ist eine noch zu entdeckende Überraschung der rumäniendeutschen Literatur. Sein im österreichischen Droschl Verlag vorgesehener Band mit Gedichten auf Hochdeutsch und in siebenbürgisch-sächsischer Mundart fiel leider Sparmaßnahmen zum Opfer. Teile daraus wurden aber in der Grazer Literaturzeitschrift Manuskripte veröffentlicht. Michael Astner, der sich einen Namen als Übersetzer gemacht hat, versteht es, auch aufgrund seiner Lebenserfahrungen in Rumänien, lyrisch kräftig auszuteilen: „Das Leben geht weiter / wenn das Leben auch auf der Strecke bleibt“ oder „Deutsche Baukunst“: „Deutsche bauen ziemlich alles / inklusive Scheiße“.

Nach so vielen lyrischen Wetterschlägen wirk­te Robert Gabriel Elekes’ Dreierbeziehungsanalyse „Er, sie und Hugo“ wie eine Insel stiller, aber gleichzeitig auch unter die Haut gehender Nachdenklichkeit.

Der Samstagnachmittag des 8. Mai wurde ganz den Gästen aus dem Ausland zur Verfügung gestellt. Eine Verbindung über die Donau und die Drau sind die Reschitzaer Deutschen Literaturtage eingegangen mit dem Kulturverein Deutsch­sprachige Frauen „Brücken“ aus Marburg/Maribor an der Drau.

Ivana Hauser thematisiert in der Kurzprosa „Die weiße Negerin“, wie für ein Schulmädchen aus einer ethnischen Außenseiterposition zunächst die Bücher stinken und knarren und dann nach einem verständnisvollen Gespräch aufhören dies zu tun und sogar Geborgenheit vermitteln. Ales Tacer erzählt in „Paulis Geschichte“ nicht zufällig, sondern recht anspielungsreich ebenfalls von dem Schicksal eines Außenseiters im Dorf, der bei den Eltern des Autors Verständnis findet.

Am Abend fand im alten Theater „Mihai Eminescu“ in Orawitza eine Theaterpremiere statt: das von Carmen Elisabeth Puchianu und Robert Gabriel Elekes nach Eugène Ionesco zusammengestellte und mit eigenen Gedichtzitaten ergänzte Stück „Stühle für den neuen Mieter“. Die Bearbeiter spielten als „Duo Bastet“ von der Transsilvania Universität Kronstadt auch die beiden Hauptpersonen. Ihre schauspielerische Leistung, kombiniert mit Tanz- und Turneinlagen, erntete stürmischen Applaus.

Will man eine Bilanz dieser 20. Jubiläumsaus­gabe der Deutschen Kulturtage ziehen, kann man den hier so beliebten und gern zitierten Goethe nochmals zu Worte kommen lassen: „Willst du immer weiter schweifen / Sieh das Gute liegt so nah / Lerne nur das Glück ergreifen / Denn das Glück ist immer da.“

Das Glück, das hier so nahe liegt, ist vor allem auch das glückliche Händchen dieses einmaligen Organisationstalentes Josef Erwin Țigla. Ihm ist auch diesmal Unglaubliches in diesem auf den ersten Blick entlegenen europäischen Gebiet, dem Banater Bergland, gelungen. Auf den zweiten, genaueren Blick, einschließlich dieser Kulturtage, erweist sich diese Gegend jedoch als eine lebendige, vielfältige Kulturregion, ein Beispiel für gesamteuropäisches Denken und Fühlen, das sich im lokalen Handeln völkerverbindend verwirklicht.

Ingmar Brantsch

Schlagwörter: Rumänien und Siebenbürgen, Literatur, Festival, Jubiläum

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