2. Dezember 2010

Ein evangelischer Laienbischof: Zum 200. Geburtstag von Joseph Andreas Zimmermann

Joseph Andreas Zimmermann war eine beliebte Prüfungsfrage beim Examen pro ministerio in Wien – der Prüfer konnte im ehemaligen Sitzungszimmer des Evangelischen Oberkirchenrates die Frage mit einer Geste unterstreichen und die Finger auf sein Portrait richten: Denn dort hing er als erster „evangelischer“ Vorsitzender der Konsistorien (1859) und juristischer Geburtshelfer der neuen Kirchenbehörde (1861), die bis heute den Namen „Evangelischer Oberkirchenrat“ trägt. Er hat bei der Umbenennung Regie geführt und sich dabei wohl an dem preußischen Vorbild in Berlin orientiert.
Vor 200 Jahren, am 2. Dezember 1810, wurde Joseph Andreas Zimmermann als Sohn eines Riemermeisters auf der Burg in Schäßburg geboren. Vor 113 Jahren, am 19. Mai 1897, starb er hochbetagt in seinem Haus Wiesengasse Nr. 29 in Hermannstadt, wo heute eine Gedenktafel an ihn erinnert (siehe Abbildung, die mir freundlicherweise Hermann Fabini zur Verfügung stellte). Diese nennt freilich nur zwei Ämter, die er bekleidete: Professor an der Hermannstädter Rechtsakademie (1844-1850) und Präsident des Evangelischen Oberkirchenrates in Wien (1861/1867-1874).
Joseph Andreas Zimmermann starb hochbetagt am 19. ...
Joseph Andreas Zimmermann starb hochbetagt am 19. Mai 1897 in seinem Haus Wiesengasse Nr. 29 in Hermannstadt, wo heute eine Gedenktafel an ihn erinnert. Foto: Hermann Fabini
Zwischen diesen beiden Funktionen, zwischen 1850 und 1861, liegt eine weitere Tätigkeit in Wien, die auf der Gedenktafel verschwiegen wird, weil sie offensichtlich schon sehr eng mit der Tätigkeit in der obersten Kirchenverwaltungsbehörde zusammenhing, die sich bekanntlich in den staatlichen Behördenorganismus eingliederte. Er war 1850 über Einladung des Ministers Leo Thun-Hohenstein (1811-1888) als Referent für die protestantischen Kirchenangelegenheiten in das Kultusministerium berufen worden, hatte sich jedoch eine Rückkehrmöglichkeit an die Hermannstädter Rechtsakademie offen gehalten, von der er aber nicht Gebrauch nahm. Denn zu wichtig war seine Tätigkeit als Ministerialbeamter in Wien – für die Evangelische Kirche im österreichischen Gesamtstaat ebenso wie insbesondere für die siebenbürgisch-sächsische Kirche, deren Kirchenverfassung von 1861 sein Werk gewesen ist. 1859 wurde ihm zusätzlich die Leitung der beiden evangelischen Konsistorien übertragen, 1861 der Vorsitz im Evangelischen Oberkirchenrat, ehe er nach der Reorganisation desselben zum Präsidenten im Rang eines Sektionschefs aufstieg. Als Kirchenrechtspraktiker war er für die legistische Ausarbeitung des nur kurzlebigen ungarischen Protestantenpatents (1859) und des Protestantenpatents für Cisleithanien, d.h. den österreichischen, von Wien aus geleiteten Teil der Doppelmonarchie (1861), verantwortlich, auch die provisorische Kirchenverfassung (1861) zeigt seine Handschrift.

Zimmermann war zunächst Rechtshistoriker. Seine besondere Bedeutung als Professor an der Rechtsakademie in Hermannstadt lag in der juristischen Selbstvergewisserung der Sachsen im Blick auf ihre Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Es waren aktuelle politische Beweggründe, die ihn dazu veranlasste, seine Hörer zum Studium der Rechtsgeschichte, der Approbaten und Kompilaten, anzuhalten. Für dieses Studium stellte er ein Skriptum zusammen, das von seinem Schüler Friedrich Schuler von Libloy (1827-1900) zu einer dreibändigen „Siebenbürgischen Rechtsgeschichte“ (1855-1868) überarbeitet wurde. Er war aber auch Kirchenrechtler und hatte sich 1844 auf einer Studienreise quer durch Deutschland mit den aktuellen Fragen des evangelischen Kirchenrechts vertraut gemacht. So repräsentierte er gemeinsam mit seinen Schülern Friedrich Schuler von Libloy und Jakob Rannicher (1823-1875) die siebenbürgische Rechtstradition des 19. Jahrhunderts. Politisch zählte er als „Altsachse“ zu den Gegnern der 1848 beschlossenen Union Siebenbürgens mit Ungarn, die er freilich weder als Abgeordneter im Landtag noch als Mitglied einer an den Hof nach Wien und Innsbruck geschickten Deputation verhindern konnte. Die Konsequenz, die sich aus der politischen Konstellation für ihn ergab, war die Neuorganisation des siebenbürgischen Schulwesens. Das gesamte Vermögen der Nationsuniversität wurde Bildungszwecken gewidmet. Darin erwies sich Zimmermann als „providus“ und „circumspectus“ (vorausblickend und umsichtig), mochte auch seine Geisteshaltung und politische Einstellung als konservativ gegolten haben.

Joseph Andreas Zimmermann (1810-1897). ...
Joseph Andreas Zimmermann (1810-1897).
Zimmermann war auch Politiker. Er war Deputierter des Reußmarkter Stuhles am Ungarischen Reichstag, vertrat dort allerdings eine ­oppositionelle Einstellung, nämlich eine gesamtösterreichische. Er wurde zu einem ganz entschiedenen Anwalt des gesamtösterreichischen Einheitsstaates (1849-1859) in der neoabsolutistischen Ära, an deren kultuspolitischen Weichenstellungen er maßgeblichen Anteil hatte. So lieferte er die gesetzgeberischen Vorarbeiten für eine Neuorganisation der Evangelischen Kirche im Gesamtstaat unter einer zentralen Kirchenleitung in Wien. Aber dieses Projekt scheiterte am erbitterten Widerstand der Magyaren, wurde auch von seinen siebenbürgischen Freunden mit großen Vorbehalten aufgenommen. Zimmermann war später (ein von Siebenbürgen entsandter) Abgeordneter im Reichsrat (1863-1865; Regalist), er nahm am Landtag in Klausenburg (1867) und am Krönungsreichstag in Budapest (1867) teil. Diese politische Tätigkeit in Transleithanien (= dem ungarischen, von Ofen und Pest, später Budapest, aus regierten Teil der Doppelmonarchie) hat in Wien heftige Kritik hervorgerufen. So konnte man in der Zeitung „Das Vaterland“ (Nr. 291/23.10.1867) über den Wiener Oberkirchenrat die kritische Notiz lesen: „Diese kirchliche Oberbehörde hat zum Bischof einen in Pesth sitzenden Deputirten der Sachsen am magyarischen Landtag.“ Und auch der Synodalausschuss A.B. hielt sich mit der Kritik nicht zurück, sodass der Mitarbeiter Martin Schenker (1827-1875), ebenfalls ein Siebenbürger Sachse, die dringende Rückkehr des Präsidenten zu erwirken suchte: „Es will den Herren [des Synodalausschusses] nicht schmecken, dass der Präsident des Wiener OKR jenseits der Leitha fungiere, anstatt seine Kräfte dem Kirchenregiment diesseits der Leitha zu widmen.“

Das Jahr 1867 mit dem Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn bedeutete die Wiedervereinigung Siebenbürgens mit Ungarn. Die Gesamtstaatsideen, denen Zimmermann nachhing, waren endgültig zerstoben. Siebenbürgen wurde seiner historischen Rechte „beraubt“. Nichts veranschaulicht dies besser als der Umstand, dass der letzte frei gewählte Sachsengraf, Konrad Schmidt (1810-1884) seines Amtes enthoben wurde, als er die Sächsische Nationsuniversität einberief, das höchste Gremium siebenbürgisch-sächsischer Autonomie und Selbständigkeit. Er verließ in der Folge Siebenbürgen und betrat nie mehr sächsischen Boden. Schmidt, Landeskirchenkurator in Hermannstadt, erfahrener Parlamentarier, Vizepräsident des verstärkten österreichischen Reichsrates, fasste sofort in Wien Fuß, wurde dort bald Kurator der evangelischen Gemeinde A.B. (1872) und 1874 durch einen nicht ungeschickten Schachzug Zimmermanns, der überraschend um die Pensionierung einkam, als Nachfolger präsentiert und vom Kaiser ernannt, schließlich in das Herrenhaus berufen und nobilitiert (1878: Baron von Altenheim). Das nahm ihm Zimmermann aber übel, denn er empfand es als Verleugnung des sächsischen Bürgerstolzes.

Zimmermann, seit 1874 wieder in Hermannstadt ansässig, musste freilich feststellen, dass sein freundschaftliches Verhältnis zu Georg Daniel Teutsch (1817-1893) unter dessen autoritären Entscheidungen gelitten hatte, sodass er merklich auf Distanz ging und seine täglichen Besuche im Bischofsamt einstellte. Er wurde von seiner Umwelt als etwas schrullig empfunden und seine Wehklage über die neueste Zeit fiel manchen auch lästig. So wurde ihm schließlich nachgesagt, dass ihm „die schmerzliche Erfahrung des Alters nicht erspart“ geblieben sei, dass er „die neue Zeit und diese ihn nicht immer ganz verstanden“ habe, und dass er „hie und da ungerecht wurde über Männer und Tatsachen, die unter dem Zwang der Verhältnisse standen“. Diese Passage aus einem Nachruf, verfasst von Friedrich Teutsch (1852-1933), der eine sachte Kritik an dem Verstorbenen übte, verärgerte dessen Sohn, den Archivar Franz Zimmermann (1850-1935) dermaßen, dass er die Anbringung eines Medaillons mit Zimmermanns Namen am Denkmal für Georg Daniel Teutsch verhinderte. Es war eine große Feierstunde, als am 19. August 1899 das Denkmal unter Beteiligung berühmter Vertreter des deutschen Protestantismus, darunter Adolf von Harnack und Ernst Troeltsch, enthüllt wurde. Am Sockel des Denkmals stehen die Namen der Mitarbeiter des Bischofs: Konrad Schmidt, Johann Carl Schuller (1794-1865), Franz Gebbel (1835-1877) und Georg Paul Binder (1784-1867), des Amtsvorgängers. Joseph Andreas Zimmermann hätte sich hier passend eingefügt.

An seinem 200. Geburtstag zeigt sich, dass die Erinnerung an sein umsichtiges Wirken in Wien nicht in Vergessenheit geraten ist, sondern zu Recht als Teil einer nicht versiegenden personellen „Schützenhilfe aus Siebenbürgen“ für die Evangelische Kirche in Österreich reklamiert wird. Als „juristischer Oberbischof“ wurde er gelegentlich glossiert, wenn er seiner siebenbürgischen Herkunft folgend die Tradition der Kirchenordnung hochhielt, sich deren authentische Interpretation vorzubehalten wusste und Verstöße peinlich ahndete. Als Präsident des Oberkirchenrates hatte er die Bürde der Kirchenleitung zu tragen, dabei erwies er sich als würdiger Laienbischof.

Karl W. Schwarz, Wien

Der Autor Karl W. Schwarz, geboren 1952 in Villach/Kärnten, nach Studien der Theologie in Wien, Genf, Zürich und Ergänzungsstudien (Osteuropäische Geschichte, Zeitgeschichte, ­Kirchen- und Staatskirchenrecht), Dr.theol. Dr.phil.h.c., tit. Univ.-Prof. für Kirchenrecht an der Wiener Evangelisch-theologischen Fakultät, Gastprofessor für Kirchengeschichte des Donau- und Karpatenraumes an der Comenius-Universität Bratislava/Pressburg und seit 1998 Ministerialrat im Kultusamt des Unterrichtsministeriums, als Referatsleiter für den protestantischen Kultus gleichsam „Nachfolger“ Joseph Andreas Zimmermanns.

Schlagwörter: Kirche und Heimat, Hermannstadt, Wien, Österreich

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