10. Dezember 2010

Vielschichtiges Buch zur Geschichte des Bergtourismus in Siebenbürgen

Der Bergtourismus in Siebenbürgen/Rumänien 1945-1990. Herausgeber Manfred Kravatzky im Namen der Sektion Karpaten des DAV, in Kommission beim Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde, Gundelsheim 2011, ISBN 978-3-929848-86-1, 260 Seiten, 18,80 Euro, zuzüglich Versand (für Mitglieder der Sektion Karpaten des DAV und des AKSL: 14,10 Euro). Zu bestellen bei Manfred Kravatzky, Gartenstraße 16, 79353 Bahlingen, E-Mail: mckrav[ät]t-online.de, sowie in Rumänien in den Buchhandlungen Aldus (Kronstadt) und Erasmus (Hermannstadt).
Manfred Kravatzky, 1941 in Kronstadt geboren, hat es in seiner gegenwärtigen Funktion als stellvertretender Vorsitzender der Sektion Karpaten des Deutschen Alpenvereins mit viel Fleiß und Nachdruck geschafft, eine nicht geringe Zahl von Mitarbeitern zum Schreiben zu motivieren. Tabellen, Listen, Bilder und Beiträge, auch solche von Verstorbenen wurden für diesen Band zusammengetragen. Das Buch ist aus vielerlei Gründen ein Unikat und daher empfehlenswert, gelesen zu werden. Die nahezu 50 Beiträge haben teilweise Wissenschaftscharakter, andere weniger anspruchsvolle Texte sind Erinnerungsliteratur im besten Sinne des Wortes, also ein Stück Geschichte, die nun aufgeschriebene oral history darstellen, zum Beispiel Beschreibungen von Erstbesteigungen, von Einzel- und Gruppenexkursionen, von Bergrettungsaktionen usw. Zudem bietet das Buch wertvolle Informationen für junge Menschen, die schon von den rumänischen Karpaten fasziniert sind oder sie noch entdecken wollen.

In dem 32 Seiten langen Aufsatz „Bergtourismus nach 1945 – allgemeine Betrachtungen“ hat Kravatzky wesentliche Informationen über die zunächst vorwiegend sächsische Freizeitbeschäftigung des Bergtourismus erfasst. Beschrieben werden der Zustand von Berg- und Schutzhütten, die Zufahrtsstraßen und Wege zu touristischen Zielen sowie ihre Veränderungen im Laufe der 45 Jahre. Weiterhin berichtet Kravatzky über die Rahmenbedingungen, in denen gewandert wurde – in Familien, mit Schulklassen und in Freundesgruppen und später auch in staatlichen, vereinsähnlichen Organisationen. Kravatzky weist auf die aus heutiger Sicht mangelhafte und oft improvisierte Ausrüstung der Bergsteiger hin, auf die anfangs kaum vorhandenen und dann immer besseren gedruckten Wanderführer und Wanderkarten, die im kommunistischen Rumänien den Bergfreunden zur Verfügung standen. Ausführlich werden Orientierungsläufe – dieses Thema wird auch von anderen Autoren behandelt – und die anspruchsvollen Formen des alpinen Leistungssportes wie Klettern und Winterbegehungen erläutert. Auch die Höhlenforschung und die Spitzenleistungen des alpinen Skisports – allerdings etwas zu kurz im Vergleich zu anderen Darlegungen – kommen zum Zuge. Zuletzt bringt Kravatzky in seinem Text eine kritische Betrachtung über den Stand der touristischen Infrastruktur nach 1990.

Dass das Gemeinschaftswerk, das hier rezensiert wird, gezwungenermaßen Stückwerk geblieben ist, hat viele Gründe. Manfred Kravatzky erwähnt in dem Vorwort zum Buch dazu einiges. Die Tatsache, dass mehrheitlich nur der siebenbürgisch-sächsische Tourismus behandelt wird und in geringerem Maße der von rumänischen und ungarischen Wanderfreunden und ihren Organisationen, erscheint aufs Erste als Manko, hat aber seine objektiven Gründe. Es liegen eben noch wenige Publikationen über die Tourismusgeschichte dieser ethnischen Gruppen, der Rumänen und Ungarn, vor.

Weitere Autoren berichten über die vielfältigen touristische Unternehmungen, die in den größeren Ortschaften Siebenbürgens veranstaltet wurden, in Kronstadt, Hermannstadt, Heltau, Mediasch, Mühlbach, Klausenburg, Schäßburg, Bistritz und Sächsisch-Reen. Auch touristische Ansätze von Landgemeinden wie Tartlau werden besprochen. Dabei wird ersichtlich, dass der Tourismus der Jahre 1945-1990 stark auf den Traditionen des Siebenbürgischen Karpatenvereins ruht, der vom kommunistischen Regime zwangsaufgelöst wurde. Dieser Verein umfasste bekanntermaßen in den dreißiger Jahren nahezu 5000 Mitglieder.

Andere Beiträge beleuchten die Begehungen einzelner Bergmassive wie Retezat, Fogarascher Gebirge, Königstein u.a. Die Berichte über den Tourismus an deutschen Schulen, Ausflüge, Skilager und Schulreisen belegen die erzieherische Rolle der siebenbürgisch-sächsischen Schulen in der nachhaltigen Förderung des Wanderns. Was vielen Liebhabern des Bergtourismus in Siebenbürgen in den letzten 70 Jahren immer wieder am Herzen lag, und zwar die Markierung der Wanderwege und Bergpfade sowie das Entstehen und die Entwicklung des Bergrettungsdienstes in den Karpaten, findet gebührenden Raum. In weiteren Beiträgen erinnern sich die Autoren an Bergbegehungen, Rettungseinsätze und ungewöhnliche Klettererlebnisse. In einigen Texten werden die sagenumwobenen Partisanen erwähnt, die rumänischen Dissidenten, die sich in den 50er Jahren im Hochgebirge versteckten. Zudem wird über den in 50er bis 70er Jahren populären Orientierungslauf berichtet. Spannend und authentisch ist das Tagebuch eines 17-Jährigen, der in den Wintermonaten 1945 aus dem Arbeitslager aus Russland geflüchtet war. Artikel werden auch aus verschiedenen Publikationen nachgedruckt, z.B. aus dem BCB, dem Mitteilungsblatt des Hermannstädter Coetus. In einem Kapitel haben zwei DDR-Touristen ihre Erlebnisse niedergeschrieben. Zwei Beiträge bieten einige Fakten und Leistungen rumänischer und ungarischer Bergsteiger, z.B. des Vereins „Amicii munților“. Von dokumentarischem Wert sind die vielen Abbildungen, die älteren und neueren Fotos, Faksimile von Texten und Zeitungsausschnitten und nicht zuletzt die sechs letzten Kapitel des Buches. Dort sind tabellarisch die Sektionen des Siebenbürgischen Karpatenvereins (Stand vor 1944), die früheren und heutigen Schutzhütten und eine Liste tödlicher Unfälle in den Karpaten erfasst. Am Ende des Buches nennt Kravatzky weitere Mitarbeiter, die durch ihre den Autoren gelieferte Informationen dem Buch eine bunte Vielfalt gegeben haben. Da einige Autoren schon seit längerem verstorben sind, hat ihr Einsatz für den Bergtourismus in Siebenbürgen, wie er in ihren Texten beschrieben wird, durch die Veröffentlichung in diesem Band einen bleibenden Platz erhalten.

Eine Liste weiterführender Literatur zum Thema vervollständigt die Arbeit. Lobenswert ist die Mühe des Herausgebers, die stilistischen Unterschiede zwischen einzelnen Texten in Form und Inhalt zu vermindern. Einige typisch siebenbürgisch-sächsische Wortwendungen und Aussagen sind zu verkraften. Maja Philippi die namhafte Kronstädter Historikerin, schrieb im Vorwort ihres 1996 veröffentlichen Buches „Kronstadt – historische Betrachtungen über eine Stadt in Siebenbürgen“: „Vieles, was wir im Leben schaffen, bleibt Fragment. Und doch kann manchmal auch ein Fragment etwas über das Ganze aussagen.“ So sollte auch dieses Buch über den Bergtourismus in Siebenbürgen betrachtet werden.

HvK

Schlagwörter: Rezension, Tourismus, Sektion Karpaten des DAV

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