10. Juli 2011

Christ und Siebenbürger Sachse: Zum 100. Geburtstag von Hans Philippi

Am 2. Juni erinnerten die beiden Söhne von Hans Philippi, Hartmut und Reinhart, aus Anlass des 100. Geburtstags ihres Vaters in der „Fränkischen Landeszeitung“ an ihn „von 1911 bis 1997 Christ und Siebenbürger Sachse“. Diese zwei lapidaren Namen, Christ und Sachse, pointiert durch die Reihenfolge der Nennung, kennzeichnen sein spannungsreiches Lebenswerk, wie es nicht nur den Söhnen, sondern auch seinen Freunden in Erinnerung geblieben ist.
Hans Philippi gehörte zu den Siebenbürger Sachsen, die nach dem Krieg in der Bundesrepublik Deutschland im Umkreis der evangelischen Kirche ein klares Profil erlangten. Walter König würdigte seine vielfältigen Verdienste in der Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde treffend (1998, Heft 2, S. 234-235). Nach dem frühen Tode von Erich Roth, Theologieprofessor in Göttingen, prägte Hans Philippi das Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen und evangelischen Banater Schwaben im Diakonischen Werk der EKD. Er gewann die evangelische Kirche in Bayern dafür, dem Hilfskomitee in der Himmelreichstraße in München ein Sekretariat mit einer Sekretärin und einem hauptamtlichen Angestellten ein­zurichten. Seit 1956 gab er ein Jahrbuch mit volkstümlichen, aber anspruchsvollen Beiträgen ­heraus. Er nannte diese Visitenkarte des Hilfskomitees zunächst Kalender; denn er wollte ­bewusst an den „Christlichen Hausfreund – Kalender für die ev. Glaubensgenossen Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien“ anknüpfen. Mit dem „Licht der Heimat“, einer selbständigen, ebenfalls von ihm redigierten Monatsbeilage der Siebenbürgischen Zeitung, erinnerte er an Georg Scherg, Pfarrer in der Oberen Vorstadt in Kronstadt. Dieser leitete die kirchliche Gemeinschaftsbewegung in Siebenbürgen und gab die „Lichter der Heimat“ ­heraus. Hans Philippi gewann junge Pfarrer, Lehrer und Studenten zur Mitarbeit in Jugendlagern, in denen sächsische Mädchen und Jungen die Bibel gemeinsam lasen, von der Geschichte in Siebenbürgen erfuhren, Lieder sangen, Volkstänze lernten und Freundschaften schließen konnten. Er führte nach dem Beispiel von „Regionalkirchentagen“ regelmäßige „siebenbürgisch-sächsische Kirchentage“ ein. Er lud nach dem Beispiel der „Evangelischen Akademien“ zu Tagungen und Seminaren ein. Er organisierte Ferienaufenthalte und ermöglichte vielen eine Erholung zu einem erschwinglichen Preis. Er gab Bücher im Selbstverlag des Hilfskomitees heraus und unterstützte den Arbeitskreis Junger Siebenbürger Sachsen und dessen Umwandlung in den Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde. Es war eine Ehre, vom ihm zur Mitarbeit aufgefordert zu werden. Seine unglaubliche Arbeitskraft war staunenswert und seine Lebendigkeit mitreißend. Sie machte Mitarbeiter zu Freunden.

Hauptberuflich war er seit 1948 Gymnasiallehrer für Griechisch und Latein in Schweinfurt, und er war es gerne. Berufsbedingtes Selbstmitleid von Kolleginnen oder Kollegen befremdete ihn. Das bayerische Staatsministerium für Unterricht forderte ihn 1962 auf, sich um die Stelle des Oberstudiendirektors am Gymnasium Carolinum in Ansbach zu bewerben.

Hans Philippi, 1986 in Ansbach. Foto: Hartmut ...
Hans Philippi, 1986 in Ansbach. Foto: Hartmut Philippi
Was er für „die Landsleute“ tat, lässt sich nicht leicht auf einen Nenner bringen. Im Jargon der damaligen Zeit war es „kirchliche Vertriebenenarbeit“. Er baute Flüchtlingen, ehemaligen Soldaten und Russlanddeportierten eine Brücke in die neuen Kirchengemeinden in Deutschland. Auf dem Hintergrund „sächsischer Gottesdienste“ fröstelte es viele Sachsen an ihren neuen Wohnorten. Die Unternehmungen Hans Philippis waren jedoch auch der Ausdruck einer auf das Ganze der Landeskirche A.B. in Rumänien bezogenen „Heimatortsgemeinde“, wie man heute sagen könnte. Er war Mitglied der Synode der Vereinigten-Evangelisch-Lutherischen-Kirche (VELK) und arbeitete in Gremien des Gustav-Adolf-Werks mit. Was er zur Unterstützung der ev. Kirche in Rumänien tun konnte, tat er. Er besorgte Medikamente und Bücher und suchte die Beziehung zu ihr zu knüpfen und zu halten. Er wusste, dass sie unter dem Kommunismus litt und isoliert um ihr Leben kämpfte.

Landsmannschaft und Hilfskomitee hatten sich gegenseitig satzungsgemäß einen Sitz in der Leitung der jeweils anderen Einrichtung zugebilligt. Hans Philippi legte Wert darauf, dass das „Licht der Heimat“ möglichst viele sächsische Leser erreichte und befürwortete den Versand als Beilage der Siebenbürgischen Zeitung. In dieser Hinsicht dachte er praktisch, jedoch nicht einfach in Kategorien der Volkskirche. Ihm war aus den Erfahrungen der Vorkriegsgeschichte klar, dass Christen nicht ungeprüft dem Zeitgeist folgen dürfen, und er trat für offene Diskussionen und für Meinungsvielfalt ein. Die Zerwürfnisse, die sich bis zu seinem 70. Geburtstag 1981 daraus ergaben, sind zwanzig Jahre nach dem Sturz des Kommunismus zwar Geschichte, aber noch nicht produktiv ausgeheilt. Es wäre unredlich, das an seinem 100. Geburtstag zu verschweigen. Hans Philippi, im Grunde ein irenischer Mensch, polarisierte, ohne es zu wollen. Er hatte sich durch seine Kreativität und seinen Fleiß eine starke Position im „sächsischen Milieu“ geschaffen, wenn dieser Ausdruck einmal erlaubt ist. Er war wertkonservativ und politisch interessiert, strebte aber keine Macht an und trat auch keiner politischen Partei bei. Demagogie war seinem sachbezogenen Stil zu sprechen völlig fremd. Nach seinem 70. Geburtstag bestellte er sein Haus, strukturierte das Hilfskomitee als einen eingetragenen Verein neu, stellte sich jedoch selbst nicht mehr zur Wahl. Der Zeitpunkt für diese Umstrukturierung war ungünstig; denn er war in den 1970er Jahren in zwei Konflikte geraten, die im Grunde nicht einmal seine Konflikte waren. Aus Siebenbürgen zum Teil ohne Zustimmung des Landeskonsistoriums ausgewanderte Pfarrer hatten sich zu einer Pfarrbruderschaft zusammengeschlossen und verübelten es Philippi, dass er ihrer Meinung nach den zu harten Umgang des Landeskonsistoriums in Hermannstadt mit ihnen nicht ausdrücklich missbilligte und sie in Westdeutschland gegenüber den Landeskirchen zu wenig unterstützte. Hans Philippi war in diesem Streit eher eine Art Briefbote zwischen Hermannstadt und den evangelischen Kirchenleitungen als Partei. Wie man sich in diesem Streit verhalten sollte, war auch innerhalb des Hilfskomitees unter Hans Philippi umstritten. Die Landsmannschaft war aus anderen Gründen gereizt. Niemand solle ihre Politik öffentlich hinterfragen und diskutieren, auch niemand im Hilfskomitee und in seinen Organen. Die Neukonstituierung des Hilfskomitees als e.V. schien daher einerseits eine Gefahr, andererseits eine gute Gelegenheit zur Abrechnung. Landsmannschaft und Pfarrgemeinschaft brachten den Kandidaten für den Vorstand, die Hans Philippi befürwortet hatte, in den ersten Wahlen des neu gegründeten Vereins 1981 eine schwere Wahlniederlage bei.

Hans Philippi war danach zwar noch Mitbegründer des Evangelischen Freundeskreises Siebenbürgen, verzichtete aber auf öffentliche Auseinandersetzungen. Er hatte sie nie gesucht, aber immer darauf geachtet, dass unter seiner Leitung im Hilfskomitee „ergebnisoffen“ beraten und Meinungen auch dann geäußert werden konnten, wenn sie nicht auf einhellige Zustimmung stießen. Das Jahrbuch redigierte er noch bis zum Jahre 1986. Danach lebte er zurückgezogen in einem Wohnstift in Ansbach. Er und seine Frau mussten den Tod des ältesten Sohnes Hans-Gerch erleben, der lange Zeit Pfarrer der evangelisch-deutschen Gemeinde in Rom war. Hans Philippi starb am 23. Oktober 1997, seine Frau Martha folgte ihm wenige Monate später nach. Konrad Möckel erlebte ihn im Jahre 1964 auf einer Tagung in Berlin und schrieb danach an Barbara von Haeften, Hans Philippi sei „der Mann meines Herzens. Der hat ‚Format‘!“ (In: A. Möckel, Umkämpfte Volkskirche, Köln Weimar Wien 2011, S. 335) Noch zu Lebzeiten übergab Hans Philippi große Teile der von ihm gesammelten Dokumente dem Archiv in Gundelsheim – eine solide Grundlage für eine Biographie. Dieser „Christ und Siebenbürger Sachse von 1911-1997“ verdient es, dass sich eine jüngere Generation mit ihm beschäftigt und sein Erbe aufnimmt.

Andreas Möckel

Schlagwörter: Kirche, Porträt

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