17. Oktober 2011

Tagung über den Gipfeln des Burzenlandes

Die 26. Internationale Siebenbürgische Akademiewoche von Studium Transylvanicum fand vom 11. bis 19. September 2011 auf der Julius-Römer-Hütte, die am Schuler (Postăvarul) bei Kronstadt auf 1 600 Meter Höhe liegt, statt. Die Tagung wurde in Zusammenarbeit mit dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e. V. (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München, dem Haus des Deutschen Ostens (HDO) München und dem Archiv der Honterusgemeinde (AHG) Kronstadt veranstaltet. Der Einladung folgten 25 Interessierte zwischen 22 und 45 Jahren, um sich eingehend mit der Kulturlandschaft im Karpatenbecken zu beschäftigen. Das Thema der diesjährigen Veranstaltung lautete „Glorifizierung, Demontage, Selbstreflexion – Personengeschichtliche Zugänge zur Kultur und Geschichte Siebenbürgens“.
Ganz im Sinne der interdisziplinären und interethnischen Ausrichtung der Akademiewoche waren auch dieses Mal NachwuchswissenschaftlerInnen aus unterschiedlichsten Fachgebieten anwesend. Historiker, Literatur- und Kulturwissenschaftler, Theologen, Kunsthistoriker und Volkskundler aus Rumänien, Ungarn, Österreich, Deutschland und Schweden waren angereist, um ihre Forschungsergebnisse zur Geschichte und Kultur Siebenbürgens vorzustellen. Neben jüngeren Akademikern konnten die Organisatoren auch renommierte ReferentenInnen gewinnen, welche die lebhaften Diskussionen durch eigene Impulse bereicherten.

Bei schönstem Sommerwetter begann die Akademiewoche mit einer Gondelfahrt auf den Schuler. Mit dem Abstieg zur Julius-Römer-Hütte des Siebenbürgischen Karpatenvereins bekamen wir in der Nachmittagssonne einen ersten Eindruck von der großartigen Aussicht auf das gesamte Burzenland, die uns die nächsten Tage begleiten sollte. Der erste Abend verging in lockerer Atmosphäre mit Kennenlernen und Austauschen sowie einem Einstieg ins Thema. Darüber hinaus bekamen wir mit dem ersten reichhaltigen Abendessen einen Vorgeschmack auf die großartige Küche der Nelly Truetsch, die uns zusammen mit ihrem Mann Rolf Truetsch und dem ­gesamten Hüttenteam während der Akademiewoche hervorragend versorgte. Da ich nicht mehr in Siebenbürgen lebe und nicht alle Tage Vinete, Zwetschgenknödel und wunderbare Suppen aufgetischt bekomme, stellte der Hüttenaufenthalt für mich auf jeden Fall eine kleine kulinarische Reise in meine Kindheit dar.

Ziel der Akademiewoche war es, anhand der personengeschichtlichen Zugänge das Verständnis für die Geschichte und Kultur Siebenbürgens zu vertiefen und zu erweitern. Am Montagmorgen machte Dr. Attila Verók (Univ. Szeged) den Anfang, indem er sich mit „Martin Schmeizel als Begründer der historischen Forschung über Siebenbürgen und Ungarn“ beschäftigte. Ihm folgte der bekannte Schriftsteller Hans Bergel (Gröbenzell), der über „Biographie und Literatur: Ein Spannungsfeld als persönlicher Rückblick“ sprach. Bergel vermittelte dem Auditorium einen Eindruck davon, wie er als Autor zahlreicher Bücher seine eigene Biographie immer als Inspirationsquelle betrachtet hat, nach dem Motto „Leben, um darüber zu schreiben“. „Autobiographisches Schreiben in der rumäniendeutschen Literatur“ war auch das Thema des Vortrags von Michaela Nowotnick (Berlin). Sie wies anhand von Werken Hans Bergels, Frieder Schullers und Joachim Wittstocks auf die Bedeutung der richtigen literaturwissenschaftlichen Methode zur Annäherung an autobiographisch geprägte Texte hin. Nach dem reichhaltigen Mittagessen blieb etwas Zeit, um die Gegend zu erkunden oder die Mittagssonne in den Liegestühlen zu genießen.

Den Nachmittagsteil eröffnete Dr. Gerald Volkmer (IKGS an der LMU München) mit seinem Vortrag über „Martin sen. und Martin jun. Copony – wirtschaftspolitische Netzwerkbildung zweier Kronstädter Gründerzeit-Industrieller“. Stéphanie Danneberg (München) folgte mit einer Präsentation zum Kronstädter Großkaufmann Diamandi Manole (1833-1899) und dessen Beziehungen zu den Siebenbürger Sachsen. Den Abschluss bildete das Referat Mircea Abrudans (Karlsburg) „Der rumänisch-orthodoxe Erzbischof und Metropolit Andreas Freiherr von Schaguna (1808-1873)“. Danach folgte ein besonderer Abend: Nach einem Grillfest sammelte sich die Gruppe bei Vollmond und zu Gitarrenklängen um ein Lagerfeuer.

Die Vormittagsrunde des nächsten Tages leitete Thomas Șindilariu (AHG Kronstadt) mit dem Vortrag „Ioan Podea. Vom orthodoxen Geistlichen zum kommunistischen Museumsdirektor in Kronstadt. Eine Aktivistenlaufbahn“ ein. Prof. Dr. Andreas Möckel (Würzburg) sprach über „Die Biographie des Vaters als wissenschaftliche Heraus- forderung – Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel“ und zeigte eindrucksvoll, wie eine historiographische Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte erfolgen kann. Der Theologe Dionisie Arion gab Einblick in „Die Sprache der geistlichen Kleidung der siebenbürgischen Evangelischen Kirche. Eine historische gruppen-, standes- und berufsbiographische Betrachtung“. Anhand der zahlreichen Bilder, die seinen Vortrag unterstützten, bekamen wir einen eindrucksvollen Überblick über die vielfältigen Kleidungsarten der lutherischen Pfarrer in Siebenbürgen.
Die Teilnehmer der Siebenbürgischen ...
Die Teilnehmer der Siebenbürgischen Akademiewoche, im Hintergrund das Burzenland, gesehen von der Julius-Römer-Hütte. Foto: Bernhard Heigl
Friederike Mönninghoff (Bremen) leitete das Nachmittagspanel mit einem bereits bekannten Namen ein und gab mit dem Referat „Die Malerin Grete Csaki-Copony im Spiegel ihrer Biog­raphie“ Einblick in Leben und Werk dieser bedeutenden siebenbürgischen Künstlerin. Den politischen Beziehungen der Sachsen zum ungarischen Staat widmete sich Dr. Enikö Dácz (Andrássy-Univ. Budapest) in einem Vortrag über „Die siebenbürgisch-sächsischen Abgeordneten im ungarischen Parlament 1901-1906“. Einen Höhepunkt der Tagung stellte der Vortrag der bekannten Neurologin Prof. Dr. Hannah Monyer (Univ. Heidelberg) über „Die Rekonstruktion von Vergangenheit im Gehirn. Oral History aus neurobiologischer Sicht“ dar. Für die überwiegend aus Geisteswissenschaftlern bestehende Gruppe bot dieser naturwissenschaftliche Erklärungsansatz zur Funktionsweise des Gehirns neue Erkenntnisse zur Bewertung autobiographischer Zeugnisse, da es dem Vortrag gelang, ein komplexes Thema Laien anschaulich zu vermitteln. Auch an diesem Abend fanden sich wieder viele Gelegenheiten, das bereits Gehörte weiter zu diskutieren oder gar neue Theorien in Angriff zu nehmen. Gerade bei Diskussionen über die jüngere siebenbürgische Vergangenheit war es von großem Vorteil, dass Hans Bergel und Andreas Möckel anwesend waren, die mit ihrem Zeitzeugenwissen die Gespräche wesentlich bereicherten.

Den nächsten Tag eröffnete Emese Veres (Budapest) mit dem Referat „Ein Tschango-Junge unter der Zinne – Borcsa Mihály, Pfarrer von Bácsfalu“. Am Beispiel des Lebens dieses „Gemeindemanagers“ erhielten wir einen nahezu umfassenden Einblick in die Kultur dieser Burzenländer ungarischen Gruppe. Der Teilnehmer mit der weitesten Anreise war sicherlich Robin Gulbrandsson aus Schweden, der in seinem Vortrag siebenbürgische und skandinavische Kirchenburgen miteinander verglich. Danach bot Florian Kührer (Univ. Wien) unter der Fragestellung „Alexandru Vaida Voevod: Monarchist, Regionalist, Faschist?“ und anhand des Wirkens dieses vielschichtigen Politikers einen Einblick in das Verhältnis zwischen den politischen Eliten der Rumänen auf beiden Seiten der Karpaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Dr. Elisabeta Marin (AHG Kronstadt) stellte einen Auszug aus ihrer Dissertation über den Germanisten und Kulturhistoriker Prof. Dr. Karl Kurt Klein vor und ihr Kollege Dr. Liviu Cîmpeanu sprach über „Sächsische Chronisten des 16. Jahrhunderts“. Mit einer Planungsbesprechung für die 27. Akademiewoche 2012 endete der erste Teil der Veranstaltung. Anschließend verbrachten wir noch einen geselligen letzten Abend auf der Julius-Römer-Hütte, bevor am nächsten Morgen die Gruppe in Kronstadt einquartiert wurde.

Hier begann mit der Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde e. V. der zweite thematische Teil der Akademiewoche. Die Tagung, dieses Mal mit über 170 Teilnehmern im größeren Rahmen, fand im Kulturzentrum „Redoute“ statt und beschäftigte sich mit der Berufung des Deutschen Ordens in das Burzenland vor 800 Jahren. Mit Timo Hagen (Heidelberg), der „Zur Rezeption des Deutschen Ordens in der siebenbürgischen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“ sprach, war auch Studium Transylvanicum durch einen jungen Wissenschaftler vertreten. Den ersten Tag beendeten ein Besuch der Ausstellung „Deutsche Kunst in Siebenbürgen aus den Beständen des Kronstädter Kunstmuseums“ und ein Abendessen im Restaurant „Butoiul Sasului“. Nach einem aufschlussreichen zweiten Tagungstag wurden die Teilnehmer durch den Bürgermeister von Kronstadt im Rathaus empfangen. Der Samstag stand im Zeichen des 21. Sachsentreffens in Kronstadt.

Den Abschluss dieser vielfältigen Akademiewoche bildete am Sonntag eine gemeinsame Exkursion durch das Burzenland. Erste Station war die Tartlauer Kirchenburg, in der die Gruppe, nach einer kleinen Besichtigung, an dem sonntäglichen Gottesdienst teilnehmen durfte. Anschließend ging es weiter nach Marienburg, wo wir die neusten Renovierungen an der Kirche in Augenschein nahmen, die Ruinen der Bauernburg erkundeten und ein köstliches Mittagessen mit Gegrilltem und Kesselfleisch serviert bekamen. Die nächste Station war die Rosenauer Burg. Adrian Andrei Rusu führte sachkundig durch die Burg und während wir die letzten Strahlen der herbstlichen Sonne genossen, hatten wir einen unvergleichlichen Blick auf die immer noch grünen Ebenen des Landes an der Burzen. Den Abschluss der Exkursion bildete die Kirche in Kronstadt-Bartholomä, deren Fresken aus dem 15. Jahrhundert nicht nur die anwesenden Kunsthistoriker beeindruckten.

An dieser Stelle sei allen Gastgebern, die uns während der Exkursion aufgenommen, bewirtet und herumgeführt haben, ein herzliches Dankeschön ausgesprochen. Ebenso ist denjenigen zu danken, die diese Akademiewoche erst möglich gemacht haben. Hier sind vor allem das IKGS an der LMU München und das HDO München zu nennen, die diese Tagung durch ihre Zuwendungen finanziert haben. Für die inhaltliche Vorbereitung und die großartige Organisation vor Ort sei Thomas Șindilariu, Bernhard Heigl und Bettina Mai gedankt.

Petra Rezac

Schlagwörter: Studium Transylvanicum, Akademiewoche, Burzenland

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