21. März 2012

Siebenbürgische Geschichten in acht Filmen

Die Akademie Mitteleuropa und das Bundeskulturreferat des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland hatten zum Seminar „Siebenbürgen im zeitgenössischen Dokumentarfilm“ in Bad Kissingen vom 24.-26. Februar eingeladen. Über 70 Teilnehmer waren der Einladung auf den „Heiligenhof“ gefolgt.
Und als Fettbrot auf den Tisch kommt, sind schließlich alle in Siebenbürgen angekommen, auch wenn der Rotwein auf dem Tisch hin und wieder daran erinnert: Die Kulisse ist eine Bildungs- und Begegnungsstätte in Franken.

Der echte Wein ist der weiße, das wussten die Zisterzienser Mönche, die vor mehr als acht Jahr­hunderten nach Reichesdorf kamen. Daran hält sich Johann Schaas heute noch. Über die geselligen Mönche, die „ihre mitgebrachten Reben in Reichesdorf anbauten und den Wein in Kerz soffen“, weiß „der letzte Sachse von Reichesdorf“ im gleichnamigen Film des Bukarester Regisseurs Mihai Dumitru viel zu berichten.

Johann Schaas strotzt vor Lebenslust und Arbeitsfreude, obwohl er alt ist, alt, aber glücklich, sehr glücklich in seinem Reichesdorf. Er ist der letzte Siebenbürger Sachse im Dorf – na, und? Allein ist er nicht. Die Welt kommt zu ihm und will „seine Kirche“ sehen, schließlich hat sie einige architektonische Besonderheiten aufzuweisen. Und dann die vielen Legenden, Fabeln und Geschichten, die Johann Schaas zum Besten geben kann … Seine Erzählleidenschaft beeindruckt jeden Touristen, der sich in „seine Gemeinde“ verirrt. Als Kurator „seiner Kirche“ gibt er auf jede Frage schlagfertig eine Antwort.

Doch nicht jeder, der nach der großen Auswanderungswelle Anfang der 1990er Jahre in Siebenbürgen „hinterblieben“ ist, schätzt sich glücklich. Das erfahren die Fettbrot-Esser des dreitägigen Seminars. Bis auf die letzte Schlafstätte ist der Heiligenhof ausgebucht – einige müssen auswärts übernachten –, so groß ist das Interesse an der Veranstaltung. Studienleiter Gustav Binders letztes Wort nach drei intensiven Tagen kann kein anderes sein als: „Wir setzen fort!“ – Mit Gesprächen rund um Siebenbürgen, mit Dokumentarfilmen, mit Fettbrot und …
Blick in den Seminarsaal: Zwischen den acht ...
Blick in den Seminarsaal: Zwischen den acht Filmen gab es kurze Diskussionsrunden – diesmal mit Seminarleiter Gusti Binder und Regisseur Günter Czernetzky. Foto: Hans-Werner Schuster
Anwesend ist eine Gruppe Nachwuchsjournalisten. Siebenbürgen wird das Thema ihrer Abschlussarbeit sein – nach drei Tagen, acht Dokumentarfilmen und genauso vielen Gesprächen mit den zum Großteil anwesenden Regisseuren sind die jungen Journalisten für ihre anstehende Siebenbürgen-Reise bestens gewappnet.

Den Auftakt bildet der Film des aus Ost-Berlin stammenden, nach Oberwischau/Vișeul de Sus übersiedelten Regisseurs Björn Reinhardt „Hinter sieben Burgen“. Gedreht wurde der Film 1995/96. Wir lernen Johann Hopprich aus Neudorf kennen; seine Kinder und Enkelkinder leben in Deutschland, wo er auch öfters war – er erinnert sich noch lebhaft an die Tage am Brandenburger Tor in Berlin, wo er als junger Soldat wie durch ein Wunder den Russen entkam – ein siebenbürgisches Wunder: Er traf mitten in Berlin auf andere Siebenbürger, die ihm halfen. Die Sehnsucht nach seiner Heimat und seinen Tieren hat ihn nie losgelassen. Im Film begleiten wir ihn auf einigen seiner alltäglichen Wege – zum Hufschmied, zum leer stehenden Elternhaus, auf den Friedhof, wo er nun schon seit einigen Jahren neben seinen Eltern ruht.

Verstorben ist auch die Protagonistin des Filmes „Siebenbürgischer Heuweg“ – Irene Ghișu, geborene Schoppel. 1996 drehte der in Weimar geborene Regisseur Ralf Marschalleck den Film in Marienburg. Wie in Reinhardts Film wird auch bei Marschalleck über ein Einzelschicksal das große Thema des „Exodus der Siebenbürger Sachsen nach 1989“ behandelt. Die sächsische Gemeinde hatte sie wegen ihrer Heirat mit einem Rumänen ausgeschlossen. Irenes letzter Wunsch ist, auf dem rumänischen Friedhof begraben zu werden.

Wo Georg Onyert aus Gürteln seine letzte Ruhe­stätte finden möchte, erfahren wir in dem 2002 gedrehten Film „Gherdeal“. Die Regisseure, Thomas Beckmann aus Chemnitz und Martin Nudow aus Berlin-Pankow, zeigen die Tragik der letzten deutschen Familie aus Gürteln auf. – Katharina Onyert, sieben Jahre älter als ihr Georg, will von Deutschland nichts wissen, sie hat mit ihrer Russ­land-Deportation genug „Ausland“ erfahren. In Gürteln will sie sterben – ein idyllisch gelegener Ort, gesegnet mit fruchtbarem Boden, nur gibt es kaum noch jemanden, der ihn zu bebauen versteht. Der Sohn der Onyerts, Helmut, der in Gürteln lebt, ist dem Alkohol verfallen und hört tagein tagaus „manele“ (elektronische Zigeunermusik). Als Trost dient ihm der Satz: „Lass mich mit Gott! Gott hat seine eigenen Sünden!“ Ganz klar, der dort oben über den Wolken hat die Bewohner von Gürteln längst vergessen.

Melancholisch sind die siebenbürgischen Geschichten, auch wenn hie und da ein Hoffnungsschimmer aufleuchtet wie Irenes Enkelin aus Marienburg, die lernen und studieren möchte, die mehrere Sprachen spricht und Klavier spielt, – heute ist sie die Siebenbürgen-Korrespondentin Christine Chiriac – oder der 20-jährige rumänische Landwirt, der sich in Gürteln niederlässt, um die Felder wieder fruchtbar zu machen.

Über allen Geschichten könnte der Titel „Wunden – Erzählungen aus Transsilvanien“ stehen – so der Titel des bekanntesten Dokumentarfilms über Siebenbürgen, 1994 von dem aus Schäßburg stammenden Regisseur Günter Czernetzky an mehreren Orten in Siebenbürgen gedreht. Rumänen, Zigeuner, Ungarn, Siebenbürger Sach­sen erzählen ihre Erlebnisse ab 1933. Die große Geschichte dieses Landstriches spiegelt sich in den kleinen Lebensgeschichten der Filmprotago­nisten wider. Vom Wind und der Geschichte verweht, von Archivaufnahmen, den propagandistischen Berichten der Deutschen Wochenschau, durchbrochen, wird die Geschichte vielfacher Verwundung nahegelegt.

Verrat ist die nächste allzu menschliche Geschichte, die in gleich zwei Filmen zum Tragen kommt: in dem 2004 von dem siebenbürgisch-ungarischen Regisseur Zoltan Hajdu gedrehten Film „Der Verrat“ und dem 2008 vom österreichischen Regisseur Walter Wehmeyer gedrehten Film „Von der Macht des Verdächtigens“. Hajdus Film ist der Versuch eines Doppelportraits vonzwei siebenbürgischen Schriftstellern: Hans Bergel und Eginald Schlattner. Sie nähern sich zwar filmisch an, persönlich jedoch meiden sie sich. Zu tief ist die Wunde, zu schmerzhaft der Verrat. Eginald Schlattner sagte im Kronstädter Schriftstellerprozess von 1959 gegen Bergel und vier weitere deutsche Autoren als Belastungszeuge aus. In der Folge wurden Schlattners frühere Freunde zu langen Haftstrafen verurteilt.

Wehmeyers Film porträtiert Eginald Schlattner, der mit seiner Romantrilogie „Der geköpfte Hahn“, „Rote Handschuhe“ und „Das Klavier im Nebel“ über Siebenbürgen hinaus bekannt und sehr erfolgreich wurde. Der Film lässt Schlattner, dessen Bruder Kurtfelix und mehrere seiner Schicksalsgenossen – Gerhard Gross, Karl Dendorfer, Günter Volkmer, Werner Knoll – ausführlich zu Wort kommen. Alle Protagonisten waren politisch inhaftiert, haben aber Folter und Demütigungen des rumänischen Regimes überlebt. Ehemalige Securitate-Offiziere werden ebenfalls interviewt, doch die Täter scheinen sich – das zeigt der Film eindrücklich – des Ausmaßes und der Folgen ihres Tuns nicht bewusst zu sein.

Um die Leichtigkeit des Seins nicht ganz aus dem Auge zu verlieren, wird der 1998 gedrhte Film von Dumitru Budrala, „La drum“ (Unterwegs) gezeigt, der sich der archaischen Lebenswelt der rumänischen Schafhirten widmet. Die aus der „Mărginime“ (Hermannstädter Umland) stammenden Hirten schlagen sich wacker. Ihr Leben ist hart, bei Wind und Wetter sind sie im Sommer auf der Alm und im Winter in den Flusstälern des Mieresch. Trotzdem strahlen sie Lebensfreude aus. Obwohl der Film den Mord an einem wohlhabenden Schäfer zum Anlass nimmt, kann sich die Stimmung der rumänischen Hirtenballade „Miorița“ nicht durchsetzen, allzu irdisch ist die Sehnsucht der Hirten: Wein, Weib und Gesang. Wer mag da noch in „mioritische Räume“ abheben, wenn „das Gute liegt so nah“?

Nah ist der siebenbürgische Kosmos durch die Dokumentarfilme und Gespräche gekommen. Wir nehmen die Veranstalter beim Wort und hoffen – auf Fortsetzung.

Ingeborg Szöllösi

Schlagwörter: Seminar, Film, Siebenbürgen, Geschichte, Bad Kissingen

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