10. Juni 2012

Palukes explodiert nicht

Am 14. Mai 2012 hat das ZDF zur „prime time“ den als TV-Drama firmierenden Film „Das Geheimnis in Siebenbürgen“ gezeigt – ich bin sicher, sehr viele Landsleute haben sich den Streifen angesehen und darauf vielleicht mit eher gemischten Gefühlen reagiert.
Obwohl der Film sicherlich kein großartiges cineastisches Ereignis ist, war er – mit sehr viel Vorschusslorberen versehen – in der Presse als ein Beitrag angekündigt worden, der in angemessener Weise mit dem Begriff Heimat umgehe (so z.B. in der Berliner Zeitung vom 14. Mai 2012 im TV-Feuilleton).

Als Zeitzeuge der Erlebnisgeneration habe ich dazu eine eher differenzierte Sicht. Ich weiß, dass der Fernsehspielfilm nicht für unsere Landsleute gemacht worden ist, und um Einwände der Art „wütender und rückwärtsgewandter Vertriebenenvertreter kritisiert gut gemeinten Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung“ vorwegzunehmen: Der Film ist gut gemachte Unterhaltung und ein durchaus zu begrüßender Versuch, dieses auch so fremde und etwas bedrohliche Südosteuropa dem binnendeutschen Publikum näherzubringen!

Das Sujet des Films unterscheidet sich von der bisherigen Darstellung der Region: Nicht mehr Bram Stokers blutsaugender Graf Dracula, auch nicht mehr der Rote Vampir Ceaușescus unseligen Angedenkens und nicht einmal die Persiflage der Rockgeschichte (wer sich noch an die Rocky Horror Picture Show erinnert: „Sweet transsexual transilvanian!“) ist es, was gezeigt wird, sondern doch eher eine Familien- und Liebesgeschichte – wenn das kein Fortschritt ist! Freilich, nachdem der heutigen Generation die Monstrosität der Gestapo kaum noch zu vermitteln ist, stellt sich ein neues Monster ein : die Securitate, diese dunkle Macht, ohne die das ganze Drehbuch nicht hätte funktionieren können und die wohl noch einige Zeit für Horrorgeschichten gut sein wird – die oft viel banaler und darum umso erschreckender war als das Pistolengefuchtel im Film.

Was mich aber am ehesten irritiert, war der Umstand, wie hier meine Heimat entfremdet wird, als habe Bert Brecht beim Drehbuch als Berater mitgemacht. Spätestens seit der Verfilmung von Schlattners „Der geköpfte Hahn“ durch Radu Gabrea sieht sich der Kenner mit seltsamen Gestalten in den uns so vertrauten Landschaften konfrontiert: ein mit ungarischem Akzent sprechender sächsischer Pfarrer, ein polyglotter rumänischer Dorfpope, ein Hochdeutsch sprechender Zigeuner und Honterusschüler mit „reichsdeutschem“ Zungenschlag. Hatte Gabrea wenigstens noch die Einbettung der Handlung in vertraute Kulissen physischer und emotionaler Art verwirklicht, macht es einem die bekannte Umgebung des einstigen Bischofssitzes Birthälm schwer, sich in der „Heimat“ wiederzufinden: die Birthälmer Familie kann das R nicht rollen, kann auch nicht Sächsisch (in Birthälm?), die so genannten Rumänen können kein Rumänisch und werden von Nichtrumänen gespielt, die „letzte Sächsin“ im Dorf heißt Florescu und hat eine Ikone an der Wand etc.

Und weil wir uns im „spațiul mioritic“ befinden, müssen natürlich Schafe durch die Fabrik(!) laufen. Nie habe ich mich meiner Heimat fremder gefühlt als beim Anblick dieser vertrauten Umgebung – und das trotz so mancher Vertrautheiten: dem Lied vom Hontertstreoch, der allgegenwärtigen Tzuika, dem Spruch von dem nicht explodierenden Maisbrei, der Einrichtung der eher städtischen Wohnung der Dorfweisen und der längst zur Touristenattraktion gewordenen und von fremden Händen verwalteten Kirchenburg.

Was also hat dieser Fernsehabend bei mir bewirkt? Die Erkenntnis, dass sich die Wahrnehmung unserer ehemaligen (horribile dictu!) Heimat immer mehr von dem entfernt, was wir einst als Alltag erfahren haben, sich neue Mythen bilden, die diesem Landstrich einen ganz anderen Anstrich verleihen, als uns vertraut ist und den kennenden Betrachter in einen Zustand der Melancholie versetzen, den nur die erkennen, die ihre Heimat verloren haben.

Und was ist nun das Geheimnis in Siebenbürgen? Nun, diese Frage bleibt offen – hat der Protagonist den Weg zurück gefunden, auch zur verlassenen Liebschaft, oder ist deren Tochter viel- leicht seine und somit ein „Blutsband“ der noch immer divergierenden ethnischen Interessen? Sind wir Siebenbürger Sachsen also doch die häufig von deutschen und rumänischen Behördenvertretern zitierten „Brückenbauer“? Außerhalb der Welt der filmischen Wirklichkeit sieht es wohl anders aus und Geschichte, zu der wir geworden sind, lässt sich nicht rückgängig machen – und das ist kein Geheimnis, nicht einmal im Land hinter den Wäldern!

Jürgen Schlezack

Schlagwörter: Film, Siebenbürgen, Rezension

Bewerten:

28 Bewertungen: +

Neueste Kommentare

  • 10.06.2012, 11:06 Uhr von haraldgitschner: Lieber Jürgen, du hast soooo Recht, aber das ist die Realität! Liebe Gloria,du schreibst selber, es ... [weiter]
  • 10.06.2012, 10:53 Uhr von seberg: Jürgen Schlezack: "Was also hat dieser Fernsehabend bei mir bewirkt? Die Erkenntnis, dass sich ... [weiter]
  • 10.06.2012, 09:38 Uhr von gloria: Tatsächlich war es ein Unterhaltungsfilm!Die Hauptdarsteller waren gut,aber das Thema liegt weit ... [weiter]

Artikel wurde 4 mal kommentiert.

Alle Kommentare anzeigen.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.