29. Dezember 2013

"Wohl dem, der eine Heimat hat – wohl dem, der einen Zungenschlag hat!"

Eine Dichtung ist zeitlos, wenn sie eine Gefühlssaite anschlägt, die weiterschwingen kann und jederzeit Gültigkeit besitzt. „Auch der Schatten im Grün/ nur begrenzt,/ ohne Anspruch auf Zeit/ und auf Heimat./ Taub./ Frei sein wie die Wolken im Wind?“, schreibt der Dichter Franz Heinz während eines Aufenthalts in Duhnen. Heimat ist ein Gefühl, auch ein Gefühl der Freiheit. Die ist aber nicht immer real. Ein Anspruch auf Heimat wird von Heinz abgelehnt – fern von dieser. Aber der Gedanke an die Heimat ist nicht verdrängt. In unserer zunehmend virtualisierten Welt erleben Heimatgefühle eine Wiedergeburt. Dieses Gefühl haben deutsche Gegenwartsautoren aus Rumänien wiederentdeckt. Ihre Beiträge sind in einen Sammelband eingeflossen.
Nicht nur die Heimatfilme des Hunsrückers Edgar Reitz kommen gut an, sondern auch Werke deutscher Schriftsteller zum Thema Heimat. Auch die Themen der in dieser Anthologie vertretenen siebenbürgischen Schriftsteller drehen sich im engeren oder weiteren Sinne um das Gefühl der Heimat, um Erfahrungen und Erkenntnisse in der neuen und alten Heimat. Einige Autoren sind nicht nur Wanderer mit Doppelblick aus zwei Systemen in Rumänien und Deutschland, sondern interferieren auch zwischen der Welt der Siebenbürger Sachsen und der Banater Schwaben: Horst Samson, der im Bărăgan geboren, im Banat aufwuchs und in Siebenbürgen zur Schule ging, oder Ilse Hehn, im Banat geborene und in Mediasch tätige Lehrerin, auch sie ist eine Schriftstellerin zwischen zwei Welten, ebenso Franz Heinz, der vom Banat nach Österreich evakuiert wurde und nach dem Studium in Bukarest als Redakteur des Neuen Weg tätig ist.

Diese Autoren sind nicht nur Banater oder Siebenbürger, sie sind auch Wanderer zwischen verschiedenen Welten, Kulturen, Traditionen und Systemen. So schildert Hans Bergel in „Der Barackentrottel“ und „Der Major und die Mitternachtsglocke“ Erlebnisse aus der politischen Haft an der Donau. Klaus Hensel analysiert in seinen Gedichten „Beschnittenes Leben“, „Versimstes Glück“ oder „Der Koffer meiner Mutter“ oder „Taxi“ Erinnerungen, Reflektionen auf Reisen. Franz Hodjak ist angekommen in „Riemenschneiders Heilig-Blut- Altar“, im Blau der Bilder von Yves Klein, im Gedicht „Ausführung“ oder bei den „Walen“ Tomi Ungerers.

Rolf Bossert, dessen tragischer Tod bekannt ist, ist in der Anthologie mit seinem Gedicht von „Einem, der nie ankam“ vertreten und spricht vom „Niemandsland von Vaterland und Muttersprache“. Von Frieder Schuller stammt in der Sparte „Dramatik“ das Stück „Ossis Stein oder Der werfe das erste Buch“. Der kürzlich verstorbene Ingmar Brantsch ist vertreten mit einem Essay über die deutschsprachige Literatur in und aus Rumänien. Zu diesem Thema stammen auch die Analysen von Peter Motzan und Olivia Spiridon.

Siebzehn Autoren der von Horst Samson, Generalsekretär des Exil-P.E.N., herausgegebenen Anthologie „Heimat – gerettete Zunge“, davon neun Siebenbürger, sieben Banater Dichter und eine Literaturdozentin, schildern „bestimmte Einblicke in politisch brisante Phasen der rumänischen Nachkriegsgeschichte“, die „repressiven Erfahrungen mit dem kommunistischen Regime“, „Geschichten aus dem Hinterland“, die „dörfliche Gemeinschaft“ aus einer „untergehenden Welt, die längst ihre magische Anziehungskraft verloren hat“ – so Wolfgang Schlott, Vorsitzender des Exil P.E.N.-Clubs, im Vorwort. Die Autoren der „poetisch verdichteten Reflexionen“ sind: Hans Bergel, Ingmar Brantsch, Walter Engel, Franz Heinz, Ilse Hehn, Klaus Hensel, Franz Hodjak, Johann Lippet, Peter Motzan, Gerhard Ortinau, Horst Samson, Helmut Seiler, Olivia Spiridon, Dieter Schlesak, Frieder Schuller, Balthasar Waitz, Renate Windisch. Die Aufteilung in Prosa, Lyrik, Dramatik und Essays widerspiegelt die volle Bandbreite literarischen Ausdrucks.

So unterschiedlich Stil, Ausdruck, Sprache und Form der Beiträge auch sind, vereint alle Autoren ihre Herkunft aus Rumänen sowie die Erlebnisse und Erfahrungen zweier Gesellschaftssysteme und Kulturen. Der Titel der Anthologie ist dem Gedicht „Die gerettete Heimatzunge“ von Hellmut Seiler entlehnt: „Zunge, gerettete Heimat…/ Wohl dem, der eine Heimat/ Wohl dem der eine Zunge/... vergraben hat“ – ein Zitat, angelehnt an Friedrich Nietzsches Gedicht „Die Krähen schrei'n“: „Wohl dem, der jetzt noch – Heimat hat!“

Auf den Punkt gebracht hat die Literaturdozentin und Autorin Renate Windisch die Absicht der Anthologie in ihrem Essay „Zwei Generationen, ein Tisch – Literatur jenseits der Vaterländer“ mit einem Vergleich der Dichter Hans Bergel und Horst Samson. Beide thematisieren Heimat „im engeren (regionalen) und weiteren (metaphorischen) Sinn“, um „die ‚gerettete Zunge‘, in vielfältiger dichterischer Artikulation“. Samson, der in seinem Gedicht „Pünktlicher Lebenslauf“ den Blick des Vaters mit jenem des Sohnes vereint, wird zum Mitwisser der Erlebnisse und des Schweigens, wie seinem Prosastück „Exkurs über die Endlosschleife“ zu entnehmen ist. Ilse Hehn, die zurückkehrt nach Temeswar, reflektiert: „T. eine Stadt wirre Ver/ flechtungen das Wort nicht auf/ gehoben vermisst ein/ Grinsen…“. Horst Samson nimmt in „Die Vermessung der Traurigkeit“ Abschied von „Wörtern,/ Landschaften,/ Vom Schicksal der Vögel,/ Dem Wind“ und von der Heimat, der „alten Welt“, die er verlässt. Sein Kopf wird zur „Urne der Erinnerungen“.

Johann Lippet reflektiert in seinem Poem „Hyperlinks“ über „Akazienblütenduft“, „Turteltaube“, den „Sparherd“ und „Schwengelbrunnen im Hof“ – Erinnerungen aus dem Haus seiner Kindheit im Banater Dorf Wiseschdia. Viele Autoren pflegen den Doppelblick und gelten zu Recht nicht als Heimatdichter. Die deutschen Autoren aus Rumänien hingegen sind nicht nur Doppelblickende, sondern haben auch Doppel-Lebensläufe; sie sind „Dolmetscher einer Erfahrung“, wie Peter Motzan im Essay „Eine Erfolgs- und /oder eine Endzeitgeschichte?“ zitiert.

Katharina Kilzer

Horst Samson (Hrsg.): „Heimat – gerettete Zunge. Visionen und Fiktionen deutschsprachiger Autoren aus Rumänien. Eine literarische Begegnung“ (mit einem Vorwort von Prof. Dr. Wolfgang Schlott), Ludwigsburg Pop-Verlag 2013, 373 Seiten, Preis: 25 Euro. ISBN: 978-3-86356-051-5.

Schlagwörter: Rezension, Literatur, rumäniendeutsche Literatur

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