6. Januar 2014

Keine Kollektivschuld, aber kollektive Verantwortung: Kirche in der kommunistischen Diktatur in Rumänien

Auslöser des Sammelbandes „Aus dem Schweigen der Vergangenheit. Erfahrungen und Berichte aus der siebenbürgischen Evangelischen Kirche A.B. in der Zeit des Kommunismus“ war nicht zuletzt eine öffentliche Äußerung der Nobelpreisträgerin Herta Müller, in der ein Versagen der Kirche während der kommunistischen Diktatur angedeutet wird. Im Februar 2011 hatte dann Hermann Schuller, Vorsitzender der Gemeinschaft Evangelischer Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben im Diakonischen Werk der EKD e.V. (Hilfskomitee), sämtlichen Pfarrern, die diese Zeit erlebt haben, ein Rundschreiben zugeschickt. Darin fordert er sie auf, aus ihren „Erfahrungen und Einsichten“ (S. 11) zu erzählen.
Das Ergebnis ist ein stattlicher Band mit einem Vorwort des Herausgebers, dem erwähnten Rundschreiben und einem Geleitwort von Altbischof D. Dr. Christoph Klein, der meint, „dass man nicht von einer kollektiven Schuld der Kirche ausgehen könne, sich aber einer kollektiven Verantwortung für sein Handeln stellen müsse“ (S. 13). Anschließend kommen 25 Pfarrer, zwei Lehrer, ein Arzt, ein Architekt und ein Journalist zu Wort.

Die Beiträge variieren in Umfang und Gewichtigkeit. Einige Themen werden immer wieder leitmotivisch aufgenommen und mit persönlichen Beispielen veranschaulicht. So geht es meist um die Einzelerfahrungen mit dem Staatssicherheitsdienst, um die Stellung der Kirchenleitung, um heimatpolitische Probleme und die Auswanderung.

Eine Sonderstellung nimmt der Bericht von Gerhard Gross ein, der auf 74 Seiten über seine politische Haft als Folge des Schwarze-Kirche-Prozesses (um Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel in Kronstadt) erschütternde Erlebnisse schildert. Gross vertritt hier die Ansicht, dass Eginald Schlattners Frühroman „Gediegenes Erz“ der geistige Nährboden der „Edelsachsen“ gewesen sei, eine Bezeichnung, die offensichtlich von der Securitate erfunden wurde. In diesem Buch geht es um Jugendliche, die mit Hilfe von einsichtigen Staatsführern die Vision einer besseren Zukunft durchsetzen. Tradition und Neuerung begegnen sich und finden ihre Synthese in einer „coniunctio oppositorum“ (S. 118) - wohl angelehnt an den Begriff des Philosophen und Theologen Nikolaus von Kues „coincidentia oppositorum“, „Zusammenfall der Gegensätze“ (Anmerkung des Verfassers). Der damalige Theologiestudent Gross erinnert sich: „Eginald Schlattners Vision nahm 1956 und 1957 Gestalt an. Sie wurde zunächst von staatlichen Institutionen unterstützt, dann aber jählings von der Obrigkeit unterbrochen und zerstört“ (S. 118). Wie wir wissen, kursierte der Text als Manuskript heimlich unter den Sachsen, ist aber nie in Buchform erschienen. 1958 wurden dann 20 meist Jugendliche Siebenbürger Sachsen mit mehreren Jahren Haftstrafe als Staatsfeinde verurteilt.

Da die Beiträge zwar kritisch, aber im Zeichen der Versöhnung verfasst werden sollten, werden kaum konkret Securitate-Zuträger oder gar Mitarbeiter genannt, allerdings fällt es auf, dass etliche Dekane (Dechanten) als Handlanger des Geheimdienstes ins Zwielicht geraten waren. Zwei werden namentlich erwähnt: Hans Gunesch und Wied.

Über die flächendeckende Überwachung der Pfarrer und die einzelnen Einschüchterungsmethoden seitens der Securitate und der Polizei werden zahlreiche konkrete Begebenheiten geschildert, die von den „Befragungen“, des Verbotes, einen Weihnachtsbaum in der Kirche aufzustellen, des Verbotes, einen Kirchenchor einzurichten, bis hin zum Auffinden eines erschossenen Hundes (als Warnung) im Pfarrhof reichen. Erwähnt werden auch Namen der Staatsgewalt in Zivil, wie z. B. der Kommandant Genosse Andrei, ein gebürtiger Siebenbürger Sachse. (S. 325 f.)

Die Securitate verfuhr nach altbewährter Strategie. Es wurde Misstrauen gesät, so dass kein Pfarrer mehr seinem Amtskollegen trauen konnte und jeder zum verwundbaren Einzelkämpfer verdammt war. Viele Pfarrer berichten, dass ihnen als einziger seelischer Beistand nur noch die Gattin geblieben war, was aber auch offiziell nicht sein durfte.

Hoch brisant ist der Bericht, wo ein Pfarrer bei besonderen Bedrängnissen und Schikanen seitens der Geheimpolizei (er sollte regelmäßig Berichte schreiben) bei Bischof Albert Klein vorspricht und um Hilfe bittet. Nachdem ihm der Pfarrer seine Nöte mitgeteilt hatte, soll ihn der Bischof sichtlich gerührt mit den Worten „Ich freue mich, dass es Ihnen gelungen ist, die Nabelschnur zu durchtrennen; erzählen Sie den Kollegen von Ihrer Erfahrung“ (S. 150) umarmt haben.

So gab es offensichtlich seitens der Kirchenleitung zumindest moralische Hilfe, während auf politischer Ebene äußerste Zurückhaltung, wenn nicht Versagen moniert wird, was oft als Verantwortungslosigkeit empfunden wird (S. 144-145). So fühlten sich bei den Verhaftungen von zwölf Pfarrern 1960-61 diese alleingelassen. Sie kamen durch eine Generalamnestie 1964 wieder frei. Bei der Neueinstellung dieser ehemals Inhaftierten übte die Kirchenleitung wieder äußerste Zurückhaltung (S. 149).

Richtig angefeindet wird die Kirchenleitung von vielen Pfarrern in Verbindung mit der Ausreiseproblematik. Das Übereinkommen mit der EKD, dass keine ausgereisten siebenbürgischen Pfarrer in Deutschland eine Anstellung bekommen dürfen, empfanden viele als eine ungerechte Machtausübung. Zusätzlich kam die bischöfliche Verfügung, dass die Pfarrer mit dem Datum des Einreichens ihrer Ausreiseanträge nicht mehr ihren Beruf praktizieren durften (S. 341). Bedingt durch das erwähnte Abkommen wichen zahlreiche ausgewanderte Pfarrer nach Österreich und in die Schweiz aus, wo sie eine neue Heimat fanden. In diesem Zusammenhang versuchen die Pfarrer in ihren Beiträgen die Ursachen ihrer Aussiedlung zu vertiefen (S. 43, 158, 172, 189, 325) und die entschlossene unbeugsame Position des damaligen Bischofs Albert Klein darzustellen, wo auch sein bekanntes Diktum „Die Kirche wandert nicht aus“ (S. 175 ff.) zitiert wird.

Aus den Berichten geht hervor, dass es innerhalb der Pfarrerschaft geographisch bedingt zwei Gruppierungen gab: die einen, die in exponierten Gemeinden ihren Dienst versahen und mit ausländischen Touristen (die Meldepflicht wurde eingeführt) zu tun hatten, und die anderen, die in entlegenen Gemeinden fernab des Fremdenverkehrs ein relativ ungestörtes Leben führten. Systembedingte Angriffsflächen ergaben sich durch die religiöse Verkündigung in einem atheistischen Staat, der die Kirche als Auslaufmodell ansah, wobei auch hier eine gewisse Achtung vor der Religion bei einzelnen Mitgliedern der Securitate beobachtet wird. Zusätzlich gab es Ärgernisse aufgrund der deutschen Verkündigungssprache in einem weitgehend rumänisch geprägten Land.

Fazit: Die Kirchenleitung konnte zur Zeit der kommunistischen Diktatur die seelischen Nöte einzelner Pfarrer durch Empathie und gute Worte lindern, sie konnte oder wollte aber nicht dort eingreifen, wo es um offensichtliche willkürliche Akte der Staatsgewalt ging.

Für die Umschlaggestaltung des Buches zeichnet Anselm Roth verantwortlich, dem es gelingt, symbolträchtig und aussagekräftig auf rotem Hintergrund zwei sich entgegenkommende linke Hände wohl als Zeichen der Versöhnung darzustellen. Nicht immer scharf sind hingegen die in den Text eingestreuten Schwarzweiß-Fotos. Da sich noch weitere Zeitzeugen zu Wort gemeldet haben, scheint (nach Meinung des Herausgebers) ein Folgeband nicht ausgeschlossen.

Dr. Wolfgang Knopp

Hermann Schuller (Herausgeber): „Aus dem Schweigen der Vergangenheit. Erfahrungen und Berichte aus der siebenbürgischen Evangelischen Kirche A.B. in der Zeit des Kommunismus“, Schiller Verlag, Hermannstadt - Bonn 2013, 382 Seiten, ISBN 978-3941271-94-4. Das Buch ist zum Preis von 15,80 Euro auch zu beziehen bei: Hermann Schuller, Nelkenstraße 5, 68309 Mannheim, E-Mail: hermannschuller [ät] web.de, Telefon: (06 21) 7 18 84 46, Fax: (06 21) 7 18 84 47.

Schlagwörter: Rezension, Kirche und Heimat, Zeitzeugenberichte, Kommunismus, EKR

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Neueste Kommentare

  • 06.01.2014, 11:08 Uhr von gogesch: Das Buch ist wirklich lesenswert, obwohl es das Bild des sächsischen Dorfpfarrers früherer Tage ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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