27. Januar 2014

DVD „Nachbarn im Krautwinkel“ ist eine wertvolle Filmproduktion

Wer Günter Czernetzkys langjährige Serie von Kurzfilmen über Orte aus einigen siebenbürgisch-sächsischen Kulturlandschaften verfolgt hat, zuletzt „In vino veritas“, dürfte bei der neuen Serie von zehn Kurzfilmen über zehn ehemalige sächsische Orte aus dem Raum Fogarasch und sechs Bonusfilmen unter dem Titel „Nachbarn im Krautwinkel“ („Varza, capra și vecinii“) leicht staunen: Jammern und Klagen ist zwar auch angesagt („Vai, die Sachsen sind leider weg“, „Die Orte verfallen“, „Bestimmte Menschen im Dorf sind unverbesserlich“), jedoch weht aufnahmemäßig, inhaltlich, konzeptionell, farblich ein neuer Wind: Irgendwie offener, lockerer, heiterer, mit mehr Lebendigkeit, mit sauberer Kameraführung, zum Teil mit viel Geduld werden Mensch und Tier, Pflanze und Architektur ins Bild gesetzt.
Umrahmt und eng miteinander verwoben, schlängelt sich zwischen allen Ortsgeschichtlein ein bildstarkes Leitmotiv: Haustiervielfalt pur. Schweine, Rinder (hier immer wieder schwarze Büffel), Hühner, Gänse, Perlhühner, Pferde, Kälber, Hunde, Geißböcke, Ziegen – alle in einem wahren Naturparadies. Den Tieren wie dem Auge tut es ganz gut.

Die Sequenz „Die 13 Aufrechten aus Braller“ (Autor Magor Bacs) lässt einerseits deutlich erkennen, wie sehr man den Wegzug der Siebenbürger Sachsen vermisst („Noi foarte bine ne-am înțeles cu ei!“), andererseits leisten diejenigen, die noch zurückkommen, Erstaunliches: Renovierung der Kirche, Festtage mit Festgottesdienst. In „Felmern altert vor sich hin“ zeigt Maria-Laura Lupu, welche vielseitige gemeinschaftstragende Rolle sächsische Nachbarschaften früher hatten, wie sehr die Kollektivierung der Landwirtschaft in den 1950er Jahren harter Zwang des kommunistischen Regimes war. Mutig stellt Florin-Marian Păun in seinem Beitrag über Großschenk die Frage, ob wohl ein „Pädophiler“ (bezogen auf Pater Don Denidoff) nach 1990 im Ort als Wohltäter für Kinder gewirkt haben mag? Wie auch immer, der Grundtenor im Dorf lautet: „Wenn es einen neuen Don Bosco gäbe, wäre es besser!“ In Gürteln („Von allen Büffeln verlassen“) dokumentiert Alexandru-Ilie Munteanu den beklagenswerten Zerfall vieler Gebäude wie auch der alten geordneten sächsischen wirtschaftlichen und sozialen Dorfstrukturen („Wenn du einen sächsischen Hof betratst und einen rumänischen, konntest du den deutlichen Unterschied feststellen … Sie hatten auch fleißige Zigeuner!“). Heutige Besucher kommen zum Feiern und freuen sich, für Momente wieder zu Hause zu sein. Angela Zaporojan betitelt ihren Beitrag zu Kleinschenk „Für Gott und die Welt“ und lässt Dr. Carmen Schuster als Rückkehrerin breit und präzise erläutern, wie ein vom totalen Verfall bedrohtes Dorfzentrum (mit europäischen und rumänischen Mitteln) wieder aufgebaut, sinnvoll erneuert, und wie nach getaner Arbeit („Wir sind noch am Anfang des langen Weges!“) ein buntes, interethnisches Dorffest mit einem Festgottesdienst Menschen zusammenführen kann. Filoftea Andreea Stroe lässt in „Die ‚bösen‘ Urzeln von Marpod“ zunächst die böse Zeit der Russlanddeportation im Dorf (aus rumänischer Sicht dargestellt) erstehen und baut anschließend hervorragende Fotos von Urzeln aus den 1970er Jahren (von Wilhelm Roth) in ihren Film ein, um an die sächsische Zeit zu erinnern („Es tut uns leid, dass sie weg sind.“). Auch der Bürgermeister von Martinsberg, Ioan Beghea, und Gerhardt Dressend nehmen sich in Laura Colțofeans „Die toten Nachbarn von Martinsberg“ der harten Zeit der Deportation der Sachsen an, betonen dann deren alte Fähigkeit, von Neuem zu beginnen, fleißig und ordentlich vorwärts zu kommen und den Kommunismus innerlich abzuwehren („Kommunisten waren nur die ‚Zigeuner‘ und die ‚prăpădiți‘“). Nun ruhen sie friedlich im naturbelassenen Friedhof. Über die Zigeuner wird hier auch sehr positiv gesprochen und ihre handwerklichen Fähigkeiten gerühmt. Dieser Gedanke findet sich auch im nächsten Beitrag, „Heimat bleibt Heimat in Scharosch“, von Diana Horonceanu: „Wenn du den Menschen mit Respekt begegnest, erntest du Respekt!“. Es wird, wie so oft, das gegenwärtige Aussehen des Dorfes beklagt und die Aussiedlung der Sachsen bedauert, zugleich meint eine Frau (und dieser Gedanke erscheint mir neu), wir Sachsen seien eigentlich Rumänen, weil wir immer wieder in unsere Heimat zurückkommen, und wir benötigten 800 Jahre, um in Deutschland Deutsche zu werden. In „Nomen est omen in Seligstadt“ geht Rafaela Stir auch der Ansiedlung von Kolonisten nach dem Zweiten Weltkrieg nach, den Spannungen, die nicht ausbleiben konnten, ebenso dem Thema Nachbarschaften. Der Versuch, sie heute auch bei rumänischen Bewohnern zu beleben, zeigt erste Früchte. Ebenso das neue Jugendzentrum. Paul Popescu weist in „Die Armut regiert in Tarteln“ auf ein allgemein präsentes Thema hin: die hohe Arbeitslosigkeit auf dem Land. Die fleißigen Sachsen sind weg, die jungen Semester sind nach 1990 im Ausland auf Arbeitssuche, im Dorf macht sich Trostlosigkeit breit. Bürgermeister Sorin Suciu fasst zusammen: „Die Sachsen haben ihren Boden mit den Zigeunern bearbeitet. Wo es Sachsen gab, da gab es Zigeuner. Die Sachsen sind weg (weil ihre Pfarrer gingen). Die Zigeuner sind geblieben …“ Und irgendwie geht es in dieser Serie doch auch um das liebe Kraut: Ernte, Krauterntedankfest, dampfende Krautwickel in der Festküche.

Die Bonus-DVD (vorwiegend in deutscher Sprache) beginnt mit einem Zeichentrickfilm mit bunten Farben und heller Kindermusik. Präsentiert wird sehr ausführlich und überzeugend das nachahmenswerte Projekt des Instituts für Auslandsbeziehungen aus Stuttgart „Kinderspielstadt Danubius“ von 2012 im Jugendzentrum Seligstadt – alles mit Untertiteln, die sonst leider in den Beiträgen wieder fehlen. Die fröhlichen Kinder aus Rumänien, Serbien, Kroatien, Deutschland, die „tagsüber deutsch sprechen und nachts deutsch träumen“, der Aufbau, die Gestaltung, die Initiative, das Engagement, die Arbeit, der Sport, das Spiel, die Freude pur – sie machen neugierig, sie laden zum Mitmachen ein. Weitere kurze Einblicke, zum Teil mit beeindruckenden Bildern und Weisen, vermitteln ein „Zitat aus Gürteln“ von Martin Nudow und Thomas Beckmann (2003), ein Zitat aus dem Film „Wunden“ von Günter Czernetzky (1993) – „Wahre Freundschaft“ so eindringlich bei der Rübenernte gesungen, das erreicht jedes Herz - die Dokumentation der heiteren, beschwingten „Gross-Schenker Tage 2013“ von Helmut Melzer, sowie das knappe „Memento“ aus Mergeln und besonders der krauthaltige Höhepunkt „Festivalul verzei“ in Meschen von Gabriel Mirea mit viel Kraut, Musik und Tanz bei Sommerwetter.

Die einzelnen Beiträge, wieder von Student(inn)en der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt erarbeitet, zeigen neue Begabungen, viel Einfühlungsvermögen und beachtenswerte Qualität. Das Projekt wurde wieder gefördert über das Haus des Deutschen Ostens München sowie vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Es sei wieder darauf hingewiesen, wie sehr das Bestreben und das summa summarum erfolgreiche langjährige Projekt von Günter Czernetzky, siebenbürgisch-sächsische Landstriche unserer Tage thematisch von jungen rumänischen Filmemachern filmisch festzuhalten, sehr lobenswert bleibt. Auch „Nachbarn im Krautwinkel“ lässt aufhorchen und ist als eine weitere wertvolle, weil sehr realistische Filmproduktion, in der (angehende) junge rumänische Filmjournalisten siebenbürgisch-sächsische Vergangenheit und Gegenwart kennen lernen und filmisch verarbeiten, Interessenten zu empfehlen.

Horst Göbbel




Die DVD (einschließlich Bonus-DVD) kann bezogen werden zum Preis von 15 Euro zuzüglich Postgebühr (1,45 Euro) bei: Bettina Schubert, Fritschestraße 77, 10585 Berlin, E-Mail: rubicongbr[ätgmx.de und im „Notfall“ mobil: (01 79) 1176456. Eine Fassung mit deutschem Untertitel soll in der zweiten Jahreshälfte vorliegen.

Schlagwörter: DVD, Czernetzky

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