11. Mai 2014

Protokoll eines Kesseltreibens: Securitate-Akten des Dirigenten Erich Bergel

In größerem Format und umfangreicher als die bisherigen Bücher, die Gheorghe Mușat in vergangenen Jahren über den Dirigenten und Musikwissenschaftler Prof. Dr. h.c. mult. Erich Bergel veröffentlichte, erschien vor kurzem die zweite Auflage seines Buches „Lumini și umbre. Din nou despre Erich Bergel, cu documente preluate din arhive CNSAS“, „Licht und Schatten. Von neuem über Erich Bergel, mit Dokumenten aus dem CNSAS-Archiv“, Verlag Ecou Transilvan, Klausenburg. Mușat ist emeritierter Professor der Klausenburger Musik-Akademie und langjähriger Solo-Trompetist des Philharmonischen Orchesters Klausenburgs. Für sein Buch über den aus Rosenau im Burzenland stammenden Erich Bergel (1930-1998) wurde er 2012 mit dem „Großen Preis der Nationalen Bücher-Schau“ Rumäniens ausgezeichnet.
Prof. Gheorghe Mușats neues Werk umfasst über 360 Seiten. Die „überarbeitete und ergänzte“ Auflage 2014 enthält als Beigabe zwei CDs mit Fragmenten aus den Brahms-Symphonien, die Bergel 1994 mit des Klausenburgern einspielte, und ein auf den „Februar 2014“ datiertes Vorwort des in Deutschland und Italien lebenden Bruders Dr. h.c. Hans Bergel.

Was ist das Neue an dieser zweiten Auflage? Hatte sich Gheorghe Mușat bei der Abfassung der ersten Auflage auf Securitate-Akten stützen können, die ihm Hans Bergel – mit der Einschränkung: „Sie sind unvollständig“ – zur Verfügung stellen konnte, so basiert diese zweite Auflage auf einer Fülle bisher unbekannter Akten, deren Studium Mușat möglich war. So wurde das jetzt vorliegende Buch zu einer beachtenswerten Sammlung von „note informative“, „fișe personale“, „note raport“, „rapoarte informative“, „procese verbale“, „referințe“ usw. – wie auch immer die Fachbezeichnungen dieser Art Papiere geheißen haben mögen. Mușats erstes Buch, „Amintirile mele despre Erich Bergel“ („Meine Erinnerungen an Erich Bergel“), 2008, war aus der Sicht des engen Freundes und Musikerkollegen geschrieben worden. Die beiden folgenden Bücher – und nun insbesondere dieses letzte – wurden zu Sammlungen von Texten, deren sich die Securitate über Jahrzehnte hinweg bei der Beobachtung des über die Grenzen Rumäniens hinaus berühmten Dirigenten bediente; Bergel war durch seinen Prozess 1959 und seine Gefängnisjahre 1959-1962 erst recht zum Observationsobjekt geworden. Das Interesse richtete sich umso mehr auf ihn, als auch sein Bruder, der Schriftsteller Hans Bergel, mehrfach eingesessen hatte und seit der Emigration, 1968, als kritischer Journalist dem Bukarester Regime auf das Äußerste unangenehm geworden war.

Buchumschlag: Erich Bergel 1992 am Pult des ...
Buchumschlag: Erich Bergel 1992 am Pult des Philharmonischen Orchesters Tokio
Was bisher an Publikationen im Zusammenhang mit Securitate-Dossiers bekannt wurde – vor allem im Zusammenhang mit öffentlichkeitsrelevanten siebenbürgischen Persönlichkeiten –, wirkte weitgehend ernüchternd. Gheorghe Mușat fügt diesen Ernüchterungen eine adäquate hinzu: Die Namen erster, landesweit im Bereich der Kultur, des Musiklebens Rumäniens ehemals bekannter und bis heute geschätzter Personen stellen sich bei der Lektüre seines Buches als Securitate-Informanten und -Zuträger heraus, die, zum Teil aus Kollegenneid, zum Teil aus chauvinistischen Gründen, der Laufbahn des Dirigenten Erich Bergel und dessen Privatleben mit allen erdenklichen Informationen Schaden zufügten. Wem die Namen besonders aus dem Musikleben Klausenburgs und Bukarests jener Tage noch einigermaßen geläufig sind, liest sich kopfschüttelnd, ja erschrocken durch das Buch, das – unter dem Strich – als Protokoll eines Kesseltreibens auf hohem gesellschaftlichem Niveau gegen den „beachtlichsten (cel mai remarcabil) Dirigenten Rumäniens jener Jahre“ (Mușat) bezeichnet werden kann. Rumäniens bedeutendes Autorenehepaar Ana Blandiana und Romulus Rusan hatte Prof. Mușat für dessen vorausgegangenes Bergel-Erinnerungsbuch am 11. Oktober 2008 mit folgenden Zeilen gedankt: „Wir danken Ihnen bewegt für die vortreffliche Dokumentationsstudie über Erich Bergel, den wir im Herzen tragen, seit wir ihn am Dirigentenpult der Klausenburger Philharmonie sahen.“ Wie wohl werden die beiden – Bewunderer und Sympathisanten Erich Bergels – auf Prof. Mușats Enthüllungen des Jahres 2014 reagieren?

Diese erhalten ihren Wert nicht nur durch die Fülle der veröffentlichten Securitate-Papiere, die ein neues Licht auf Erich Bergels Künstlerbiografie werfen, sondern – und nicht zuletzt – dank Gheorghe Mușats Mut, sakrosankte Namen des rumänischen Kulturlebens der fraglichen Jahre der Öffentlichkeit preiszugeben. Mușat verfährt ohne Rücksichtnahme – seit Erscheinen des Buches setzt er sich aus diesem Grund Anwürfen und Anfeindungen aus. Dem hält er entgegen: „Veți cunoaște adevărul, și adevărul vă face liber.“ („... ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Joh. 8, 32.)

Und natürlich hatte Mușat es bei seinen Nachforschungen auch mit verschwundenen Aktenstücken zu tun. So konnte er z.B. für seine Information aus erster Hand über eine Denkschrift („memoriu“) von vier der bekanntesten Orchesterdirigenten des Landes in Sachen Erich Bergel den Beleg nicht finden: Die Denkschrift war an Elena Ceaușescu, die mächtige Ehefrau des Staatschefs, gerichtet und legte der Empfängerin mit frei erfundenen Argumenten nahe, der Dirigentenlaufbahn ihres Kollegen Erich Bergel ein Ende zu bereiten.

Prof. Gheorghe Mușat verfasste eine informations- und beziehungsreiche Einführung in die Zeitereignisse, übertrug die gelegentlich kaum lesbaren Archiv-Texte in Reinschrift und veröffentlichte im Anhang Briefe über und von Erich Bergel (darunter eine Zurechtweisung an Heinrich Zillich, 1898-1988, vom 15. Januar 1969), er steuerte Fotos des Dirigenten aus seinem Privatarchiv bei u.a.m. So wurde sein Buch zu einer Publikation mit Seltenheitswert – abgesehen vom Gewicht des zeitgeschichtlichen Dokuments auch deswegen, weil hier ein Rumäne über einen Deutschen schreibt und sich dabei nicht von Eingrenzungen nationaler Natur, sondern von Beweggründen des menschlichen Anstands leiten ließ, deren erstes Kennzeichen allemal die Wahrheit ist.

Dr. Kurt Hornbach


Gheorghe Mușat: Lumini și umbre. Din nou despre Erich Bergel, cu documente preluate din arhiva CNSAS. Ediția a II-a. Editura Ecou Transilvan, Cluj-Napoca. 360 Seiten. Mit einem Vorwort von Hans Bergel und einer Einführung von Gheorghe Mușat. Zahlreiche Abbildungen (Porträtfotos, Original-Akten, Briefe); zwei CDs mit Einspielungen aus den Brahmssymphonien, Erich Bergel mit den Klausenburger Philharmonikern, 1994, zu bestellen für 20 Euro (einschließlich Versand) bei Gheorghe Mușat, str. Artelor 31, RO-400439 Cluj-Napoca; Handy: (0040-747) 207524.

Schlagwörter: Buch, Bergel, Musiker, Securitate

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