26. Oktober 2025

Vergangene Zeiten erwecken: Geschichten aus Mühlbach im Unterwald

Mühlbach – eine kleine Stadt im Nirgendwo? Weit gefehlt, wenn man so über Orte in Siebenbürgen denkt. Dieses Städtchen unterscheidet sich im 19. Jahrhundert kaum von anderen europäischen Kleinstädten. Das vermitteln Josef Schoppelts Erinnerungen an Ereignisse und Erfahrungen während des langen und erfüllten Lebens in seiner Heimatstadt. Klaus-Peter Stefan hat die Schriften dieses bemerkenswerten Bürgers der Stadt gesammelt und unter dem Titel „Spuren vergangener Zeiten. Mühlbach in Siebenbürgen im 19. und frühen 20. Jahrhundert“ neu herausgegeben.
Der Band enthält eine beachtliche Zahl unterschiedlicher Texte, von denen viele noch zu Lebzeiten des Autors Josef Schoppelt in verschiedenen Publikationen erschienen sind. Diese beschreiben das Leben in Mühlbach, Institutionen, die dieses Leben im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestimmt haben, historische Ereignisse, an die er sich erinnert, und manchmal sind es Gedankensplitter, die aufzuschreiben ihm wichtig war.

Die Vielfalt an Informationen über das tägliche Leben in Mühlbach vermittelt ein buntes Bild dieser Stadt, das Auskunft über die Wohnungssituation, die Ausbildung der Kinder und Jugendlichen, die Feuerwehr, das Post- und Verkehrswesen gibt, um nur einige Lebensbereiche zu nennen, die in dem Buch beschrieben werden. Die Darstellung der gesellschaftlichen und beruflichen Organisationen wie z.B. die Bruderschaft, die Nachbarschaft und die Tschismenmacherzunft geben Einblick in das tägliche Miteinander in der Gemeinschaft. Zum Schmunzeln sind die Geschichten, die an das Original „Schmidentitz“ erinnern und die auch Josef Schoppelt selbst sehr amüsant fand. Der Verweis auf historische Ereignisse und deren Ablauf wie z.B. die Revolution von 1848/49 ergänzen dieses Bild und verdeutlichen die bemerkenswerte Erinnerungsgabe des Autors.

Ein persönlicher Lebenslauf des Autors ist in eine Familienchronik eingebettet. Diese Chronik der erweiterten Familie Schoppelt ist Anlass alltägliches Leben beispielhaft zu schildern und bietet Gelegenheit, viele verschiedene Aspekte des Daseins in der Kleinstadt darzustellen. Eindrucksvoll sind die Reflexionen des Autors zu Lebensfragen im hohen Alter. Sie lassen erkennen, dass der alternde Handwerker zu weisen Erkenntnissen gelangt ist und diese auch jüngeren Generationen vermitteln möchte.

Die Leserschaft erfährt, dass Josef Schoppelt, der Tschismenmachermeister in Mühlbach, ein pflichtbewusster Bürger war, der sich in die Gemeinschaft einbrachte und aktiv am öffentlichen Leben teilnahm, der konstruktiv den Herausforderungen des Alltags begegnete und seine Mitmenschen durchaus auch kritisch sah. Ein für ihn wichtiges Anliegen wird in den Texten deutlich: Es geht ihm nicht rein um persönliches Erleben, sondern darum Gemeinschaftsleben aufzuzeichnen. Für ihn steht seine Heimatstadt im Mittelpunkt seiner Darstellung. Er spricht Veränderungen im Leben der Stadt an, besondere Ereignisse seiner Zeit beschreibt er und sichert damit historische Fakten. Er erstellt ein Verzeichnis alter Namen von längst verstorbenen Bürgern und von Besitzverhältnissen im Stadtkern, womit er auch auf die langjährige und bewegte Geschichte von Mühlbach aufmerksam macht.

Die Schriften werden eingeleitet und ergänzt durch umfangreiche Erläuterungen des Herausgebers, die dieses Buch für eine breite Leserschaft interessant machen. Es wendet sich an ehemalige Mühlbacher, die etwas über die Vergangenheit ihrer Heimatstadt erfahren wollen, aber auch an Leserinnen und Leser ohne direkten Bezug zu Siebenbürgen im Allgemeinen oder zu Mühlbach im Besonderen, weil die ergänzenden Kommentare und Erläuterungen äußerst aufschlussreich sind. Präzise Quellenangaben zu diesen Erläuterungen und Kommentaren ermöglichen weitere Informationen zu einzelnen Details und zeigen so Wege für mögliche Forschungsfelder auf.

Zudem wird die Edition durch zwei Anhänge ergänzt, die dieses Buch als Grundlage wissenschaftlicher Arbeit empfehlen können. Sie enthalten Kartenmaterial und eine den lokalen Gegebenheiten entsprechende mehrsprachige Auflistung von Ortsnamen sowie ein Personenverzeichnis, das schnellen Zugang zu einzelnen Informationen ermöglicht. In diesem Teil wird auch auf eine Besonderheit bezüglich der Herkunft zahlreicher Bewohner in Mühlbach verwiesen, die aus Durlach und dem Hanauer Land nach Siebenbürgen auswanderten und sich gerade in Mühlbach in großer Zahl niederließen.

Schließlich sollte auch die inhaltliche und äußere Gestaltung dieser Neuerscheinung genauer betrachtet werden. In seinen editorischen Hinweisen erläutert der Herausgeber detailliert seine Arbeitsmethode und begründet die vorgenommene Gliederung der Schriften, die thematischen Kriterien folgt. Zusätzlich sind den einzelnen Texten zahlreiche Bilder zugeordnet, die den Bezug zu den Ereignissen in der Vergangenheit visuell erweitern und damit erleichtern. Das vielseitige Kartenmaterial unterstützt vor allem die Leserschaft, die den geographischen Raum, in dem Mühlbach zu verorten ist, nicht kennt.

Abschließend sei noch ein Wort zum Bucheinband gesagt: Titel und Untertitel verweisen ganz allgemein auf den Inhalt der Publikation und darauf, dass es in dem Buch um die Stadt Mühlbach in Siebenbürgen geht. Diese Information wird durch das gewählte Bild zusätzlich betont – die Mühlbacher Kirche steht stellvertretend für die Stadt und ihre Bewohner. Die Symbolkraft dieses Bildes im Zusammenspiel mit dem Wasserzeichen wirkt nachhaltig.

Daher ist es naheliegend festzustellen, dass diese Publikation auf besondere Weise die Schriften über die Stadt Mühlbach im Unterwald und ihre Bewohner bereichert.

Maria Maurer

Josef Schoppelt: „Spuren vergangener Zeiten. Mühlbach in Siebenbürgen im 19. und frühen 20. Jahrhundert“. Herausgegeben von Klaus-Peter Stefan. Cardamina Verlag, Koblenz, 2025, 230 Seiten, 32 Euro, ISBN 978-3-86424-677-7. Bestellung im Buchhandel oder online: https://www.cardamina.net/artikeldetails.php?aid=1150

Schlagwörter: Buch, Mühlbach, Erinnerungen

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