3. September 2014

Auf dem Laufenden sein, um dem eigenen Leben zu entkommen

Ion Luca Caragiales Welt kennt jeder – ob er aus der Levante oder dem wilden Westen stammt. Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben erinnern sich gleichermaßen an Mitică, die unsterbliche literarische Figur des bekanntesten rumänischen Dramatikers.
Mitică – ein kleiner Angestellter Ende des 19. Jahrhunderts in der großen Stadt Bukarest, seine Lebensmomente fängt Caragiale in „Skizzen“ ein: Auf der Straße und im Büro, in Kneipen und Kaffeehäusern, ja selbst im Park treffen wir den geschwätzigen Helden an. Unentwegt fragt er, was die Zeitungen sagen. Denn allein darauf kommt es an: Das, was die Medien als wichtige Nachricht transportieren, wird in der Öffentlichkeit zum Spektakel breit getreten. Was wäre ein Alltag ohne Katastrophen und Skandale!

Demnach kommt dem Journalisten eine gewichtige, weil substanzspendende Rolle zu, als „Bäcker der Intelligenz“ (Übers. M. Mattusch) schreibt er über alles, ohne je über irgendetwas nachgedacht zu haben. Er versteht sich als dankbarer „Dienstleister“ eines Bürgers, der immer auf dem Laufenden sein möchte, um dem eigenen Leben zu entkommen und den anderen einen Schritt voraus zu sein. Über Letztere redet und urteilt er ausgiebig, während Ersteres in der Belanglosigkeit untergeht.

Der Bedeutung der Medien sowie der Inszenierung, die sie in Gang setzen und durch ihre Leserschaft perpetuieren, gingen Literatur- und Sprachwissenschaftler auf der XXXII. Romanistentagung in Berlin nach. Dank der Österreichisch-Rumänischen Gesellschaft liegen die Tagungsergebnisse in diesem Band vor. Caragiale ist in diesem Band nur einer von vielen Schriftstellern, nicht nur hellhörig, sondern auch hellsichtig. Er erkannte und überführte jenen, der uns heute immer noch verfolgt – den Reporter, „ein Glücksritter, dem jede Krise – vor allem aber ein Krieg – Anlass zum Gründen einer Zeitung werden kann“.

Dass die Medien zwar hellhörig, aber nicht immer hellsichtig sind, zeigt Edith Ottschofski in ihrem Beitrag „Wie gerät ein rumäniendeutsches Thema in die Schlagzeilen? Der Fall Oskar Pastior“. Akribisch hat die Wissenschaftlerin das gesamte Material gesammelt, das uns die Presse im September und Oktober 2010 in den Alltag spülte. Dabei handelt es sich nicht nur um bundesdeutsche, rumäniendeutsche und rumänische Medienerzeugnisse, sondern auch um internationale Beiträge, die, je ferner sie vom Handlungsschauplatz erscheinen, umso undifferenzierter in den Chor der Mythenbildner und Vorurteilsstifter einstimmten.

Was mit einem in der Fachzeitschrift Spiegelungen publizierten „ausführlichen und vorsichtigen Artikel“ des Literaturwissenschaftlers Stefan Sienerth begann, endete in einem Schlagzeilen-Terror, der zeigt, wie lüstern Reporter nicht nur zu Caragiales Zeiten nach skandalträchtigen Themen gieren. Dass Oskar Pastiors Informantentätigkeit für die rumänische Staatssicherheit (Securitate) von 1961 bis 1968 zu einem „Fall“ hochstilisiert wurde, bevor die Faktenlage untersucht worden wäre, bestätigt bitter Pastiors Satz, den Ottschofski in ihrem Beitrag abschließend zitiert: „Wenn ich eine Botschaft hätte (…), dann wäre es eben diese, die Leser, die Zuhörer hellhörig zu machen für Unterschiede. Eben damit sie nicht auf Schlagworte, Schlagzeilen, auf grobe, vorschnelle Verallgemeinerungen, die ihnen überall ringsherum angeboten werden, hereinfallen.“

Der Tagungsband bietet viele weitere Beispiele zum Umgang mit medialen Fragestellung und medienwirksamen Lebensinszenierungen. So fragt Simona Antofi nach der Neubewertung der Exilliteratur in der rumänischen Presse heute, Dumitru Tucan analysiert die „Praxis des Kommentars“ in den rumänischen Online-Publikationen, Maren Huberty beschäftigen die stereotypen Bilder der Rumänen in der französischen Medienlandschaft. Fast als mediales Kontrastprogramm – vielleicht die Rettung aus Miticăs Gazetten-Verirrungen? – lesen sich die Beiträge von Michèle Mattusch und Brigitte Heymann über die Poetik Mircea Cărtărescus. Der Text lebt und atmet bei Cărtărescu wieder auf – in der „Texistenz“, die der Schriftsteller als „Leben-Leben, wie im Zen“ versteht. Geht das – Medialität ohne Medien?

Ingeborg Szöllösi (KK)

Maren Huberty, Michèle Mattusch und Valeriu Stancu (Herausgeber): „Rumänien. Medialität und Inszenierung“. Mit Beiträgen in deutscher, französischer und rumänischer Sprache, Verlag Frank & Timme, Berlin, 2013, 281 Seiten, 39,80 Euro, ISBN 978-3-86596-473-1

Schlagwörter: Rezension, Medien, Rumänien

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