12. Oktober 2014

Banater Schwabe mit Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet

Den Nobelpreis für Chemie erhalten in diesem Jahr der Banater Schwabe Stefan Walter Hell sowie die beiden US-amerikanischen Wissenschaftler Eric Betzig (Ashburn) und William Moerner (Stanford). Stefan W. Hell ist Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen und Abteilungsleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZH) in Heidelberg. Ihm ist ein großer Durchbruch in der Lichtmikroskopie gelungen, der neue wegweisende Erkenntnisse in der biologischen und medizinischen Forschung ermöglicht.
Hierzu gratulierte ihm der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk, MdB. Nach Herta Müller, die 2009 den Nobelpreis für Literatur erhielt, sei Stefan W. Hell bereits der zweite ehemalige Schüler des „Nikolaus Lenau Gymnasiums“ in Temeswar, der mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Dies belege die hohe Qualität des deutschsprachigen Schulwesens in Rumänien und den erfolgreichen Weg deutscher Aussiedler aus Osteuropa in der Bundesrepublik Deutschland, betonte Koschyk.

Josef Lutz, Vorsitzender der Heimatortsgemeinschaft Sanktanna, zeichnet im Folgenden den Werdegang des erfolgreichen Forschers nach.

Prof. Dr. Stefan W. Hell wurde am 23. Dezember 1962 in Arad geboren, stammt aber aus Sanktanna, der größten deutschen Gemeinde des Banats (ca. 9.000 Deutsche in den siebziger Jahren), wo er auch aufwuchs. Die Mutter Dietlinde geb. Oster war Lehrerin, der Vater Stefan Hell Diplom-Ingenieur im Maschinenbau. Das Elternhaus war voller Bücher, in die sich der angehende Schüler gerne vertiefte. Gesprochen wurde zu Hause hochdeutsch und Sanktanner schwäbischer Dialekt.

Der Banater Schwabe Stefan W. Hell wurde mit dem ...
Der Banater Schwabe Stefan W. Hell wurde mit dem Nobelpreis für Chemie 2014 ausgezeichnet.
In Sanktanna war er von der ersten bis achten Klasse Musterschüler und bei seinen Schulfreunden wegen seiner optimistischen Natur beliebt. Das „Nikolaus Lenau Gymnasiums“ in Temeswar besuchte er nur kurz, von Herbst 1977 bis Frühjahr 1978, da seinen Eltern im April 1978 die Ausreise nach Deutschland gelang. In Ludwigshafen-Oggersheim baute die Familie ein neues Zuhause auf. Dank seiner hervorragenden Sanktanner und Temeswarer Schulbildung in Mathematik, Physik, und Chemie überflügelte Hell schnell seine Ludwigshafener Mitschüler und machte seinen Abiturabschluss bereits nach der zwölften Klasse – statt der üblichen dreizehn. Interessanterweise war er auch der beste Schüler in Deutsch.

Ab 1981 studierte Stefan Hell Physik an der Universität Heidelberg und schloss im Jahre 1990 seine Doktorarbeit mit Auszeichnung ab. Während seiner Doktorarbeit kam er auf die Idee, etwas zu wagen, was in der Physik seit 1879 als unmöglich galt, nämlich die Schärfe eines Licht-Mikroskops zu verbessern. Seit den Arbeiten des Jenaer Physikers Ernst Abbe, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch die Firma Carl Zeiss leitete, galt, dass man mit Licht nie schärfer sehen kann als etwa die Hälfte der Lichtwellenlänge (etwa 1/100 einer Haaresbreite). So steht es bis heute noch in jedem Lehrbuch.

Stefan Hell erkannte aber, dass man mit Licht doch schärfer sehen könnte. Das ist für die moderne Biologie und Medizin sehr wichtig, weil man dann auch lebende Zellen studieren kann, was mit einem Elektronenmikroskop nicht geht. Seine Ideen sollten, wie sich später herausstellte, ein neues Forschungsgebiet begründen.

Doch zunächst war es nur eine Idee, die bewiesen werden sollte. Es folgten mehrere Stellen im In- und Ausland. Von 1991-93 arbeitete Hell als Postdoktorand am European Molekular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg. 1993 gab ihm die Finnische Akademie ein Stipendium, um eine Arbeitsgruppe in der Stadt Turku aufzubauen. Dort verbrachte er fast vier Jahre, unterbrochen durch zwischenzeitliche Aufenthalte im englischen Oxford. 1996 wurde das Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie auf ihn aufmerksam und bot ihm Mitte der neunziger Jahre, zunächst befristet, die Leitung einer Arbeitsgruppe an.

Der Banater Schwabe erhielt zahlreiche Rufe auf renommierte Professuren in London, Los Angeles, Harvard, Wien oder Heidelberg, die er jedoch ablehnte. 2002 wählte ihn die Max-Planck-Gesellschaft in das Direktorium des Göttinger Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie. Das von dem Chemie-Nobelpreisträger Manfred Eigen gegründete Institut ist eines der renommiertesten deutschen Forschungsinstitute, das auch die Medizin-Nobelpreisträger Erwin Neher und Bert Sakmann hervorgebracht hat.

Für seine bahnbrechenden Arbeiten ist Stefan W. Hell bereits vielfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Deutschen Zukunftspreis (2006), Leibniz-Preis (2008), Otto-Hahn-Preis (2009), Meyenburg-Preis (2011) und erst kürzlich, am 9. September 2014, in Oslo mit dem von der Norwegischen Akademie der Wissenschaften, der Kavli Stiftung und dem Norwegischen Ministerium für Bildung und Forschung verliehenen Kavli-Preis für Nanowissenschaften. Hell ist verheiratet und hat Zwillingssöhne und eine Tochter.

Hell hat die optische Mikroskopie revolutioniert. Mit zwei fokussierten Lichtstrahlen ist es ihm gelungen, das Auflösungsvermögen von Lichtmikroskopen, das bis dahin bei gut einem halben Mikrometer lag, um Größenordnungen zu verbessern. So können nun nur wenige Millionstel Millimeter (Nanometer) große Bestandteile lebender Zellen beobachtet werden. Hirnforscher können schon bald nach dieser Erfindung Molekülwanderungen in den Nervenenden von Hirnzellen verfolgen. Hell ist es gelungen, sogar einzelne Stränge der menschlichen DNS sichtbar zu machen.

Der in Göttingen lebende Physiker möchte die STED-Mikroskopie und ähnliche Verfahren für jedes biomedizinische Labor der Welt zugänglich machen, damit alle die Chance haben, Vorgänge in einer lebenden Zelle in großer Detailschärfe zu untersuchen. Hell möchte den Krebsforschern die besten Werkzeuge in die Hand geben, um Dinge zu sehen, die sie mit den bisherigen Methoden nicht sehen können. Seine neuen STED-Mikroskope werden von Leica in Mannheim und Göttingen schon auf den Markt gebracht. Mit dem Nobelpreis erhalten seine mit Hartnäckigkeit und Weitsicht betriebenen Forschungen einen enormen Antrieb und weltweite Anerkennung.

Josef Lutz

Schlagwörter: Banater Schwabe, Forscher, Auszeichnung, Naturwissenschaften

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