27. Oktober 2014

Europaweite Forschungsergebnisse zu Gregor von Rezzori

Mit (s)einem unergründlichen Lächeln scheint er dir tief ins Innerste zu blicken. Vielsagend ist es: gutmütig und auch etwas skeptisch, hintergründig forschend wie auch nachlässig abwartend, mit einem feinen Anflug von Ironie und Schalkhaftigkeit in den Mundwinkeln, der sich zu sarkastischem Spott steigern könnte, falls dieser Foto-Mund sich unerwartet öffnen sollte. Die Hände ruhen auf der Schreibtischplatte offenbar bereit, den spitzen Griffel des Satirikers, Humoristen und gefürchteten Spötters wieder aufzugreifen. Ein besseres Cover-Bild hätten die Herausgeber des neuesten Buches über Gregor von Rezzori nicht wählen können. Es illustriert bereits alle Facetten dieses vielseitigen Erzählers und (Lebens)Künstlers, die in diesem 573 Seiten umfassenden Buch mit dem vielsagenden Titel „Gregor von Rezzori – Auf der Suche nach einer größeren Heimat“ beleuchtet werden.
Das Buch erschien 2013 in der Reihe „Jassyer Beiträge zur Germanistik“ im Auftrag des Germanistiklehrstuhls der Alexandru Ioan Cuza-Universität Jassy. Mit dem Titel des Buches greifen die Herausgeber – die Jassyer Hochschuldozenten Prof. Dr. Dr. Andrei Corbea-Hoișie und Cristina Spinei – den Titel einer internationalen Tagung auf, die – wohl in Erwartung des 100. Geburtstages dieses literarischen Globetrotters (1914-1998) – in der ostrumänischen Stadt Jassy /Iași im Mai 2012 unter starker internationaler Beteiligung stattgefunden hatte. 35 hochkarätige Referenten aus neun europäischen Ländern waren angereist, um hier in Iași, also nahe der (verlorenen) bukowinischen ­Heimat des Geehrten, in einer viertätigen Marathonveranstaltung die neuesten Forschungsergebnisse zu Gregor von Rezzori zusammenzutragen. Das ist erstaunlich, denn um diesen begnadeten Erzähler, der in den 50er Jahren mit seinen humorvoll-geistreichen Fernsehauftritten und seinen exotisch schillernden „Maghrebinischen Geschichten“ ein Millionenpublikum erreichte, ist es still geworden.

Die emanzipierte Frauenbewegung der 68er und deren Nachfolgerinnen haben dem Bonvivant seinen genussvollen Umgang mit der Frauenwelt, die er durchaus nicht nur in seinen Büchern zu bewundern wusste, nie verziehen. Auch haftete Rezzori zeitlebens der Ruch des (lediglich) schlitzohrigen Entertainers an, den er sich durch eben diese „Maghrebinischen Geschichten“ erworben hatte. Und dennoch war es gerade sein Frühroman Ein Hermelin in Tschernopol (erschienen 1958), mit dem Rezzori auf Anhieb den internationalen Durchbruch schaffte. In schneller Folge reihten sich damals Übersetzungen ins Englische, Dänische. Französiche, Serbokroatische, Italienische, Spanische, Niederländische, Polnische usf. Die Hellsichtigkeit und Treffsicherheit von Rezzoris Urteilskraft, die Geschliffenheit seiner Sprache beeindruckten die Fachpresse und rückten ihn in die schriftstellerische Nähe von Marcel Proust und Robert ­Musil. Seine riesige (ehemalige) deutsche Fangemeinde hingegen nahm seine großen gesellschaftskritischen Romane (Ödipus siegt bei Stalingrad, Ein Hermelin in Tschernopol, Der Tod meines Bruders Abel u.a.), die das Zeitgeschehen seines Jahrhunderts so trefflich und hellsichtig schildern, nur am Rande wahr.

Es konnte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis Rezzoris hohe erzählerische Qualitäten, die Vielschichtigkeit seines Erzählwerkes neu entdeckt werden. Diesen Spuren in Rezzoris Leben und Werk gehen die Autoren des Buches mit 47 Einzelbeiträgen (von fast ebenso vielen Autoren) in acht pedantisch gegliederten Kapiteln nach, beginnend mit einem Umriss der Begriffe „Heimat & Landschaften“, die in Rezzoris Werk allgegenwärtig sind. In den Beiträgen (etwa von Martina Hainz, Linz, Wolfgang Müller-Funk, Wien, oder Cristina Spinei, Jassy) erkennt man Rezzori als den Weltbürger, der zwar als „vaterlandsloser Geselle“ in ganz Europa beheimatet war und der dennoch bekennt, dass er überall „wohin er auch gelebt wurde“, immer seine geliebte Bukowina im Herzen trug. Es ist die Welt der vielen Sprachen, Religionen und Lebensarten, die den Kosmos des bukowinischen Schmelztiegels ausmacht und das Herz und den Blick auf der Suche nach einer größeren Welt öffnet.

Zählt man allein die Herkunftsorte auf, aus denen die Referenten dieser Tagung kamen, allesamt namhafte Wissenschaftler, die gleichzeitig auch die Autoren dieses Buches sind, so wird klar, welch riesiges europaweites Interesse das „Phänomen Rezzori“ in der aktuellen literaturwissenschaftlichen Forschungswelt ausgelöst hat. Hier trafen sich Wissenschaftler aus Wien, Graz, Innsbruck und Budapest, aus Czernowitz und Jassy, Suczawa, Klausenburg und Bukarest, aus Genf, Berlin, Hamburg, Kiel, Freiburg und Heidelberg, aus dem französischen Dijon, Paris, Toulouse oder Sofia und dem italienischen Siena und Neapel.

Sie steuern in den weiteren Kapiteln „Identität & Masken“, „Geschichte & Fiktionen“, „Diegesis & figurae“ hochinteressante Tagungsbeiträge bei, untersuchen das Selbstdarstellerische wie auch die Transkulturalität Rezzoris, lassen die Figuren seiner Erzählungen, ausgehend von den Gestalten seiner frühen Czernowitzer Kindheit, neu erstehen, beleuchten das Psychoanalytische im so lebendigen Figurenkabinett Rezzoris, gehen der Frage des Antisemitismus nach und stürzen uns in die historischen Abgründe, die sich in Rezzoris Romanen auftun.

Die letzten Kapitel „Rezzori übersetzt“, „Materialien“, „Miscellanea“ (Vermischtes) runden das Bild ab mit Beiträgen zur Rezeptionsgeschichte wie auch zum Quellenmaterial, und lassen uns an einer äußerst lebendigen Diskussionsrunde teilnehmen, in der die Schwierigkeiten bei der Übersetzung Rezzorischer Texte zu Tage treten.

Ein Schlusskapitel wendet sich Rezensionen von weiteren Werken zu, die allerdings nur tangential in das Umfeld Rezzoris und seiner „verschleppten Epoche“ zuzuordnen sind.

Das großformatige Buch – erschienen 2013 in Zusammenarbeit der Editura Universității Alexandru Ioan Cuza, Iași, und des Hartung Gorre-Verlags, Konstanz – macht einen sorgfältig gestalteten Eindruck. Alle Artikel zeichnen sich durch hohe wissenschaftliche Akribie aus, versehen mit dem ganzen arbeitstechnischen Beiwerk an Fußnoten und Querverweisen. Man staunt zu Recht über das hervorragende Deutsch, das bei den vielen Autoren fremder Zunge nicht unbedingt zu erwarten wäre.

Hingegen sind die Reproduktionen des eher mageren Bildmaterials von sehr schlechter Qualität (Druck: Imprimeria Editurii Universității A. I. Cuza, Iași). Das ist schade, denn die z.T. erstmalig veröffentlichen Fotos wurden immerhin von der (dritten) Gattin Rezzoris, der Galeristin Beatrice Monti della Corte, aus dem Privatarchiv des letzten Wohnsitzes in Donnini (Italien) zur Verfügung gestellt.

Wer hier das große Rezzori-Lesebuch erwartet, sieht sich getäuscht. Es ist ein Buch vornehmlich von Spezialisten für Spezialisten, das allerdings auch dem interessierten Leser mannigfaltige und hochinteressante Anregung zu bieten hat. Das Fazit dieser Tagung (und auch des Buches) lautet denn auch: Rezzori ein sträflich vernachlässigter Autor, der – aus heutiger Perspektive – bereits erstaunlich viel von den spielerischen Ansätze postmoderner Schreibweise aufweist. Damit wird diese Sammlung von „Studien und Materialien“, so der Untertitel des Buches, zu einem berechtigten Aufruf, Rezzori neu zu entdecken.

Prof. Heinz Acker


„Gregor von Rezzori – Auf der Suche nach einer größeren Heimat. Studien und Materialen“, herausgegeben von Andrei Corbea-Hoișie und Cristina Spinei, 2013, Editura Universității „Alexandru Ioan Cuza“, Iași, ISBN 978-973-703-921-7, Hartung-Gorre Verlag, Konstanz, ISBN 978-3-86628-468-5, 573 Seiten, 39,90 Euro

Schlagwörter: Buch, Rezzori, Literatur, Forschung

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