24. Februar 2017

Die Kunstgeschichte Siebenbürgens als spannendes Forschungsfeld: Interview mit Timo Hagen

Timo Hagen, 1982 in Mannheim geboren, hat von 2002 bis 2007 Europäische Kunstgeschichte, Mittlere und Neuere Geschichte und Öffentliches Recht an der Universität Heidelberg studiert. Von 2008 bis 2011 wirkte er mit an der Erstellung der „Denkmaltopographie Stadtkreis Heidelberg“. Im Dezember 2016 wurde er mit einer Dissertation zum Thema „Gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen in der siebenbürgischen Architektur um 1900“ am Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg promoviert. Seine Doktorarbeit entstand zum Großteil im Rahmen eines Fellowships am Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut von 2012 bis 2015.
In seinen Forschungen zu den Schwerpunkten Architektur- und Kulturgeschichte Mittel- und Südosteuropas, Erinnerungskulturen und Denkmalpflege wendet sich der Kunsthistoriker immer wieder Siebenbürgen zu. So verfasste Timo Hagen einen Kunstführer über Deutsch-Weißkirch und veröffentlichte Studien über den Schulhausbau, das Studentendenkmal in Marienburg, den Deutschen Orden in der bildenden Kunst, Nationalsozialismus u.a.m. Seit August 2016 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt „Gemeinschaftsbauten als gemeinsames Bauerbe. Siebenbürgisch-sächsische Schul-, Pfarr- und Gemeindehäuser um 1900 und nach der Auswanderung“ am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte des Historischen Seminars der Universität Heidelberg. Das von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien geförderte Projekt läuft bis November 2017. Aus diesem Anlass führte Siegbert Bruss das folgende Interview mit Timo Hagen.

Timo Hagen ...
Timo Hagen
Sie sind gebürtiger Kurpfälzer. Wie ist Ihr Interesse für die Siebenbürgen-Forschung entstanden?
Im Jahr 2003 führte mich eine private Rumänienreise auch nach Siebenbürgen und ich war gleich von der wechselvollen Geschichte und vielfältigen Kultur der Region fasziniert. Zurück in Heidelberg besuchte ich dann am Seminar für Osteuropäische Geschichte Lehrveranstaltungen bei Gerald Volkmer, die dieser damals als Mitarbeiter des Siebenbürgen-Instituts in Gundelsheim anbot. Schließlich absolvierte ich noch ein Praktikum am Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im Östlichen Europa in Oldenburg bei Konrad Gündisch – und schon war ich sozusagen mittendrin in der Siebenbürgen-Forschung.

In ihrer Dissertation thematisieren Sie die „gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen in der siebenbürgischen Architektur“. Welches sind die wichtigsten Erkenntnisse Ihrer Doktorarbeit?
In der Dissertation habe ich mir Kirchen- und Synagogenbauprojekte unterschiedlicher Religionsgemeinschaften in Hermannstadt und Kronstadt aus der Zeit um 1900 angesehen und untersucht, wie mit Mitteln der Architektur Aussagen zum gesellschaftlichen Status und Selbstverständnis der jeweiligen Gemeinschaft getroffen wurden. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts begünstigte der Zuzug von Nicht-Sachsen in ehemals sächsisch geprägte Stadtzentren ebenso wie die Emanzipation zuvor rechtlich benachteiligter Religionsgemeinschaften und ein sich verstärkender Nationalismus oftmals Abgrenzungsbestrebungen unter den (neuen) Nachbarn. Gleichwohl zeigen die Bauprojekte bei aller Vielschichtigkeit der im Sinne des zeitgenössischen Historismus eingesetzten (bau-)geschichtlichen Bezüge gewisse gestalterische Übereinstimmungen. Ich habe das als eine Art „Verkehrssprache“ gedeutet, die es erlaubte, über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg allgemeinverständliche Aussagen zu treffen – und die auch dann gefragt war, wenn die Existenz solcher Grenzen unter den Bewohnern Siebenbürgens bekräftigt werden sollte.

Im November 2016 wurden Sie als Mitglied in den Vorstand des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) gewählt und zum Leiter der Sektion Kunstgeschichte des AKSL benannt. Welche Ziele haben Sie sich für diese Ehrenämter gesetzt?
Neben der Mitwirkung an Beratung und Beschlussfassung im Gremium würde ich mich gerne als Multiplikator betätigen und einerseits potentiell Interessierte, etwa unter den Heidelberger Studierenden, auf die Arbeit des AKSL und das Siebenbürgen-Institut aufmerksam machen. Andererseits möchte ich dazu beitragen, die Kontakte des AKSL zu gerade auch jüngeren Forschern im In- und Ausland, die sich mit Kultur und Geschichte des Donau-Karpatenraums befassen, auszubauen und zu intensivieren. Darüber hinaus wäre es mir ein Anliegen, im Feld der Kunstgeschichte auf Siebenbürgen als ein ungemein spannendes, aber vergleichsweise wenig beachtetes Forschungsfeld aufmerksam zu machen. Mittelfristig scheint mir für die Sektion Kunstgeschichte auch die Organisation einer kleinen Tagung oder eines Workshops zu neuen Tendenzen in der Siebenbürgen-Forschung ein lohnendes Ziel.

Seit einem halben Jahr arbeiten Sie am Forschungsprojekt „Gemeinschaftsbauten als gemeinsames Bauerbe. Siebenbürgisch-sächsische Schul-, Pfarr- und Gemeindehäuser um 1900 und nach der Auswanderung“. Welche gemeinschaftsstiftende Rolle hatten diese Bauten in Siebenbürgen?
Es handelt sich um Bauten, die einerseits von ihrer Funktion her sächsischen Zeitgenossen als Orte galten, in denen gemeinschaftliche Werte wie die eigene Sprache, Kultur und Religion vermittelt, (vor-)gelebt und gewahrt wurden. Andererseits ist es ein Ziel des Forschungsprojekts zu ermitteln, inwieweit auch die Architektur selbst in den Dienst genommen wurde, diese Komponenten einer gemeinschaftlichen Identität zu kommunizieren. Dies konnte etwa durch die Wahl eines bestimmten Baustils, mit Hilfe von Architekturzitaten oder durch malerische und bauplastische Ausstattung geschehen.

Was ist mit den Gemeinschaftsbauten nach der massiven Auswanderung der Siebenbürger Sachsen in den 1990er Jahren geschehen? Wie werden sie heute genutzt?
Die Schulen und Gemeindehäuser wurden bereits in kommunistischer Zeit enteignet und in der Regel in Staatsschulen mit meist rumänischer Unterrichtssprache bzw. von der jeweiligen politischen Gemeinde betriebene Kulturheime umgewandelt. Nur zum Teil ist in jüngerer Vergangenheit eine Restitution erfolgt. Die Pfarrhäuser verblieben zumeist im Besitz der Kirche und dienen heute bisweilen noch ihrem ursprünglichen Zweck, manche auch als Gäste- oder Wohnhäuser. Eine nicht geringe Zahl der Gemeinschaftsbauten steht gegenwärtig allerdings leer und ist vom Verfall bedroht.

Welche Überlegungen und Strategien gibt es, um diesen Baubestand für die Zukunft zu retten?
Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass ein Gebäude erhalten werden kann, ist stets, dass es genutzt wird – und dies aus denkmalpflegerischer Sicht am besten auf eine Weise, die der ursprünglichen Funktion möglichst nahekommt, weil so tiefere Eingriffe in die historische Substanz vermieden werden können. Entscheidend ist zudem, dass sich in der Öffentlichkeit, bei Entscheidungsträgern und Nutzern ein Bewusstsein für den historischen und künstlerischen Wert entwickelt, der auch einer Dorfschule des 19. Jahrhunderts zukommen kann. Hierzu bedarf es sicherlich einer intensiveren Vermittlungsarbeit, als sie vielleicht bei einer mittelalterlichen Kirchenburg nötig ist. Ein Anliegen des Forschungsprojekts ist es, zu untersuchen, welche Werte und Erinnerungen mit den Gemeinschaftsbauten bereits verbunden werden – und zwar sowohl seitens der nun überwiegend im Westen lebenden sächsischen Community als auch seitens der heutigen Nutzer, der staatlichen Denkmalpflege in Rumänien oder anderer Interessenten. Auf dieser Basis könnten dann gemeinsame Anstrengungen zum Erhalt unternommen werden. Dafür bildet wiederum die kunsthistorische Erforschung dieser Bauten eine entscheidende Grundlage, zu der im Rahmen des Projekts auch Dokumentationsmaterial herangezogen werden soll, das im Zuge der vom Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat initiierten Denkmalinventarisations-Kampagnen der 1990er Jahre erhoben wurde. Lediglich ein kleinerer Teil dieses wichtigen Materials konnte bislang in der Reihe „Denkmaltopographie Siebenbürgen“ veröffentlicht werden.

Sie haben eine Vielzahl Ihrer Forschungen Siebenbürgen gewidmet. Was ist nach Ihrer Ansicht das Besondere an den Siebenbürger Sachsen, gibt es so etwas wie einen „roten Faden“ in ihrer (Kunst-)Geschichte?
Es gibt sicherlich eine Reihe von Faktoren, die, zumindest in der Neuzeit, über einen langen Zeitraum hinweg für die sächsische Geschichte in wechselnder Gewichtung bestimmend waren und somit auch in das Feld der sächsischen Kunst und Architektur einwirkten bzw. dort thematisiert wurden. Dazu zählen die periphere Lage Siebenbürgens am Schnittpunkt unterschiedlicher Herrschaftssphären, das Leben in einem pluriethnischen und multikonfessionellen Umfeld, die Orientierung an deutschsprachiger Kultur in Zentraleuropa und der lutherische Glaube.

Herzlichen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg bei Ihren Forschungen zu Siebenbürgen!

Schlagwörter: Kultur, Kunsthistoriker, Architektur

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