2. April 2017

Dem baulichen Kulturerbe in Siebenbürgen verpflichtet: der Kunsthistoriker Martin Rill

Er starrt auf das Foto und kann es nicht glauben: Der evangelische Friedhof von Belleschdorf, auf der Luftaufnahme 1994 deutlich zu sehen, ist wie vom Erdboden verschluckt! „Da war der Wald drübergewachsen – 20 bis 30 Zentimeter dicke Stämme!“, lacht Martin Rill auf und räumt ein: „Es gibt Verluste, Gott sei Dank wenige. Aber auch einen Aufbruch ...“
Vieles hat sich verändert in Siebenbürgen, seit der aus Kleinscheuern stammende Kunsthistoriker und Museologe am 4. Juli 1989 nach Deutschland ausgewandert ist. „Doch gleich nach der Wende war ich wieder da – zur Sicherung des Kulturerbes, als der Exodus losging“, erklärt Martin Rill. Zuerst als Koordinator des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrats bei der von der Bundesregierung geförderten Bestandsaufnahme des Kulturerbes der Siebenbürger Sachsen in Rumänien: „Es ging um die Erfassung im ländlichen Raum 1991 bis Ende 1995. Wir haben aber auch dem rumänischen Staat geholfen, Unterlagen für die Einreichung für das UNESCO-Weltkulturerbe zusammenzustellen.“ Danach war er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Donauschwäbischen Zentralmuseums in Ulm (1997), Rumänienbeauftragter des Donaubüros Ulm und Vorstand des Deutsch-Rumänischen Forums in Berlin; schließlich Büroleiter des rumänischen Generalkonsulats in Baden-Württemberg. Zahlreiche Ausstellungen und Bildbände gehen auf sein Konto. In der Erforschung, Dokumentation und Erhaltung des bauhistorischen Erbes in Rumänien hat sich Martin Rill bleibende Verdienste erworben. Seit Kurzem ist er Rentner, doch der Ruhestand muss warten.

„Etwa zehnmal im Jahr reise ich nach Siebenbürgen“, erklärt Martin Rill.
Der Kunsthistoriker Martin Rill. Foto: George ...
Der Kunsthistoriker Martin Rill. Foto: George Dumitriu
Sein neuestes Projekt hängt mit der Inventarisierung in den 90er Jahren zusammen, aus der die wissenschaftliche Denkmaltopografie Siebenbürgens entstanden ist. Doch für die Beantragung von Mitteln vom Bund war es wichtig, das Kulturerbe auch breiten Kreisen in Deutschland zugänglich zu machen. 1997 erschien daher der Bildband „Siebenbürgen im Flug“ mit dem Schweizer Fotografen und Flugbildpionier Georg Gester. Nach diesem Erfolg beschloss er, regionale Bildbände herauszugeben: Noch im selben Jahr erschien „Das Burzenland“ mit 13 Orten einschließlich Kronstadt. Es folgten mehrere Werke zu Hermannstadt in Vorbereitung auf das Kulturhauptstadtjahr 2007. 2014 erschien „Das Repser und das Fogarascher Land“ mit 27 Orten. Nun ist Martin Rill erneut auf Reisen: Sein neuer Bildband soll das Zwischenkokelgebiet mit 36 Orten beschreiben. „Es wird selten wissenschaftlich oder populärwissenschaftlich beleuchtet, weil es eher abgelegen ist, bis vor Kurzem gab es nur eine einzige geteerte Straße“, erklärt er.

Aus dem Zwischenkokelgebiet

„Die Kirchenburg von Bogeschdorf hat einen wunderschönen Altar, der nächstes Jahr 500 Jahre alt wird“ schwärmt er und überrascht mit weiteren Highlights: Bonnesdorf war über 150 Jahre Eigentum des Fürstentums Moldau. „Stefan der Große hatte sich in den Türkenkriegen hervorgetan, hat 50 Jahre lang das Vordringen der Osmanen gebremst. Als Dank belehnte ihn Matthis Corvinus mit einer großen Domäne bei Klausenburg und mehreren Dörfern in Kokelburg.“ Auf dem Torturm prangt heute noch das Wappen der Moldau. Spuren aus dieser Zeit gibt es auch in Durles, wo die frühgotische Kirche von Moldauer Freskenmalern ausgestaltet wurde. „Mit Inschriften in Slawonisch, sowas gibt es nirgendwo in Siebenbürgen“, erklärt der Historiker. Hinzu kommt, dass es auch bemalte Außenfresken gibt. Schon vor 1986 hatte daher die Kunsthistorikerin Juliana Fabritius-Dancu vermutet, dass dort ein Meister aus der Moldau zugange war.
Eines der repräsentativsten Denkmäler der ...
Eines der repräsentativsten Denkmäler der siebenbürgischen Spätgotik: der Altar aus Schmiegen (Șmig), 16. Jahrhundert, heute im Bukarester Kunstmuseum. Foto: George Dumitriu
Aus dem Zwischenkokelgebiet stammt auch ein Altar aus dem 16. Jahrhundert aus Schmiegen, heute Teil der Dauerausstellung im Bukarester Kunstmuseum. „Eines der repräsentativsten Denkmäler der Siebenbürger Spätgotik – und vollständig erhalten“, schwärmt Martin Rill. Er ist kunsthistorisch noch nicht beschrieben und soll in den Bildband aufgenommen werden. Ca. 330 Seiten stark, mit 700 Großaufnahmen, soll dieser im Herbst erscheinen. Dann stehen neue Projekte Schlange: der Unterwald von Mühlbach bis Broos, das Harbachtal mit Agnetheln, das Kaltbachtal, Nordsiebenbürgen – „ein schwieriges Gebiet mit 48 Orten, in denen es große Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg gab“. Längst ist die siebenbürgische Kirchenburgenlandschaft fester Bestandteil der Angebote deutscher Reisebüros – auch dank Martin Rill.

„Es sind nicht die Nur-nach-Schäßburg-und-in Hotels-Touristen“, erklärt er. Gefragt sind auch Dorfbesuche mit Essen auf dem Bauernhof in Deutsch-Weißkirch oder Malmkrog. Reisende, die Rumänien über den Flughafen Hermannstadt verlassen, können ihren Siebenbürgenbesuch noch einmal Revue passieren lassen, denn dort steht Martin Rills Ausstellung, die im März 2007 auf dem Großen Ring vor dem Rathaus eröffnet wurde. Längst gibt es auch rumänische Reisebüros, die sächsisches Kulturerbe in ihr Repertoire aufgenommen haben. Über die Hälfte der Burghüter sind Rumänen. „In Bonnesdorf gibt es eine Glocke, die Unwetter vertreibt“, erzählt Martin Rill. Wenn Gewitterwolken nahen, wird sie noch immer geläutet. So läutet sie auch zum Aufbruch – in ein neues, spannendes Siebenbürgen, in dem altes Kulturerbe und neue Visionen zusammenfließen.

Nina May

Schlagwörter: Rill, Kunsthistoriker, Siebenbürgen, Kulturerbe

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