23. Januar 2018

Heinz Ackers bemerkens- wie lesenswerte Familienchronik ,,Zwei Leben … und“

Das vor kurzem erschienene, dem äußeren Erscheinungsbild wie auch dem Inhalt nach „gewichtige“ Buch ,,Zwei Leben … und“ des Heidelberger Musikprofessors und passionierten Dirigenten siebenbürgischer Provenienz umkreist gekonnt den Werdegang des Kulturmenschen Heinz Acker, eingebettet in eine genealogisch weit ausholende Familienchronik mit vielfachen zeitgeschichtlichen und kulturellen Bezügen. Der Band mit dem Untertitel ,,Familien- und Zeitgeschichte" ist somit ein ebenso bunter wie wichtiger Mosaikstein im biografischen Schrifttum Siebenbürgens.
Von wissbegierigen Enkeln aufgefordert , die Familiengeschichte aufzublättern, sah sich der Verfasser mit dem Dilemma konfrontiert, sich entweder sprachlich kindgemäß deren Begriffswelt anzupassen oder sich stilistisch anspruchsvoller für ein breiteres, am mäandernden Entwicklungsweg eines siebenbürgischen Künstlers interessiertes Publikum auszudrücken. Acker hat sich offensichtlich für die zweite Option entschieden und dadurch ein umfangreiches Oeuvre geliefert, das durchaus das Zeug dazu hat – so die Meinung des Rezensenten, aber auch des Lektors Prof. Horst Schuller-Anger c eine größere Lesegemeinschaft anzusprechen.

Was verbirgt sich hinter dem scharadenhaft-elliptischen Titel ,,Zwei Leben ... und"? Nun, es sind die zwei fast gleichlangen, ansonsten abgrundtief unterschiedlichen Lebenshälften des Autors, getrennt durch die Zäsur des endgültigen Exodus der Familie 1977. Wird im ersten Lebensabschnitt der Entwicklungsweg des Autors in seiner ureigenen, reichlich prekären Umwelt kommunistischer Prägung geschildert, so behandelt der zweite den anders gearteten Lebensaufbau in einer für Acker völlig neuen, ungewohnten bundesrepublikanischen Wirklichkeit.

Eine dritte, zu klärende Frage ist jene, welcher literarischen Gattungsart das Buch angehört. Ein Bildungs- oder Erziehungsroman ist es wohl nicht, da der Autor „so dicht wie möglich an den Tatsachen“ bleiben wollte. Doch er erwähnt auch Goethes „Dichtung und Wahrheit" und konzediert, dass Erinnerungen ja doch lückenhaft und trügerisch sein können. In seiner lebensvollen und ereignisprallen Realistik hat der Erzähler als Hauptheld oft Züge eines verschmitzt lächelnden transsilvanischen Simplicius, der statt im 30-jährigen Religionskrieg im 30-jährigen Kommunismus verfangen ist. Eher noch könnte man das Buch eine „biographie romancée“ im Sinne eines André Maurois nennen.
Im Versuch einer Selbstfindung folgt Acker zunächst den Spuren seiner Vorfahren. Das sind die bäuerlichen Acker-Vorfahren des Vaters, aber auch die Ahnen der Mutter, einer in Siebenbürgen weithin bekannten Sippe von Pfarrherren und Lehrern. Dabei tauchen aus dem Dunkel der Geschichte bemerkenswerte Gestalten auf, etwa der in die Kurutzenkriege involvierte Reußmärkter Königsrichter Andreas Acker, ein Johann Josef Georg, der als ,,Held von Solferino" und Chefkondukteur der neu errichteten „Orienteisenbahn“ exotische Lebenskurven zeichnet, oder auch jener Carl Reich, der als Kerzer Pfarrer, Lehrer, Wunddoktor und Liedermacher Berühmtheit erlangte und zum Stammvater der weitverzweigten Reich-Georg-Galter-Sippe wurde. Da entstehen pralle Lebensbilder, eingebettet in vier Jahrhunderte siebenbürgischer Geschichte. Zwar erinnert Ackers genealogisches Bombardement mit dutzenden Namen an Garcia Marquez‘ Meisterwerk „Hundert Jahre Einsamkeit“, doch helfen die vom Autor sorgfältig erstellten Stammbäume dem interessierten Leser beim Gang durch das epische „Labyrinth dieser Lebenswege“ weiter.

Das Schicksal der Eltern führt dann bereits in die neuere Zeitgeschichte. Man folgt dem todbringenden Marsch des Vaters nach Stalingrad und auch dem entbehrungsreichen, fünfjährigen Aufenthalt der Mutter in der höllischen Welt eines sowjetischen Arbeitslagers, welchen die tapfere Frau in Aufzeichnungen schildert, wie sie nicht viel eindringlicher in Herta Müllers / Oskar Pastiors ,,Atemschaukel“ zu finden sind.

Schließlich betritt der Autor die Bühne. Mit seinem älteren Bruder Dieter wachsen die Halbweisen unter der Fürsorge der Großeltern der Hermannstädter Lehrersleute Georg auf. Man erlebt eine trotz entbehrungsreicher Nachkriegszeiten scheinbar ungetrübte Kindheit, die frühe musikalische Prägung durch den Stadtmusikus Prof. Dressler; man amüsiert sich über die Jugendstreiche des Pubertierenden und seiner Kumpane und betritt die Brukenthalschule, wo Acker seine spätere Lebensgefährtin Marianne Rether kennenlernt, die übrigens für das Kapitel der eigenen Rether- und Rauch­Vorfahren verantwortlich zeichnet. Gemeinsam studieren sie in Klausenburg während politisch gefährlicher Jahre und gründen schließlich nach Studienende eine Familie in Hermannstadt. Der rasante Aufstieg des Erzählers vom Musikschullehrer und journalistisch tätigen Musikrezensenten zu Dirigierverpflichtungen an der Staatsphilharmonie und Bachchorleiterassistenz bei Dressler findet abrupt durch die Republikflucht des Bruders ein Ende. Berufsverbot auf allen Gebieten und langjährige Schikanen führen schließlich zur Ausreise der Familie, nicht ohne als vom Schicksal Gebeutelte am Vortag des Abflugs auch noch das verheerende Erdbeben in Bukarest erlebt zu haben. Mit der von Familienangehörigen und sensationsgeilen Journalisten begleiteten Ankunft am Frankfurter Flughafen beginnt die zweite Lebenshälfte mit gänzlich neuen Perspektiven. In einer zweiten Berufskarriere steigt der Autor vom Musikschullehrer und Hochschuldozenten schließlich zum Professor der Musikhochschule Heidelberg / Mannheim auf. Sein Meisterstück aber wird das von ihm 1981 gegründete Bruchsaler Jugendsinfonieorchester, das er bald zu einem der renommiertesten und vielfach preisgekrönten Jugendorchester Deutschlands machen wird. Mit ihm bereist er als Kulturbotschafter die entlegensten Ecken dieser Welt, vom nördlichen Wales bis ins heiße Valencia, von der Festjurte des kirgisischen Präsidenten bis ins mondäne Paris, vom orientalisch verzaubernden Syrien und Jordanien bis zum Festsaal am Michigansee; er fungiert mit dem Orchester als Friedensvermittler in Israel und wird als westlicher Emissär zum Hoffnungsträger im grauen, postsowjetischen Moskau und St. Petersburg ebenso wie im DDR-devastierten Halle. All das ist in einer lockeren Schreibweise, mal historisierend mal lustvoll mit humorvollen Einschüben plaudernd oder auch als parodistische Glosse gehalten und lässt die versierte Feder des jahrzehntelangen Musikrezensenten erkennen.

Wollte man Ackers schriftstellerische Bemühungen in der ihm auch als Komponisten so geläufigen Musiksprache kurz zusammenfassen, kann gesagt werden, dass nach dem Andante sostenuto der Ahnengeschichte die Erzählmelodie zum Allegretto des eigenen Heranwachsens und Werdens überleitet, um sich dann, nach dem Prestissimo passionato der erzwungenen Ausreise, zum weit ausgreifenden Allegro maestoso der neuen Heimat zu steigern und schließlich im Finale con brio der späten Ehrungen (Staufermedaille des Landes Baden-Württemberg, Siebenbürgisch-Sächsischer Kulturpreis etc.) zu landen. Ackers Vermächtnis an seine Enkel hat sich zu einem schriftstellerischen Elaborat gemausert, dessen Lektüre in vielerlei Hinsicht gewinnbringend und deshalb unbedingt empfehlenswert ist.

Das reichlich mit Bildmaterial versehene 484-seitige Buch von Heinz Acker, „Zwei Leben ... und“, ist beim Hamburger tredition-Verlag erschienen und kann direkt im Shop des Verlages oder in jeder Buchhandlung in drei Varianten bezogen werden: als Print-Book (Hardcover) mit der ISBN: 978-3-7439-3399-6 zum Preis von 43,56 Euro; als Print-Book (Paperback) mit der ISBN: 978-3-7439-3398-9 (Preis: 36,56 Euro) oder als E-Book mit der ISBN: 978-3-7439-3400-9 zum Preis von 2,99 Euro.

Kurt Thomas Ziegler

Schlagwörter: Acker, Biographie, Familienchronik, Besprechung, Musiker, Kulturpreisträger

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