8. April 2018

Kein Leichtes, so ein Schwerpunkt: Rumänien auf der Leipziger Buchmesse

Das Dorf brennt, und die Alte kämmt sich … Rumänische Sprüche sind oft mit genüsslicher Bösartigkeit gewürzt, als müsste man den allgegenwärtigen Hautgout, das Ranzige an der Wirklichkeit übertönen, damit sie halbwegs erträglich wird, zumindest die Rede darüber. Wer in jenem Land gelebt hat, weiß um diese Hilfskonstruktionen und weiß sie vor allem zu schätzen als poetische Übungen zur Bewältigung des Alltags. Just das sind die – nicht seltenen – Höhepunkte rumänischen Redens und Schreibens, wo die deutsche Sprache nicht nachkommt, wo sie nichts vergleichbar Deftiges anbietet und wo ein Vermittler, Übersetzer, Dolmetscher oder „Versteher“ gefordert ist, der nicht Entsprechungen sucht und findet, sondern sich auch etwas zu erfinden traut.
Die Redner und Schreiber, die in diesem März Rumänien als Gastland auf der Leipziger Buchmesse beredeten und beschrieben, hatten einen opulenten Messe-, aber keinen leichten Stand. Das Dorf brennt, nicht nur in ihrer engeren Heimat, sondern im gesamten östlichen Europa und darüber hinaus. Vor genau zwanzig Jahren „las“ Leipzig schon einmal Rumänien, wie diese Buchmesse gleichsam als Alleinstellungsmerkmal für sich in Anspruch nimmt. Damals schien alles leichter, weil nicht nur die Dichter in ihrem ewig jugendlichen Leichtsinn meinten, das Schwerste sei überstanden. Die Geschichte hatte, so hoffte man damals, ein Ende gefunden, zumindest die der Unterdrückung – von Mensch und Rede. Und jetzt?

Einer, der sie sich auch bis damals nicht hatte verbieten lassen, Mircea Dinescu, forderte bei der diesjährigen Eröffnung einen alles andere als nostalgischen Rückblick. Damals war Rumänien bis hin zum Ministerpräsidenten in Leipzig vertreten, diesmal war der Außenminister gekommen und im Gewandhaus in seiner Rede ohne Nennung auch nur eines Schriftstellers ausgekommen, und auf dem Podium des rumänischen Messestandes saßen zur Eröffnung der gerade entlassene und ein Staatssekretär des gerade ernannten Kulturministers. Nicht dass Dinescu einen Minister vermisst hätte, er mutmaßte lediglich, das liege auch daran, dass jener jetzt Minister für Kultur und nationale Identität heiße, was man heute nicht ohne einen Anflug von Schamesröte sagen könne, zumal angesichts der Literatur, wo es um ganz andere Identitäten geht.

Zum Glück hatten die Schriftsteller alle nicht die nationale, sondern ihre eigene mitgebracht, schwarz auf weiß niedergelegt in rumänischer oder anderen Sprachen, mittlerweile zugänglich auch für den deutschen Leser. Norman Manea aus New York, Dana Grigorcea und Cătălin Dorian Florescu aus der Schweiz, Matei Vișniec aus Frankreich, Carmen Francesca Banciu aus Berlin und die vielen Autoren und Übersetzer von Bukarest über Budapest und Wien bis Berlin, sie haben andere Prioritäten als „nationale“. Gebrochen mit dem Land, wo das Dorf brennt, hat niemand, trotz aller Brüche in den Lebensläufen, die zumindest dort ihren Anfang genommen haben. Aber vertreten tun sie nur sich selbst, unverfroren, gewissermaßen „ungekämmt“.

Gerade das war dem Dichter der 80-er Generation Emil Hurezeanu aus beruflichen Gründen verwehrt worden. Er ist derzeit Botschafter Rumäniens in Berlin, seine Texte aus alten Klausenburger Zeiten liegen nun auch auf Deutsch vor, vorlegen oder gar -lesen konnte er sie nicht, jedermann kann sich aber weidlich davon überzeugen, dass sie für sich selbst sprechen. Lesungen auf den Messe-Podien inmitten des Rummels sind ohnehin stets ein rührend wagemutiges Beginnen, nicht nur wegen der hallenweit hallenden Kakophonien. Nora Iugas oder Ana Blandianas feinsinnige Verse profitieren von der Ausstrahlung der Grandes Dames der rumänischen Literatur – Lyrikleser aber profitieren davon wenig, dazu müssen sie schon zu den Büchern greifen.
Vorstellung des im Pop-Verlag erschienenen ...
Vorstellung des im Pop-Verlag erschienenen Gedichtbandes „Geschlossene Kirchen“ von Ana Blandiana am 18. März auf der Leipziger Buchmesse, von links: Katharina Kilzer (Journalistin und Übersetzerin), Horst Samson (Schriftsteller und Übersetzer), Georg Aescht (Übersetzer und Moderator), Ana Blandiana (Schriftstellerin), Traian T. Pop (Schriftsteller und Verleger). Foto: Edith Ottschofski
Messetauglicher sind da schon eher die Podien, wo Autoren zusammensitzen, die nicht nur etwas zu sagen, sondern auch sich etwas zu sagen haben. Wenn der bukowinisch-rumänisch-amerikanische Erzähler und Essayist und nicht zuletzt Unruhestifter in Sachen rumänischer Zeitgeschichte, Norman Manea, mit dem Schriftsteller Michael Krüger, seinem deutschen Verleger, spricht, weht nicht nur Nostalgie über den Stuhlreihen, sondern auch eine Ahnung davon, dass Literatur für diese Altmeister nicht nur Lebenselixier, sondern Prüfstein für Lebenswahrhaftigkeit ist – dass dieser existenzielle Ernst aber Gelassenheit und Charme, ja Humor keineswegs ausschließt. Und wenn auf dem berühmten Blauen Sofa oder am Stand von Arte Gabriela Adameșteanu, Florin Lăzărescu oder Dana Grigorcea von deutschen Gesprächspartnern befragt werden, dann tun sich Einblicke auf nicht nur in den – um das Mindeste zu sagen – Informationsbedarf letzterer. Man erhält auch wieder einmal die unsereins recht vertraute Einsicht, wie schwer es ist, eine Wirklichkeit zu vermitteln, die so weit jenseits der westlichen mit ihren vermeintlichen Selbstverständlichkeiten liegt.

Etliche Anthologien junger rumänischer Lyrik und Prosa liegen vor, ja es gilt davon zu künden, dass sogar Kurzgeschichten und Erzählungen von Ion Luca Caragiale ins Deutsche gebracht, vielmehr gewuchtet worden sind, dass aber diese Geschäftigkeit nicht nur auf die Messe-„Konjunktur“ zurückgeht. Die lässt die meisten Verlage eher kalt, denn wie überall sind auch bei ihnen die wirklich wichtigen Bücher nicht die der Autoren, sondern die der Buchhalter. Die Neuerscheinungen, darunter auch zahlreiche Bände einzelner zeitgenössischer Autoren, gehen auf eine beachtliche Initiative des Rumänischen Kulturinstituts zurück, die sich gerade nicht auf Charme beschränkt, sondern in handfester finanzieller Förderung für deutschsprachige Verlage niederschlägt. Dass diese im Nachgang die denkbar abstrusesten Nachweise für die Bewirtschaftung der Zuschüsse erbringen müssen, dass etwa ins Rumänische übersetzte und beglaubigte Kontoauszüge vorzulegen sind, erinnert literarisch Bewegte etwas unsanft daran, dass es ohne rumänische Inspiration wohl keinen abendländischen Surrealismus und schon gar kein absurdes Theater gäbe.

Das mag tröstlich inspirierend sein für Feingeister hierzulande, die nicht minder feinen Geister aus jenem Land tun sich schwer mit derlei Trost. Denn daheim brennt das Dorf. Schon weit länger als zwanzig Jahre existiert Rumänien auf der Landkarte Europas entweder als grauer Fleck oder als Problemzone. Journalisten großer deutscher Medien waren im Halbjahr vor der Messe – geführt –dort unterwegs, die Berichte fielen in der Mehrzahl pittoresk aus, Schriftsteller wurden als Gewährsleute befragt, eine Gewähr aber können sie nicht übernehmen für das Bild eines Landes, dem sie sich zugehörig fühlen, zu dem sie sich bekennen, vor dessen politischer und sozialer Wirklichkeit aber ihr Wort versagt.

Mircea Cărtărescu hält nichts vom Versagen, aber auch er kann bei allem inständigen Nachdruck seinen Gesprächspartner Navid Kermani nicht davon überzeugen, dass dieser als Nutznießer einer gewissen Klarheit des deutschen intellektuellen Diskurses sich schwerlich eine Vorstellung zu machen vermag davon, wie es ist, in jener politisch gewollten Verunklarung zu leben und zu schreiben. Cărtărescu schreibt unbeirrt weiter, denn Irren ist menschlich – und schöpferisch. Nächst der Anerkennung für ihre Kunst verdienen er und seine Kollegen höchste Bewunderung für ihr nachgerade athletisches Stehvermögen, für die Kraft und das Geschick, Fatalismus und Unverdrossenheit auszubalancieren, und zwar beides zugleich.

Balancieren ist die Kunst, zu verhindern, dass etwas kippt – am Ende gar man selbst. Über die Möglichkeiten und Grenzen beim Schreiben „historischer“ Romane unterhalten sich Cătălin Mihuleac, Filip Florian und Doina Ruști so, als wäre es selbstverständlich, dass man die Geschichten über Geschichte in einem Land der ideologisch-programmatischen Geschichtsvergessenheit erfinden muss. Historische Romane erfinden, eine neue Disziplin, und wer die dabei entstehenden Bücher kennt, hat seine zweifelnde, manchmal verzweifelte Freude daran, wie hier gerade das erzählt wird, wovon man kaum spricht.

Der Wahl-Wiener Jan Koneffke, Schriftsteller mit Kenntnis nicht nur des Rumänischen, sondern Rumäniens, müht sich redlich, Verständnis in beide Richtungen zu schaffen, er hat Bücher geschrieben und solche von rumänischen Kollegen auf den Weg gebracht, besäße er aber nicht die verschmitzte Gelassenheit kakanischen Angedenkens, er hätte seine Mittlerrolle wohl längst drangegeben. Das tut er ebenso wenig wie seine Landsfrau Larisa Schippel, die sich mit der Wiener New Academic Press unablässig das hohe Ziel steckt, den europäischen Horizont in Richtung Südosten zu erweitern, und dabei in Kauf nimmt, auf höchster Ebene zu scheitern. Sie und ihre verdienten Mitübersetzerinnen arbeiten sich durch zeit- und mentalitätsgeschichtliche Essayistik von Lucian Blaga bis Andrei Cornea, immer gewärtig, dass hier getan werden muss, was zu tun ist, dass einem aber die beiden Seiten, für die man es tut, das Empfinden des Ungenügens möglicherweise nachtragen.

Ruxandra Hurezean hat dem siebenbürgisch-sächsischen Dorf Deutsch-Kreuz und seinem Untergang ein Buch gewidmet, zugleich aber hat sie Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in einem zweiten, „Zwischen den Welten“, über die Dilemmata zwischen diesem Untergang und dem kulturell motivierten Beharrungsvermögen erzählen lassen. Anneli Ute Gabanyi und Bernd Fabritius sekundierten die sentimentalischen, aber beileibe nicht sentimentalen Bemühungen einer rumänischen Autorin, die Deutschen ihres Landes und ihre Beweg- und Bleibensgründe zu würdigen.

Die Porträts, die der Luxemburger Fotokünstler Marc Schroeder von ehemals in die Ukraine deportierten Sachsen gemacht hat, waren etwas verdeckt in einer Ecke des Messestandes platziert worden, sie sprechen jedoch dieselbe Sprache – in scharfen, aber innigen Bildern. Sie erzählen, was in diesem – zeitweise eisigen – Frühling in Leipzig immer wieder erzählt wurde: Jenes Land, jene Landschaften mit jenen Menschen, sie reden „ungekämmt“, aber klar und deutlich von dem Bedürfnis nach Klarheit. Nach den zwanzig Jahren, auch nach den hundert Jahren, die das „neue“ Rumänien in diesem Jahr feiert, ist es lebendig – das Land wie das Bedürfnis. Wenn sich die als Krönung gedachte Gruppenlesung im Schauspielhaus schließlich zu den gelinde orgiastischen Klängen der Band „Balkan Taksim“ in einer, so die Veranstalter, „hot dance party“ und in Wohlgefallen auflösen sollte, so war das mitnichten eine Geste des Verzichts.

Am kompaktesten und sinnfälligsten kristallisierten sich die Spannungen und Widersprüche bei dem Konzert der rumänischen Liedermacherin Ada Milea mit ihrer kleinen Band, das von Herta Müller mit einem eher nachhorchenden denn laudierenden Essay eingeleitet und mit Übersetzungen unterstützt wurde. Und so zu einem fulminanten Genuss buchstäblich eskalierte, wie ihn nur Spannungen und Widersprüche bereiten können. Herta Müllers Sinn für die rumänische Bildersprache und deren Resonanz in ihren eigenen, deutschen Sprachbildern, Ada Mileas so unbekümmerter wie zärtlicher Umgang mit rumänischer Volksmusik und -motivik und die Intensität ihres Vortrags, in dessen überschwänglichem Formenreichtum nur eines keinen Platz hat: Kitsch! Das war nicht Rumänien dort in der Schaubühne Lindenfels, das war viel mehr, es war und ist das, was Rumänien sein könnte und schon ist, durch die Menschen, die – über wer weiß welche Umwege – nach Leipzig gekommen waren.

Georg Aescht


Aus Raumgründen ausgesparte nähere Angaben unter zoom-in-romania.ro.

Schlagwörter: Leipzig, Buchmesse, Rumänien, Literatur, Aescht

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