12. Mai 2019

Sprachkünstler mit Zugkraft: Hans Bergel las in der "Stuttgarter Vortragsreihe"

Mit seinen bald 94 Jahren hat der Schriftsteller Hans Bergel fast ein ganzes Jahrhundert siebenbürgischer Geschichte erlebt und in seinen Werken verarbeitet. Bei seiner Lesung am 26. April in Stuttgart wird schnell klar: Dieser Sprachkünstler hat noch viele Pläne, viel Energie – und nach wie vor eine große Zugkraft. 80 Menschen kamen zur Lesung ins Haus der Heimat. Ein Rekord, stellte Helmut Wolff, der Kulturreferent der Landesgruppe Baden-Württemberg, fest.
Helmut Wolff organisiert die „Stuttgarter Vortragsreihe“ und moderierte Bergels Lesung. Er kündigte einen Schriftsteller an, der „die Dinge immer beim Namen nennt und nichts beschönigt“, der bis zum heutigen Tag „negative, selbstzerstörerische Entwicklungen in der Gesellschaft anprangert“ und dabei auch oft gegen den Mainstream schwimmt.

Wer Bergels Romane „Wenn die Adler kommen“ und „Die Wiederkehr der Wölfe“ kennt, durfte auf den dritten Band der Romantrilogie, an dem Bergel derzeit arbeitet, besonders gespannt sein. Er las daraus die Erzählung „Das Feuer oder Die Entrückten“. Drei Menschen – der Ich-Erzähler, sein Bruder und die Großmutter – übergeben „im Sommer des siebten Jahres nach Kriegsende“ eine „an Erinnerung schwere Fracht“ den Flammen: Kirchenmäntel, in denen „Männer wie Denkmäler“ aussahen und weitere Besitztümer, für die künftig kein Platz mehr sein wird und die den neuen, unrechtmäßigen Hausherren nicht in die Hände fallen sollen: „Übermorgen kommen sie, sie werden nichts mehr finden!“ Noch schwerer als die materielle Enteignung wiegt der Verlust der Freiheit: „Sie nehmen uns Hab und Gut, aber schlimmer ist, dass wir uns nicht dagegen wehren können.“ Die Angst, „einer würde die Frage stellen: Wer hat das Feuer angezündet?“, Wut und Stolz: Bergel beschreibt unterschiedliche Gefühle und Haltungen, die sich auf die gesamte weitere Entwicklung in Rumänien beziehen lassen, bis hin zur großen Auswanderungswelle. Das Feuer wird zum Symbol für die Auslöschung einer Kultur: „Großmutter steht vor der Kohleglut, wie jemand vor einem Grab steht.“
80 Zuhörer kamen zu Bergels Lesung ins ...
80 Zuhörer kamen zu Bergels Lesung ins Stuttgarter Haus der Heimat. Fotos: Heidrun Rau
Der zweite Teil der Lesung war „Begegnungen und Wiederbegegnungen – Von der Kontrapunktik des Lebens“ gewidmet. Bergel beschrieb drei Begegnungen während der „roten Schreckensherrschaft in den Ländern des Ostens“ und die jeweilige Wiederbegegnung nach 1968, dem Jahr seiner Emigration nach Deutschland. Ein Verlagschef, der als „Wachhund des Regimes“ verdächtige Worte aufspürt und später in Lyon einen Buchladen namens „La parole suspecte“ betreibt. Ein sadistischer Verhöroffizier, der sich unter geänderten Machtverhältnissen „vom Rohling ins Gegenteil seiner selbst“ verwandelt. Ein früherer Kollege aus der ehemaligen rumänischen Ski-Nationalmannschaft, der zeigt, wie tragfähig scheinbar vergängliche Sportfreundschaften sein können.
Im Anschluss an die Lesung blieb noch Zeit, um ...
Im Anschluss an die Lesung blieb noch Zeit, um Bücher von Hans Bergel vom Autor persönlich signieren zu lassen.
Von vielen sorgsam ausgearbeiteten und beeindruckenden Sätzen blieb dem Publikum vor allem jener in Erinnerung, der dem Regime besonders „suspect“ war: „Im Leben eines jeden Menschen und eines jeden Volkes können Umstände eintreten, die zum Verlust der Freiheit führen. Das ist bitter. Aber der einzelne wie auch das Volk verliert die Würde erst dann, wenn der Freiheitsverlust tatenlos hingenommen wird.“

Heidrun Rau

Schlagwörter: Hans Bergel, Lesung, Literatur, Stuttgarter Vortragsreihe

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