30. April 2020

Das Leben aus der Sicht der Kunst begreifen: Zum Tod des Kunsthistorikers Marius Joachim Tataru

Am 20. April vollendete sich viel zu früh das Leben eines Menschen, zu dessen fachlichem Werdegang und beruflichem Wirken die kunsthistorische Beschäftigung mit Bildwelten als eine überaus bestimmende und wesentliche Konstante gehörte: des Kunsthistorikers und langjährigen wissenschaftlichen Mitarbeiters des Siebenbürgischen Museums, Marius Joachim Tataru.
1947 in Hermannstadt geboren, studierte Marius Joachim Tataru Kunstgeschichte, Museologie und Vergleichende Literaturwissenschaften an der Hochschule für Bildende Künste in Bukarest. Schon mit seiner in den Endsechzigern des 20. Jahrhunderts vorgelegten Diplomarbeit über die Baugeschichte der Zisterzienserabtei in Kerz am Alt verwies der junge Kunsthistoriker auf den Kulturraum Siebenbürgen als Thema seines wissenschaftlichen Interesses und seiner zukünftigen Betätigung. Das sollte sich in den kommenden Jahren dann auch insoweit bewahrheiten, als Marius Tataru die Betrachtungsweise siebenbürgischer wie rumänischer Kunstäußerungen im Sinne ihrer Zugehörigkeit zum mitteleuropäischen Kunstgeschehen begriff und darstellte. Er betrachtete diese Sichtweise als ein herausforderndes Generationenprojekt vor dem Hintergrund eines staatlich-repressiven Kunstsystems im damaligen kommunistischen Rumänien und hatte das Glück, gleich nach Studienabschluss als Kustos und Kurator der Kunst- und Kunstgewerbesammlung am Stadtgeschichtlichen Museum Bukarest erste Schritte auf dem Weg einer wissenschaftlichen Laufbahn beschreiten zu können.

Von 1973 und bis zur Übersiedlung nach Deutschland im Jahr 1987 hatte Tataru die Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters am Institut für Kunstgeschichte an der Rumänischen Akademie in Bukarest inne. Von hier aus bot sich ihm die Möglichkeit zu Studienaufenthalten an der Université du Poitiers (Frankreich) im Jahr 1980, an der British Academy in London 1982 und schließlich 1987 die Chance, als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung dem Thema der Nachklänge der deutschen Romantik in der Malerei des gesamten 19. Jahrhunderts nachzugehen.
Marius Tataru eröffnete die Ausstellung Susanne ...
Marius Tataru eröffnete die Ausstellung Susanne Schunn im Siebenbürgischen Museum, Mai 2011. Foto: Werner Sedler
Auch aufgrund seiner Herkunft hatte Tataru ein offenes Verhältnis zum siebenbürgischen Kultur- und Kunstraum, dessen ethnische Sichtweisen die Rezeption siebenbürgischer Kunst über die Generationen hinweg geprägt hatten. In seiner Bukarester Zeit zeigte er sich am Kunstgeschehen der Zeit sehr interessiert. Essays und Ausstellungsbesprechungen, Vorträge und Publikationen belegen diese Tätigkeit. Als wissenschaftlicher Redakteur der Zeitschriften Studii și Cercetări de Istoria Artei und Revue Roumaine d’Histoire de l’Art wie auch als Dozent an der Kunstakademie Bukarest hat er am Kunstdialog im damaligen Rumänien engagiert teilgenommen und die vertretene Position einer Kunst, die nur im großen europäischen Austausch Bestand haben kann, in die Öffentlichkeit getragen.

Ab März 1992 und bis zu seinem Ruhestand 2012 arbeitete Marius Joachim Tataru als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Kustos der Kunstsammlung am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim. Hier galt es, das wissenschaftliche Interesse mit musealem Hand- und Denkwerk in Einklang zu bringen. Von Anbeginn an war er gefordert, an der neuen Dauerausstellung des Museums mitzuwirken, die siebenbürgischen Sammlungen in zeitgemäßer Neubewertung der Öffentlichkeit zur Beachtung und Reflektion darzubieten. Gleichzeitig galt es, die zahlreichen Schenkungen und Nachlasse, die zur Jahrtausendwende ins Museum kamen, zu inventarisieren und sie der musealen Sammlung in konservatorischer Betreuung einzufügen. Hierzu zählt die Bestandsaufnahme von Werken so bedeutender Maler und Malerinnen wie Hans Eder, Friedrich Mieß, Ernestine Konnerth-Kroner, Arthur Coulin, Margarete Depner, Trude Schullerus, Ernst Honigberger, Fritz Kimm, Juliana Fabritius-Dancu und anderer mehr.

Marius Tatarus wissenschaftliches Interesse fand in zwei beachteten Ausstellungen und den sie begleitenden Katalogen ein dankbares Aufgabenfeld. Er hat der Öffentlichkeit hiermit zwei analytisch tiefgehende Monographien hinterlassen, die eine manifeste Integration des Wirkens dieser Künstler in den Kanon nationaler und europäischer Kunstgeschichte darbieten: Grete Csaki-Copony und Henri Nouveau. Jahrelange Feldforschungstätigkeit in Südsiebenbürgen und dem ­Nösnerland zur Dokumentation kirchlicher Kunstgegenstände und Denkmäler sowie ländlicher Baukultur ergänzen sein kunsthistorisches Werk.

Marius Tatarus Schreibstil, geprägt von tiefgehend sinnendem Reflektieren als Bestandteil seiner Kunstanalysen, ist zugleich auch Ausdruck seiner Persönlichkeit, die wir über zwei Jahrzehnte lang auch von menschlicher Seite aus kennen und schätzen lernen durften: Unser Kollege Marius Joachim Tataru war zurückhaltend und bescheiden, seine Aussagen sorgfältig abwägend, sein kunsthistorisches Wissen weniger zur Distinktion als zum Austausch und zur Kollegialität einbringend. Wir trauern um einen langjährigen Kollegen und sind in Gedanken bei seiner Familie.

Irmgard Sedler, Volker Wollmann

Schlagwörter: Nachruf, Tataru, Kunsthistoriker, Siebenbürgisches Museum, Gundelsheim, Schloss Horneck, Sedler

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