26. August 2021

Wehmütiger Minnegesang eines balkanliebenden rheinländischen Dichters

„Der Schnee stellt seine Leiter an die Ringmauer“, während es draußen schon nach Frühling riecht – doch die „Poetische Annäherung an Rumänien und andere Welten“ von Matthias Buth ist zu jeder Jahreszeit reizvoll. Auf dem Buchrücken des 2020 im Pop Verlag Ludwigsburg erschienenen Werks aus Gedichten und Prosa zum erweiterten Kulturraum Rumäniens bemerkt Nachwort-Autor Markus Bauer: Dass „ein deutscher Dichter aus dem Rheinland“ einen Band zusammenstellt, „in dem die Annäherungen vor allem an Rumänien zum inneren Kern des Dichtens wie Reflektierens und politischen Denkens erhoben werden, hat in der Literatur der Bundesrepublik kein Beispiel“.
Der Autor Matthias Buth spürt den Atemzügen der Geschichte jenseits der Ländergrenzen nach. Sein poetisches Prinzip ist die Donau, die nicht nur geografisch verbindet: „România ist ein Wort aus dem inneren Klang von Europa, es sucht die Klänge der anderen, um zu singen, zu trauern, zu beglücken. Und so sind Deutschland und Rumänien verwandt, Geschwister durch Musik und Geschichte.“

Hommage an Siebenbürgen

Im ersten Teil, der Gedichtsammlung „Liebliche Wohnungen“ ein Tropfen Schwermut für Siebenbürger Sachsenherzen: Kirchenbänke, „leergebetet seit Jahren / Die Orgel tropft Stille / Im Chor spielen die Fenster / Dann breitet er seine Arme / Und tröstet Gott / Bis auch / Er nicht mehr kommt“. Gemeint ist Schriftsteller-Pfarrer Eginald Schlattner, der jeden Sonntag in vollem Ornat in der leeren Kirche von Rothberg predigt.

Wehmütig klingt auch das „Orgelstück für Ursula Philippi“ an, in dem der Schnee, „Siebenbürgens zärtlicher Tod“, die Kirchen umarmt, „Zurückgelassene Andacht / Bei offenen Dächern“, eine Anspielung an den Kampf gegen den Zahn der Zeit.

Im Gedicht „România“ vergleicht Buth die Schülertreppe in Schäßburg mit der Jakobsleiter, „die nicht aufgibt/ Ihr Holz duftet und tröstet wie eine Umarmung/ Das geschindelte Dach behütet die Schatten“. Am selben Ort „Pfarrer Bruno Fröhlich“: „Sonntags fährt er von Kirche zu Kirche denn/ Siebenbürgen bestickt den Himmel mit Türmen.“

Lautmalend pastelliert der Minnesänger seine zartwehmütigen Liebesbilder von geschichtstrunkenen Orten, verankert darin Urgesteine Siebenbürgens, wie „Eckart Schlandt an der Buchholz-Orgel“, oder Rumäniens, wie „König Michael“.

Nahestehende Nachbarn

Um Kulturräume und ihre Schriftsteller und umgekehrt geht es im zweiten Teil in Prosa. Das erste Kapitel „Nahe Nachbarn“ schlägt den Bogen vom „deutschesten aller Dichter“, Heinrich Heine, zu Clara Haskil, „ein kostbarer Name, der für einen wesentlichen Teil der rumänischen Kultur- und Geistesgeschichte steht“. Über Titelstationen wie „Die eigene Sprache als Wasser und Brot“, „Jerusalem ist Celans Gedicht“, „Wie ist Deutschland verfasst“, „Bleibt ihm mitgegeben“ und „Spiegelbild“ geht es lesereisend in „Das Jerusalem Siebenbürgens“. Wo mag es liegen? In Schäßburg, Kronstadt – oder gar in Großau, wo sich ein verlassenes Bauernhaus und die Kirche gegenseitig in den Fenstern spiegeln?

„Siebenbürgen ist ein unendlicher Raum voller Spiegel.“

Und: „Rumänien ist das weiche Hier und Jetzt.“

Matthias Buth. Foto: Heiko Löffler ...
Matthias Buth. Foto: Heiko Löffler
„Ich baue mit geliehenen Worten Häuser, die fliegen“, sagt der Autor über sich, borgt von hiesigen Dichtern – darunter viele Deutsche – eifrig Zitate, analysiert, poetisch-politisch, spürt Attributen wie Volk und Nation, Staats- und Kulturnation, deutsche und rumänische Identität nach. Sein deutsches Kulturbild schließt Rumänien ohne Widerspruch ein: „Wenn die deutsche Hochsprache gleichgesetzt werden darf mit dem ‚Sprachland‘, mit dem Begriff ‚Deutschland‘, dann sind Hans Bergel, Rolf Bossert, Klaus Hensel, Franz Hodjak, Anemone Latzina, Herta Müller, Oskar Pastior, Dieter Schlesak, Werner Söllner, Richard Wagner, Ernest Wichner oder Joachim Wittstock in ihren Werken eben auch das gelehrte Deutschland und so eben auch ein Stück rumänisches Europa, das zu suchen wir nicht müde werden sollten.“

Am Beispiel des Banater Dichters Nikolaus Lenau wird verdeutlicht, wie verflochten dieser länderübergreifende Kulturraum ist, wie künstliche jede Trennung nach den genannten Attributen, wie paradox die Vereinnahmung von Persönlichkeiten durch nationale Interessensgruppen. Zur Frage, ob Lenau, „einer der bedeutendsten Dichter deutscher Sprache“, „aus Rumänien kommt“: Lenauheim liegt im Banat, und dieses gehörte, als Lenau geboren wurde, zu Ungarn, „viele Ungarn reklamieren ihn deshalb als einen der ihren“, obwohl „doch für die alpenländische Germanistik längst ausgemacht ist, dass er ein österreichischer Dichter ist.“ „Das Beispiel Nikolaus Lenau zeigt, wie unermüdlich die Etikettierung von Werk und Autor, von Entstehungsort, von Themen und Biografie versucht wird, damit all dies in den Dienst genommen werden kann für die Suche nach eigenständiger Kultur, die zu nationalen oder zu volksgruppenspezifischen Identitäten führen soll.“

„Der Schnee stellt seine Leiter an die Ringmauer“ – und ausgerechnet die Begrenzung eines in sich geschlossenen Raumes, zu dessen Verteidigung errichtet – symbolisch für Rumänien – wird zum Zugang. Matthias Buth hat diesen Zugang nicht nur selbst gefunden, sondern erschließt ihn auch dem Leser und holt das Land damit in einen gemeinsamen literarischen europäischen Kulturraum ein.

Nina May

Matthias Buth: „Der Schnee stellt seine Leiter an die Ringmauer“. Poetische Annäherungen an Rumänien und andere Welten. Pop Verlag, Ludwigsburg, 2020, 180 Seiten, 19,50 Euro, ISBN 978-3-86356-294-6.

Schlagwörter: Buch, Lyrik, Prosa, Rumänien, Siebenbürgen, deutsch-rumänische Beziehungen, Rheinland

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