31. Dezember 2022

Die Geschichte der Hohen Rinne, Band III (1930-1941)

„Istoria Păltinișului. Cartea a-III-a (1930-1941)“ – Wie auch in den beiden vorhergehenden Bänden über das Kurhaus Hohe Rinne, präsentiert der Autor, der passionierte und vielfach international ausgezeichneter Philatelist Dr. Mircea Dragoteanu, dem Leser mit seinem dritten Band ein in Form und Inhalt gediegenes Werk.
In einem Vorwort von Gerhard Schullerus jun. – einem der drei vom Autor in der Titelei genannten Beteiligten an diesem Buch, neben Konrad Klein und Georg Coulin, die ihm eine unermessliche Hilfe waren – wird der im Thema Hohe Rinne weniger gewandte Leser in medias res eingeführt: die Rolle des Siebenbürgischen Karpatenvereins (SKV) in Sachen Kurhaus Hohe Rinne.

In der Einführung des Autors werden die unheilvollen Ereignisse gelistet, unter deren Auswirkungen die Tätigkeit auf der Hohen Rinne auch im dritten Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg ihren Lauf nahm: die Nachwehen der großen Wirtschaftskrise, der verheerende Waldbrand im Sommer 1938, der orkanartige Sturm am 29. Oktober 1939, der immer virulenter sich gebärdende Nationalsozialismus und letztendlich der Ausbruch des Krieges. Einen besonderen Reiz stellen die Berichte und Erinnerungen von Zeitzeugen dar: von Ilse Kolck, geb. Kiszling (1905-1995), „Erinnerungen an die Hohe Rinne“, Tochter von Gustav Kiszling, dessen Leben Jahrzehnte lang mit dem SKV und der Hohen Rinne verbunden war, Erinnerungen ergänzt von ihrer Tochter, Prof. Jutta Caplat; die Erinnerungen von Prof. Dr. Ing. Hermann Albrich (1918-2008), Gründer des Instituts für Biotechnologie in München; die Beiträge von Rolf Speck (*1943) über seinen Vater Gustav Speck (*1907), Sportler und HSV-Mitglied, und das Porträt seines Großvaters Prof. Lorenz Sievert (1879-1961), der sich um die Meteorologie im Raum Hermannstadt verdient gemacht hat. Diese zeitgenössischen Texte ergänzen die Beschreibung der Anlagen Hohe Rinne, der Umgebung und des sozialen Milieus.

Die in diesem Band behandelte Zeitspanne ist gekennzeichnet von Ereignissen, die das Leben auf der Hohen Rinne von Grund auf ändern sollten. Es war dies die Fortentwicklung hin zur Moderne: 1927 legte sich der SKV ein Automobil zu, um den Verkehr zur Hohen Rinne zu erleichtern. Ab 1930 wurde der Verkehr, betrieben vom SKV, öffentlich. Diesen neuen Verkehrsmitteln musste aber auch die Zufahrtsstraße entsprechen, was über Jahre für den SKV – wenn auch seitens des Militär-Sanatoriums Hilfe geleistet wurde – erhebliche finanzielle Belastung bedeutete. Die Besucherzahl stieg rasant an dank der erweiterten Möglichkeiten, die das Kurhaus mit dem Touristenhaus und dem Ärzteheim des SKV, das Militär-Sanatorium und das Sanatorium neben der orthodoxen bischöflichen Klause boten. Demzufolge änderte sich das Publikum, was sich auf das soziale Milieu und die Atmosphäre im Kurort auswirkte. Der Autor führt aus, dass trotz aller Schwierigkeiten, vor allem wirtschaftlicher und finanzieller Natur, dank des „aufopfernden Einsatzes“ der SKV-Mitglieder ständig Instandhaltungsmaßnahmen und Verbesserungen im Kurhaus, Touristenhaus und Ärzteheim vorgenommen wurden: Anschaffungen wie Stahlfedermatratzen, Teppiche, Spiegel, 1935 eines neuen Autobusses und Arbeiten an der Zufahrtsstraße und den Spazier- und Wanderwegen u.a.m., wodurch „sich die Hohe Rinne in den 30er Jahren zu dem schönsten und meistbesuchten Höhenkurort in den Karpaten entwickelte“. Es wird auf die mit Beginn der 30er Jahre verstärkte Wintersporttätigkeit eingegangen, mit einer „nie dagewesenen Gästezahl“. Februar 1934 fanden – vom HSV organisiert – die ersten nationalen Wettkämpfe statt (4x10 km- und 18 km Langlauf). Im Januar 1935 wurde die Sprungschanze eingeweiht. „Die Hohe Rinne, Gründung des SKV – war nach über 40 Jahren ihrer Existenz zu einem Symbol von ganz Hermannstadt geworden, wo Groß und Klein, Reicher und Armer, Junger bis Älterer Bergliebhaber und Skifahrer sich zu Hause fühlten, in einer schönen und immer willkommen heißenden Familie.“ Der Autor stellt dem Leser Liebhaber der Hohen Rinne vor, die wiederholt und oft da zu Gast waren: der Arzt Dr. Karl Ungar (1869-1933), Alfred Stephan Hann v. Hannenheim (1902-1987), der Grafiker Hermann Lani (1895-1981), mit dem Künstlernamen Lani-Wayda, Prof. Ernst Buchholzer (1865-1935), der rumänische Philosoph Emil Cioran (1911-1995), Lionel Blaga (1885-1952), Notar und Rechtsanwalt, Bruder des Schriftstellers Lucian Blaga u.a.m. Einen besonderen Platz nimmt der damalige Stadtpfarrer von Hermannstadt, ab 1932 Bischofsvikar Dr. Friedrich Müller (1884-1969) ein: ein „elitärer Intellektueller, besonders seriös und seiner öffentlichen Verantwortlichkeit bewusst“, „überzeugter Gegner des Nationalsozialismus in Zeiten der kollektiven NS-Hysterie“. In der Zeit seines Vikariats habe sich Friedrich Teutsch „mutig gegen die Nazifizierung der Ev. Kirche A.B. der Siebenbürger Sachsen“ eingesetzt.
Dr. Mircea Dragoteanu (Mitte) mit einem Urenkel ...
Dr. Mircea Dragoteanu (Mitte) mit einem Urenkel von Dr. Karl Ungar (Wolfgang Kaiss) – jener Arzt und Botaniker, der auf der Hohen Rinne den Alpengarten anlegte - und dem fotografierenden Konrad Klein zu Besuch im luxussanierten Kurhaus (Juni 2017). Foto: Annelies Fabritius-Tontsch
Immer wieder kommt der Autor auf die Klause und das kirchliche orthodoxe Sanatorium zurück, Ort der seelischen und körperlichen Erstarkung, erbaut auf Initiative des orthodoxen Bischofs von Siebenbürgen, Nicolae Bălan, unter der Leitung von Arch. Fritz Buertmes. Einen gebührenden Platz im Buch nimmt auch das Militär-Sanatorium ein, dessen Führungspersonal, Entwicklung und Erweiterung – bis zum Baubeginn des Militär-Casinos im Jahre 1939 – detailliert beschrieben werden. Beide Anlagen erfreuten sich einer immer lebhafteren Nachfrage und zusammen mit dem Kurhaus Hohe Rinne des SKV bestimmten sie nun das Leben und tägliche Geschehen auf der Hohen Rinne (Păltiniș).

Mit Bedauern stellt der Autor fest, dass in der behandelten Zeitspanne der feindliche, aggressive Nationalismus den „Anderen“ gegenüber ständig zunimmt. Er legt dies dar anhand eines Schreibens der Jugendorganisation Șoimii Carpaţilor (Die Adler der Karpaten), die um Unterbringung im Militär-Sanatorium während den Skiwettkämpfen auf der Hohen Rinne ansucht. Darin heißt es, dass „die Fremden“ in Hermannstadt dem rumänischen Sport voraus seien und „es waren Zeiten, in denen die Schönheit unserer Berge nur den Fremden genutzt haben, aber heute, nachdem wir Rumänen die Herren/Besitzer sind, haben wir das Recht uns ihrer zu erfreuen“.

Detailliert beschreibt der Autor den Erwerb von 14 bebaubaren Parzellen daselbst, wobei auf die Person der Erwerber eingegangen wird. Neben den rumänischen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der Wirtschaft und v.a. Politiker werden auch die Siebenbürger Sachsen Ing. Gustav Binder (†1943), Robert Reschner, Ziegler-Orendi-Habermann und Herberth-Hess und vor allen Friedrich Müller, der spätere Bischof, genannt. Es wird auch auf das Schicksal deren Häuser und Villen nach 1948 eingegangen.

Der Autor geht mit viel Mitgefühl auf das Ereignis des Orkans vom 29. Oktober 1939 im Gebiet Hohe Rinne – Schanta ein, dem Leser werden anhand von zahlreichen Bildern die ungeheuren Schäden vergegenwärtigt. In der ausladenden Passage des Buches über den Besuch von König Carol II. auf der Hohen Rinne am 6. Oktober 1934 erfährt man, dass dieser sich mit den führenden Persönlichkeiten des Siebenbürgischen Karpatenvereins, Dr. Friedrich Kepp, Vorsitzender, und Dr. Fritz Müller, langjähriger Vorsitzender der Verwaltung des Kurhauses Hohe Rinne des SKV, auf Deutsch unterhalten hat. Mit viel Sympathie erwähnt der Autor wiederholt das Personal des Kurhauses: Emmy Rösler, Mutter des Hauses dieser Zeit, und das über Jahrzehnte dem SKV treue Faktotum Michael Zeck (Onkel Misch).

Es werden verschiedene zeitgenössische Veröffentlichungen über den Tourismus zitiert, in denen das Kurhaus Hohe Rinne ein positives bis lobendes Urteil erfährt. Das gute Auskommen mit dem rumänischen Verein TCR (Touring Clubul Român) wird auch thematisiert.

Als passionierter Philatelist widmet der Autor auch dem eigenen Postwesen des Kurhauses Hohe Rinne, seiner eigenen Marke sowie deren Ende, den notwendigen Raum.

Der Autor geht auf die unheilvollen Jahre 1940/41 ein: das Scheitern der vorbereiteten Pachtvertragsverlängerung mit der Gemeinde Großau, der Zweite Wiener Schiedsspruch (30. August 1940), der einen Flüchtlingsstrom von Nordsiebenbürgen aus auslöste, die Abdankung König Carl II. (6. September) und Thronbesteigung König Mihai I., Ausrufung des Legionären Staates durch Marschall Antonescu (14. September 1940), Ernennung von Andreas Schmidt zum Führer der Deutschen Volksgruppe Rumäniens (27. September 1940), was die Gleichschaltung mit dem Reich zur Folge hatte, Ankunft der Wehrmacht-Mission unter General Hausen (12.-14. November 1940) und ihre Präsenz im Kurhaus auf der Hohen Rinne und der Eintritt Rumäniens im Juni 1941 in den Krieg an der Seite des Deutschen Reiches. Obwohl sich das „unverdiente Ende einer Legende des Tourismus in den Karpaten“, eben des Kurhauses Hohe Rinne, abzeichnete, gab es noch eine aktive Wintersaison und eine Sommersaison 1941. Die Zitate aus Erinnerungsbüchern des Kurhauses und der verschieden privaten Villen zeichnen ein überzeugendes Bild der letzten Tage dieser Anlage. Am 3. Juli 1941 fand dann die unheilvolle Versteigerung statt, die der SKV – mit Hilfe unlauteren Eingriffe einflussreicher Stellen – zu Gunsten der nach Hermannstadt umgesiedelten Klausenburger Universität „Dacia Superioară“ verlor.

Wegen der Fülle an Daten, der detaillierten, unparteiischen und fachkundigen Beschreibungen der Geschehnisse, der gehobenen Sprache des Autors und der überaus reichen Bebilderung mit unzähligen Bildern aus privaten Fundus und Bildern der Gebrüder Fischer kann dies über 400-seitige Buch nur empfohlen werden.

Manfred Kravatzky



Das Buch kann per E-Mail dragoteanu[ät]yahoo.co.uk beim Autor in Deutschland zum Preis von 40 Euro (inkl. Versand) und in Rumänien für 140 Lei, zuzüglich Versand, bestellt werden.

Schlagwörter: SKV, Hohe Rinne, Buchvorstellung, Konrad Klein, Coulin

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