7. März 2023

Eröffnung der Kulturhauptstadt Temeswar 2023 / Erlebnisbericht von Katharina Kilzer und Anita Maurer

Am Freitag, den 17. Februar, wurde bei Sonnenschein in Temeswar mit viel Trubel auf den Straßen und in den Stadtteilen die Kulturhauptstadt Temeswar 2023 offiziell eröffnet. „Drei Tage für ein Jahr“ lautete das Motto der Eröffnungstage. Ebenso: „Entdecke die Stadt mit dem Auge, dem Ohr und dem Herz, wandere durch Genres und Kulturen, Traditionen und Technologien“.
Zahlreiche Besucher tummelten sich zu den bereits geöffneten Ausstellungen, Vorlesungen und Stadtführungen in der Theresien-Bastion, dem Barockpalast, der Garnison, der Kunsthalle Bega, im ISHO-Center, auf der Eisenbrücke der Josefstadt, im Haus der Jugend (Casa Tineretului), im Kunstcenter, dem Wasserwerk, in Galerien, Kirchen, im Polytechnikum, in der West-Universität und vor allem auf dem Corso und den drei Hauptplätzen: Domplatz (Piaţa Unirii), Freiheitsplatz (Piaţa Libertatii) und Opernplatz (Piaţa Victoriei). Tagsüber verspürte man schon den besonderen Spirit in der Stadt. Es lag etwas in der Luft. So kannte man die Stadt nicht: Die Terrassen der Innenstadt waren alle verschwunden aus dem öffentlichen Raum und überall war es sauber aufgeräumt. Zahlreiche Polizisten sorgten für Sicherheit. Mehr als 200 Freiwillige standen den Besuchern mit Rat und Tat zur Seite, sie trugen gut erkennbare gelbe Jacken mit dem Logo „My work is priceless – meine Arbeit ist kostenfrei“.
Plakatiert zum Kulturhauptstadtjahr 2023: „In ...
Plakatiert zum Kulturhauptstadtjahr 2023: „In Temeswar treffen sich die Wege der europäischen Kultur“. Foto: Anita Maurer
Auf dem Domplatz (Platz der Vereinigung, rum. Piața Unirii) standen große Leinwände, die das Eröffnungsprogramm übertrugen. Am Abend versammelten sich Tausende um die Pestsäule des Domplatzes und lauschten den Musikgruppen wie Taraf de Caliu, Aljona (Ukraine), Fritz Kalkbrenner (Berlin), DJ Doctorul sinteza, Implant pentru refuz, Duchamp pilot u. a. Die Stimmung war euphorisch, obwohl es in den sozialen Medien so manche unangemessene Diskussion über die Auswahl der Musiker gab. 200 akkreditiere Journalisten, 50 Botschafter und Konsuln aus europäischen Ländern waren zur Eröffnung gekommen. Im alten Barockpalast – Kunstmuseum – wurde die Ausstellung mit 100 Werken des in Rumänien geborenen Surrealisten Viktor Brauner eröffnet. Der Andrang war groß und die Besucherschlange reichte bis weit auf die Straße hinaus. Die Mehrzahl der Werke ist eine Leihgabe des Centre Pompidou aus Paris, kuratiert von Camille Morando. Die Ausstellung des Künstlers Paul Neagu war ebenda - der Künstler, der vor der Kathedrale das Denkmal für die Opfer des Kommunismus geschaffen hat. In der Garnison, dem einstigen Militär Casino von 1744, waren zeitgenössische Künstler zu sehen. Hier traf man auch den Bürgermeister Dominic Fritz mit seiner Ehefrau bei der Vernissage. Auf dem Domplatz hatte Dan Perjowschi, der auch bei der Documenta Kassel 2022 war, eine alte Straßenbahn bemalt, die zu Stadttouren einlädt. Die Philharmonie Banatul begleitete die Gala in der Oper (Kulturpalast genannt); das Konzert wurde live übertragen.

Am Freitag besuchten wir im Deutschen Theater das Stück „Ziffern“ (Cifre) – Geschichten aus den Tagen der Revolution von 1989 in Temeswar. Auch das alte Revolutionsmuseum Memorialul Revoluţiei ist teilweise renoviert und präsentierte die Momente der 1989 Revolution. Die Flanierstraßen der Stadt waren abends mit Hunderten von hängenden Lichterketten beleuchtet und unterstrichen das Motto „Shine your Light – Lass dein Licht erstrahlen“! Die Menschen schoben sich durch die Straßen, die Stimmung war sehr gut und heiter. Man hörte verschiedene Sprachen; der deutsche Bürgermeister Temeswars begrüßte die Gäste auch auf Deutsch: „In unserem Europa, das seinen Weg in diesem komplexen Jahrhundert erst noch findet, will Temeswar Mut machen. Vielfalt ist Kraftquelle, Kultur schafft Wohlstand.“

Am Samstagnachmittag war der Höhepunkt der Vortrag „Perspektive Europa“ von Peter Sloterdijk (Karlsruhe), übersetzt von Werner Kremm und Henrike Bradiceanu-Persem. Das Motto der Veranstaltungen der West-Universität lautete: „Cultura e capitala – Die Kultur ist Hauptstadt“. Um 10.00 Uhr hatte bereits der im Vorfeld sehr kontrovers diskutierte vertikale Garten am Opernplatz eröffnet. Die Pepinarie, mit 1306 Pflanzen einer lokalen Baumschule begrünt, hat was: Wenn man die fünf Teilabschnitte hochsteigt, gewinnt man einen anderen Blick: auf Augenhöhe mit den Dächern der Umgebung, des Modex, des Lloyd-Palastes oder des Löffler-Palastes mit den Einschusslöchern der 1989er-Revolution. Aus der ungarischen Kulturhauptstadt oder -region Veszprém waren Riesen-Puppen-Figuren zu Gast, die durch die Innenstadtstraßen marschierten und auf dem Freiheitsplatz einen Tanz vorführten. Aus Ungarn war das Quartett Kosztándi in der Reformierten Kirche zu Gast. Außerdem gastierte die polnische Gruppe Lajko Felix & Volosi bei der Philharmonie Banat. Abends projizierte das Ballett oft he City – Jonas Denzel aus Baden-Karlsruhe Balletttänze auf die Säulen der Oper. In der Synagoge der Innenstadt wurde eine Performance von Tarek Atoui angeboten, die nur mit Eintrittskarten zu besichtigen war. Die Kreation gehörte zur Ausstellung „Chronic Desire – chronischer Durst“ an vielen Stellen in der Stadt. In der Kunsthalle Bega ist ein Werk der Biennale-Künstlerin Adina Pintilie zu sehen. Sonntag fanden Lesungen in „Doua bufnite“ am Dom, einer Performance der Berliner Künstlergruppe RomaMoMA sowie zahlreiche weitere Veranstaltungen, Musikabende in den Clubs und Diskotheken statt. Organisation und Vielfalt des Programmes waren beeindruckend. Leider konnte man nicht überall dabei sein. Wir freuen uns auf weitere Besuche in diesem besonderen Jahr in dieser besonderen Stadt des Banats 2023.

Schlagwörter: Temeswar, kulturhauptstadt, Eröffnung, Fritz

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