24. Mai 2023

"Was uns anzieht: Trachten der Deutschen aus dem östlichen Europa zwischen Ästhetik, Politik und Mode"

Unter diesem einprägsamen Titel hat Dr. Lilia Antipow, die Leiterin der Öffentlichkeits-, Medien- und Pressearbeit sowie der Bibliothek im Haus des Deutschen Ostens (HDO) in München, vom 11.-13. April zu einem Trachtenseminar in das Bildungszentrum Kloster Banz eingeladen.
Abschlussfoto aller Trachtenträger beim Seminar ...
Abschlussfoto aller Trachtenträger beim Seminar in Kloster Banz. Foto: Uwe Pfeiffer
Neben anderen beitragenden Institutionen, wie der Hanns Seidel Stiftung e.V., der Heimatpflegerin der Sudetendeutschen, dem Kulturwerk der Banater Schwaben e.V., dem Haus der Donauschwaben, der Stiftung Kulturwerk Schlesien e.V. und der Kulturreferentin für Pommern und Ostbrandenburg waren auch das Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen e.V. mit Dr. Iris Oberth und unser Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., vertreten durch die Bundeskulturreferentin Dagmar Seck, als Kooperationspartner bei der Organisation und Planung im Vorfeld eingebunden.

An dem Seminar haben auch Vertreter fränkischer Gruppen und des Bezirks Oberbayern teilgenommen. In mehreren Veranstaltungsblöcken wurden Trachtengruppen zusammengefasst und vorgestellt: Böhmen, Mähren und die Gottschee; Donauschwaben aus Ungarn, Ost- und Westbanat und der Batschka; Dagmar Seck moderierte das Panel zu Siebenbürgen und Schlesien und ein weiteres Panel befasste sich mit Pommern. Die speziellen Besonderheiten dieser Trachten und die mit ihnen verbundenen Traditionen wurden sehr lebendig dargestellt.

Hochkarätige Referenten gestalteten die Veranstaltung mit ihren Vorträgen. Alexander Wandinger vom Zentrum für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern ging in seinem Impulsvortrag „Tracht & Co. – Fragen statt Antworten“ auf den Wandel in der Trachtenmode ein. Den Festvortrag hielt Dr. Elsbeth Wallnöfer über „Die Identitätspolitische Relevanz von Kleidung für Minderheiten“. Was ist Tracht, warum ziehen wir Tracht an: „Hübscht“ man sich damit auf? Zeigt man, „was man hat“? Demonstriert man damit auch seine politische Gruppenzugehörigkeit?

Die Podiumsdiskussion zu den Buchprojekten „Heimat im Gepäck. Vertriebene und ihre Trachten“ und „Wer bin Ich? Wer sind Wir? Zu Identitäten der Deutschen aus dem östlichen Europa“ mit Katrin Weber, Walther Appelt und Annette Hempfling wurde von Patricia Erkenberg vom HDO moderiert. Angeregt durch die Vorträge und die Podiumsdiskussion wurde überaus lebhaft zu folgenden Fragen und Themenbereichen diskutiert: Ist Tracht heute noch alltagstauglich oder nur Erinnerungsort? Gibt sie Heimat? Wie wichtig ist Tracht für eine Minderheit? Ist sie identitätsstiftend? Gab es auch einen Zwang, sie zu tragen? Darf sich Tracht verändern, „modernisieren“, anpassen? Wie kann man das Tragen von Tracht der jungen Generation heute näherbringen, es veralltäglichen? Jeans und Trachtenhemd, ein No-Go? „Verdirbt“ man die Tracht damit oder erleichtert man deren Tragen und Erhalt?

Weitere überaus interessante Vorträge mit Trachtenbeispielen folgten. Jan Kuča stellte die Trachten in Böhmen und Mähren vor. Hätten Sie gewusst, wo die Trachten- und Sprachinsel Wischau liegt? Rosina Reim, Monika Ofner-Reim und Christine Legner stellten sie uns vor. Die extrem steif gestärkten Plisseeröcke und Unterröcke dieser Gegend erinnerten an die Banater Trachtenröcke.

An die 600-jährige deutsche Geschichte der Gottschee, einer deutschen Sprachinsel in Slowenien, ungefähr 80 km nördlich von Rijeka und der Adria-Küste gelegen, erinnerte Josef Balazs. Er ging auf die Trachtenelemente dieser Gruppe ein, deren Geschichte mit Ende des Zweiten Weltkriegs erlosch. Professor Dr. Michael Prosser-Schell berichtete über die nationale Minderheit der Deutschen in Ungarn: „Folklorisierung als Aspekt der Kultur der deutschen ‚Nationalen Minderheit‘ in Ungarn“.

Anke Niklas führte uns ins Banat: „‚Wandelnde Glocken‘: geschichtliche, gesellschaftliche und textile Aspekte der donauschwäbischen Frauentracht“. Elwine Muth und Jasmin Muth berichteten von „Banater Trachten in Vergangenheit und Gegenwart“. Erstaunt erfuhren wir, dass bei den sehr steif plissierten Röcken der Kirchweihtrachten eine extra Kante im Hüftbereich eingebügelt wird und zwischen fünf bis sieben Unterröcke darunter getragen werden müssen, um den besonders ausladenden Hüftbereich zu betonen. Nach der umständlichen Anziehprozedur können sich die Trägerinnen nicht mehr hinsetzen.
Dr. Irmgard Sedler (Erste von rechts) erläutert ...
Dr. Irmgard Sedler (Erste von rechts) erläutert die siebenbürgischen Trachten, von links: Dagmar Seck, Christa Wandschneider, Willi Dietrich, Gerda Dietrich, Annette Folkendt, Gerlinde Zakel, Brigitte Krempels. Foto: Doris Hutter
Dr. Irmgard Sedler leitete die Teilnehmer in ihrem interessanten Vortrag nach Siebenbürgen: „Vom ‚sächsischen Nationalkostüm‘ zum bäuerlichen Kirchengewand im 19. Jahrhundert und zur ‚sächsischen Bekenntnistracht‘ der Gegenwart: Kostüm- und ideengeschichtliche Aspekte“. Ihr Vortrag war von wunderbaren Bildbeiträgen begleitet.

Annette Folkendt hatte eine siebenbürgische Trachtenecke mit typisch siebenbürgischen Trachtenelementen wie Bockelnadeln, einer Auswahl Heftel, Spangengürteln, Bändern, einem Trachtenmantel, einer Trachtenpuppe, Roder Kopfschmuck, gestickten Tischdecken und siebenbürgischer Keramik aufgebaut. Die überaus anschaulichen Elemente stießen auf großes Interesse bei den Seminarteilnehmern.

Bei der großen Trachtenschau war Siebenbürgen vertreten mit einer Landler-Tracht aus Großpold, getragen von Christa Wandschneider, einer Männer- und einer Frauentracht aus Reußmarkt, Sommer- und Wintertracht mit dem wertvollen Kürschen, von Willi und Gerda Dietrich präsentiert, eine Roder Sonntagstracht, die Annette Folkendt zeigte, der Peschendorfer Frauentracht getragen von Gerlinde Zakel, einer Frauentracht aus Scharosch im Fogarascher Land, die Brigitte Krempels mitgebracht hatte, und der Agnethler Jungmädchentracht von Dagmar Seck. Sehr kompetent wurden die siebenbürgischen Trachten von Frau Dr. Irmgard Sedler vorgestellt und erläutert.

Deutsche Trachten in Oberschlesien stellte Katrin Weber vor. Auf die Pommersche Tracht und die Rekonstruktion der „Vorpommerschen Pottmütze“ gingen Dorota Makrutzki und Cornelie Müller-Gödecke ein.

Passend zum aktuellen Jahr, in dem Temeswar Europäische Kulturhauptstadt ist, fand am ersten Abend eine Lyrik-Lesung von Katharina S. Eismann aus ihrem neuesten Band statt: „Dschangakinder“, in dem sie Temeswar-Impressionen vermittelt (Dschanga = Straßenbahn).

Das Seminar wurde abgerundet durch die mitreißende Musik und die Folkloreshow des Ihna Tanz- und Folkloreensembles aus Erlangen unter der Leitung von Julia und Landulf Jäger. Mit begeisternder, überschäumender Lebensfreude stellten sie tanzend die farbenfrohe Trachtenlandschaft Pommerns schwungvoll vor.

Wer hätte gedacht, dass die Röcke der Belbrucker Bauerntracht in Blau und Rot gehalten sind? Und der Peitschentanz erinnerte an die Urzelnpeitsche!

Mit einer beeindruckenden Trachtenschau aller anwesenden Trachtengruppen aus Böhmen, Mähren, Wischau, Pommern, Schlesien, dem Donauschwäbischen Raum und Siebenbürgen und einem lustigen Trachtenquiz von Dagmar Seck endete die Tagung.

Es war eine wunderbare Veranstaltung, unser herzlicher Dank gebührt den Organisatoren, besonders Frau Dr. Antipow, und den Kooperationspartnern. Wir können hoffen, dass eine derartige Veranstaltung bald wieder stattfinden wird.

Ute von Hochmeister-Lamm

Schlagwörter: Seminar, Trachten, Haus des Deutschen Ostens München

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