19. September 2023

„Europäisches Kulturerbe“ und „gelebte Völkerverständigung“

„Wir müssen dieser einzigartigen Kirchenburgenlandschaft eine Perspektive, eine Chance auf Zukunft geben. Ohne eure Hilfe werden wir das nicht schaffen.“ So appellierte Bischof Reinhart Guib am 8. September im Nürnberger Rathaus an die zahlreichen Anwesenden bei der Eröffnung der Ausstellung „Kirchenburgenlandschaft Siebenbürgern – ein europäisches Kulturerbe.“ Stadtrat und Landsmann Werner Henning hatte sich für den zentralen Ort Nürnbergs für diese Ausstellung stark gemacht und begrüßte zahlreiche Interessierte sowie besondere Gäste: Bischof Reinhart Guib mit Gattin, Oberbürgermeister Marcus König, Hauptanwalt Friedrich Gunesch, Konsul Cristinel Petrescu, Annette Folkendt, Vorsitzende der Kreisgruppe Nürnberg, und Philipp Harfmann von der Stiftung Kirchenburgen.
Bei der Ausstellungseröffnung, von links: Dagmar ...
Bei der Ausstellungseröffnung, von links: Dagmar Seck, Friedrich Gunesch, Henriette Guib, Bischof Reinhart Guib, Werner Henning, Annette Folkendt, Philipp Harfmann. Foto: Horst Göbbel
Oberbürgermeister Marcus König sprach von einer identitätsstiftenden Ausstellung. „Es ist für mich selbstverständlich, dass wir eine solche Ausstellung zu den siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen hier zeigen. Sie dokumentiert gelebte Völkerverständigung hier im Nürnberger Haus der Bürger.“ Bischof Guib sieht seinerseits ein „Band der Verbundenheit zwischen Nürnberg und Siebenbürgen.“

Im stets gefährdeten Grenzgebiet des Ungarnreiches entstand während der Jahrhunderte ein Verteidigungsgürtel aus Wehranlagen. Um sich flotter und effektiver zu schützen, wurden die Zufluchtsorte in die Dorfmitte verlegt: die Kirche wurde zur Wehrburg, zur Wehrkirche, zur Kirchenburg ausgebaut. Mächtig, wuchtig, zur Abwehr von Angriffen jederzeit bereit.

Diese Kirchenburgen sind eine kulturhistorische Rarität und wesentlicher Teil der europäischen Kulturlandschaft Siebenbürgen. Diese Kirchenburglandschaft atmet den Geist der wechselseitigen Beziehungen, sie ist gewichtiges Identitätsmerkmal der Siebenbürger Sachsen. Diese ländlichen Gesamtkunstwerke besonderer Art waren bis in das 20. Jahrhundert hinein zumeist gepflegt und unterhalten, waren „gleichsam Symbol für den starken Gemeinsinn und das Traditionsbewusstsein der Siebenbürger Sachsen“ (Arne Franke) als ein wesentlicher Vorposten der westlichen Christenheit, ein christlicher Limes gegen den osmanischen Islam und die drei Jahrhunderte dauernden Türkenkriege – sie waren im wahrsten Sinne „befestigter Glaube“ (van Buer/Balazs). Die Kirche, die Kirchenburg, „das Allerheiligste, war der Ort letzter Zuflucht, in Gefahr für Leib und Leben, gleichzeitig Hort für Heil und Segen“ (Augustin Ioan). Wenige Menschen in den einzelnen Dörfern – einige hundert - haben diese mächtigen Wehrbauten in Eigenregie mit großer Kreativität errichtet und instandgehalten. Kein Architekturbüro hat geplant, keine Landesbehörde hat angeordnet, es gab keine staatlichen Subventionen, es gab keine Sklavenarbeit, es gab bei den Sachsen nur den unausrottbaren Gemeinschaftssinn.

Die Siebenbürger Sachsen betrachten diese Bauwerke als Symbol ihrer Gemeinschaft, als Zeugnisse ihres jahrhundertelangen Behauptungswillens gegen die Widrigkeiten des ihnen auferlegten Schicksals. Sie stellen in Europa, ja in der ganzen Welt ein in seiner Art einmaliges Kulturdenkmal dar. Als Teil des internationalen Kulturerbes bedürfen sie eines besonderen Schutzes. Ihr Erhalt ist jedoch nicht einfach. Die stark geschrumpften evangelisch-deutschen Gemeinden vor Ort sind kaum noch in der Lage, das kulturelle Erbe aus eigener Kraft zu erhalten. Neue Ideen und Konzepte sind nötig. „Die Stiftung Kirchenburgen möchte mit dieser Ausstellung über die Entstehung und die aktuelle Situation der Kirchenburgenlandschaft berichten und Perspektiven für den zukünftigen Erhalt aufzeigen,“ betonte in seiner Einführung Philipp Harfmann. Eine reich bebilderte sehr informative Broschüre zur zweisprachigen Ausstellung, die schon an vielen Orten in Rumänien und in Deutschland gezeigt wurde, lag bereit und wurde von den Gästen gerne mitgenommen. In seiner prägnanten Ansprache hob Bischof Guib einerseits den besonderen Charakter der siebenbürgischen Kirchenburgen hervor, aber auch deren Gefährdung sowie die Notwendigkeit von umfassenden Maßnahmen zu deren langfristigen Sicherung. „In Siebenbürgen laufen viele Initiativen zur Rettung, Instandsetzung, zum Erhalt, zur Nutzung von Kirchenburgen. Neben unseren Kirchengemeinden, die sich engagieren mit ihren beherzten Burghütern haben besonders die siebenbürgisch-sächsischen Heimatortsgemeinschaften, etwa von Nadesch oder Bistritz und viele anderen aus vielen, vielen Orten Siebenbürgens, beherzte Frauen und Männer, sowie Vertreter des rumänischen Staates, Vereine und Stiftungen und ganz besonders auch der deutsche Staat das Alarmzeichen vernommen und auch gehandelt.“ Diese „Veranschaulichung unseres in Stein gehauenen reformatorischen Glaubens“ (aktuell circa 160 Kirchenburgen, früher mehr als 200), diese „Mahnmale einer 200-jährigen katholischen und 500 Jahre alten evangelischen Überlebensgeschichte“ benötigen unsere Aufmerksamkeit. „Ihre Existenz ist gefährdet.“ Bischof Guib lud ein, „dieses europäische Kulturerbe geistig und faktisch mitzutragen. Wir können es nicht mehr allein. Ohne eure Hilfe werden wir das nie schaffen. Wir haben uns geöffnet in Rumänien. Die Siebenbürgisch-Sächsische Stiftung Kirchenburgen mit ihrem rumänischen und deutschen Staatspräsidenten als Schirmherren bleibt besonders aktiv. Diese weltweit einzigartige Kirchenburgenlandschaft benötige eine Perspektive, eine realistische Chance auf Zukunft. „Es wird nur gemeinsam oder gar nicht möglich sein!“, bekräftigte Bischof Guib.

Horst Göbbel

Schlagwörter: Ausstellung, Kirchenburgen, Nürnberg

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