30. September 2023

Die Welten der Ana Blandiana: Anmerkungen zum Lyrikband „Variationen über ein gegebenes Thema“

„Die Blätter fallen/ das Universum anzündend/ mit räuberischer Aura/ von parallelen Welten.“ (Seite 49). „Der Schlaf ist der geheimnisvolle Weg,/ der die Leben verbindet:/ das Leben vor der Geburt/ mit dem nach dem Tod/ und dem jetzigen.“ (S. 77). „Hin und wieder/ hielt zwischen uns die Zeit an./ Wir traten aus ihr aus“ (S. 15).
Die rumänische, bereits international hoch geehrte Dichterin Ana Blandiana erzeugt mit all dem eine zweite Welt. Es ist für uns hier in diesem modernen Deutschland ein anderes Universum mit lauter verblüffenden Bezügen; ich bin fast sicher, auch für Rumänen wirken ihre Folgerungen und Schlüsse wie das Betreten einer weiteren, sehr neuen Daseinsweise. Aber gerade das leistet eben die Kunst dieser Frau: so viel in die uns bekannten, altvertrauten Abläufe noch hineinzusehen, dass uns das dann im Endeffekt als eine frappierend erweiterte Existenz erscheint.

„Was wäre, wenn wir uns vornähmen, / gleichzeitig voneinander zu träumen/ als würden wir uns im Traum treffen?“ (S. 29).

Kein Wunder, dass Ana Blandiana bei ihrem Entwurf einer zweiten Welt auch auf Sachen kommt, an die zum Beispiel ich gar nicht glaube: „Erst mit dem Tod beginnt alles.“ (S. 53). (Ana Blandiana führt das dann fort: „Aber wir wissen nicht was.“)

Nahezu alle Gedichte dieses Bandes sind Liebesgedichte. Sie richten sich immer wieder an den Geliebten. Langsam wird hierbei deutlich: der Geliebte ist nicht präsent. Diese allmählich sich offenbarende Gewissheit verleiht den Gedichten noch zusätzlich einen Schub an Intensität, an Eindringlichkeit.

Der Geliebte nie da: darauf spielt auch der Titel des ganzen Bandes an. Der Rezensent gibt aber zu: er hat erst eine Weile herumgerätselt, sind es Mitteilungen an den Freund als an jemanden, der etwa politisch verschleppt worden ist, oder an jemanden, der gestorben ist? Für einen verschleppten Gefangenen spricht zum Beispiel das Gedicht „... dass du heimkommst/ wie ein Ritter ohne Angst und List.// Und als wäre nicht alles seltsam genug/ .../ will ich über deinen Heimweg nichts wissen/ es genügt mir/ dass du da bist.“ (S. 33). Oder etwa das Gedicht „Wenn wir wie einst noch Mikrophone im Haus hätten, würde man mich beim Abhören sicher für verrückt halten, wie ich mit dir rede (...) und man würde vermuten, dass die Pausen im Gespräch durch konspirative Zeichen gefüllt würden“ (S. 23).

Nun, endlich wurde auch mir klar: Ana Blandiana hält Zwiesprache mit einem Verblichenen.

Es ist erstaunlich, was diese Dichterin aus der Situation des Niemals-mehr herausholt, aus den Anreden an einen Gestorbenen; einem Thema, das ja nicht zum ersten Mal abgehandelt worden ist. Ein heute rarer Vorzug, dass sie sich dabei nicht zu begriffsmäßigen Konstruktionen versteigt. Der Geliebte wird im Laufe des Buches deutlicher; „Den Schmerz in Gedanken zu zergrübeln/ wurde dir niemals zu viel.// Von Kindheit an haben deine Worte/ einander zerfleischt – lebenslang“ (S. 111). Aber noch viel deutlicher wird die Sprechende, Ana Blandiana; sie vor allem durch das, was sie sich bei ihren Folgerungen vergegenwärtigt. Ihre Liebe tut dem keinen Abbruch; ihre Liebe lässt keine Einfälle verkümmern. „Ich bitte dich um Ratschläge, auf die ich nicht höre, ich gebe dir meine Manuskripte zu lesen und ändere danach nichts.// Wichtig ist, dich in der Nähe zu spüren /nachdem ich vergesse, dass ich dich selbst erfand“ (S. 71).

Und vier entscheidende Zeilen aus dem vielleicht besten Gedicht des Bandes: „(…)/ Aber was heißt verschwinden?/ Wie kann etwas, was es gibt/ nicht mehr sein/ als wäre es nie gewesen?“ (S. 103).

Es geht in ihren Gedanken und in diesen Gedichten oft genug um das Jenseits, um eine Zeit nach dem Tod. Das wird aber keineswegs verkitscht mit ausgelaugten Bibeladaptationen. Ana Blandiana – Tochter eines orthodoxen Priesters – dupliziert da so gut wie nichts. Sie überlegt sich selbstständig die Jenseitswelt, die für sie gewiss ist. „Ich frage mich oft, ob das, was du hier wusstest, dir dort, wo du jetzt bist, etwas nützt, oder ob du alles neu lernen musst“ (59). Und sie entwirft das bemerkenswerte Gedicht um den Spiegel. „,Ich habe einen Pakt mit dem Spiegel‘, sagtest du./ ,Er hat mir geschworen, bis zum Tod/ dich immer so zu zeigen, wie ich dich sehe‘“. Ana entwickelt das dann weiter: „Jetzt sehe ich mich im Spiegel/ und warte mit Angst auf die Veränderung./ Aber es passiert nichts:/ was für ein wunderbarer Beweis/ dass du nicht aufhörst mich anzusehen.“ (S. 17). Viel ist schon über die Spiegel gedichtet worden; mit dieser Stoßrichtung wie von der jetzt 81-jährigen Dichterin noch nie etwas. Ana Blandiana wendet sich mit solchen Gedichten zugleich ab von der bloßen Zuständlichkeit der Dinge. Sie bemüht sich allenthalben um Sinngebung.

Die Gedichte Ana Blandianas in dem Band sind freie Rhythmen, manchmal da oder dort gereimt, aber das Ende des Buches enthält einige Sonette – im Rumänischen auch korrekt gereimt –, darunter das ganz erstklassige „Es schneit!“ (S. 109), und dieses Sonett benötigt wieder die andere Welt.

Harald Gröhler

Ana Blandiana: „Variationen über ein gegebenes Thema. Variaţiuni pe o temă dată“. Gedichte Deutsch/Rumänisch. Aus dem Rumänischen und mit einem Nachwort von Ruxandra Niculescu. Pop Verlag, Ludwigsburg, 2022, Reihe Lyrik, Band 170, 149 Seiten, 18,50 Euro, ISBN 978-3-86356-364-6.

Schlagwörter: Blandiana, Lyrik, Buchvorstellung

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