9. Oktober 2023
Zukunft der Kirchenburgenlandschaft: Tagung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen in Hermannstadt
Spricht man von Eigentum, so wird meistens an Gut und Erbe gedacht. Fügt man diesen beiden Begriffen das Wort „Kultur“ an, ändert sich plötzlich die Perspektive: über Kulturgut und Kulturerbe sollten nur die sprechen, die eine Ahnung haben – und trotzdem redet jeder darüber. Und dann noch ein gewagter Gedankensprung: Vor die beiden Begriffe füge man noch „siebenbürgische Kirchenburgen“ hinzu und die Lunte brennt, das Schießpulver ist trocken und man wartet auf die Explosion der von dem Friedenspreisstifter erfundenen Dynamitstäbchen, denn das Thema ist vielschichtig, kompliziert und geladen.

Zur Eröffnung sprach Dr. Ernst Gierlich, Vorsitzender der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, von der sinnbildlichen Verbindung zwischen der Luther-Hymne „Ein feste Burg ist unser Gott“ und der Geschichte der Siebenbürger Sachsen, als gelebte Wirklichkeit der Wehrarchitektur unter dem Schutz Gottes als Abbild des himmlischen Jerusalems. Im Namen der „Stiftung Kirchenburgen“, Mitveranstalter der Tagung, erinnerte Philipp Harfmann nicht nur an die von der Stiftung schon mit Erfolg durchgeführten Projekte, sondern auch an die im Raum stehende Bedrohung, der noch viele Kirchenburgen ausgeliefert sind. Astrid Fodor, Bürgermeisterin von Hermannstadt, betonte die Bedeutung des fachgerechten Einsatzes zum Schutz der Kirchenburgen. Es sei nötig, Fachkompetenzen und Mittel zu bündeln, um diese einzigartige europäische Kulturlandschaft zu sichern. Bischof Reinhart Guib sprach über die Dringlichkeit der Eruierung von tragbaren und nachhaltigen Zukunftsvisionen, um das Weiterbestehen der Kirchenburgen zu sichern. Dr. Paul Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, erinnerte an die politische Unterstützung zur Sanierung und Rettung der Kirchenburgen, um die sich das Forum über die Jahre bemüht habe. Michael Konnerth verlas das Grußwort von Rainer Lehni, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, der auch an die klein gewordenen Gemeinden erinnerte, die Bemerkenswertes zum Erhalt des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes geleistet hätten. Für die Kirchenburgen fühlten sich die ausgewanderten Siebenbürger Sachsen mitverantwortlich und setzten sich in letzten Jahren verstärkt für deren Erhalt ein, betonte Ilse Welther, Vorsitzende des HOG-Verbands.

Wie Dr. Daniel Tellman darlegte, nahmen die Studenten des Polytechnikums Temeswar im Rahmen ihrer Fachprüfungen eine Bestandsaufnahme der siebenbürgischen Kirchenburgen vor und erarbeiteten auch Nutzungs- und Lösungsvorschläge für die in situ vorhandenen Bauwerke, von denen einzelne dabei sind, praktisch umgesetzt zu werden. Über Notrettungsmaßnahmen sprach Tudor Pavelescu, der das Dächerprogramm der Stiftung Kirchenburgen vorstellte und auch auf die Nutzung von alten, historischen und neuen Dachziegeln einging. Philipp Harfmann präsentierte die gesamte Tätigkeit der Stiftung Kirchenburgen: von Bestandsaufnahmen und Sanierungsmaßnahmen bis hin zu dem Holzstockfestival in Holzmengen (Hosman), wobei viele Projekte nur dank der lokalen Partner möglich seien. Ein besonderes Augenmerk der Stiftung gilt der Ausbildung von Fachkräften, um diese bei den Bauarbeiten einsetzen zu können. Bemerkenswert findet Harfmann die Entwicklung der rumänischen Zivilgesellschaft, die sich in den letzten 15 Jahren, seit Gründung der Stiftung Kirchenburgen, der kulturellen Bedeutung der Kirchenburgenlandschaft bewusster geworden sei und sich verstärkt für deren Sicherung und Nutzung einsetze.
Zukunftsvisionen und Erfolgsprojekte wurden in mehreren Vorträgen über die Nutzungsmöglichkeiten von Kirchenburgen angesprochen. Über das Projekt in Schönberg (Dealul Frumos) berichtete Dr. Liviu Alexandru Gligor. 2001 übernahm die Ion-Mincu-Universität diese Kirchenburg und nutzt sie nun als Ausbildungsort für die eigenen Studenten, wobei auch die notwendigen Denkmalschutzmaßnahmen durchgeführt werden. Gligor bedauerte, dass das Pfarrhaus nun nicht mehr zum Projekt gehöre. Michaela Tuerk referierte über das Revitalisierungsprojekt des Mihai-Eminescu-Trusts in der Kirchenburg Almen (Alma Vii). Das Phoenix-Projekt in Felldorf (Filitelnic) stellte Arhitekt Lóránd Kiss vor.

Alle Projekte verdeutlichen, dass es dringend nötig ist, die lokale Gemeinschaft, jenseits der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, in die Maßnahmen zum Erhalt und zur Nutzung der Kirchenburgen einzubeziehen. Eine aktive Nutzung der Kirchenburg trägt zum Schutz dieses Kulturerbes bei; eine nicht genutzte Wehrkirche hingegen verfällt schneller.
Dass Kirchenburgen nicht nur der Bau als solchen darstellen, war dem Vortrag von Dr. Agnes Ziegler zum mobilen Kulturerbe zu entnehmen. Dr. Ziegler stellte das breitangelegte Projekt zur landesweiten Inventarisierung des mobilen Kulturguts vor, das auch gesichert werden müsse. Angedacht sei eine zentralisierte und standardisierte Datenbank, die entscheidend zum Schutz dieses Teils des Kulturerbes beitragen werde.

Als positives Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen HOG und der Gemeinde vor Ort stand die Kirchenburg in Reußmarkt (Miercurea Sibiului) auf dem Programm. Als weiteres positives Nutzungskonzept wurde die Gräfenburg in Kelling (Câlnic) vorgestellt. Beim Treffen mit Landeskirchenkuratorin Dr. Carmen Schuster in Kleinschenk (Cincșor) wurde die gute Verbindung zwischen lokaler Gemeinschaft und Kirchenburg aufgezeigt. Für den Erfolg derartiger Projekte sei es nötig, dass sich die örtliche Kirchengemeinde in mehrfacher Hinsicht öffne: zur Mehrheitsbevölkerung, zu den ausgewanderten Mitgliedern der Gemeinde sowie gegenüber alternativen und neuen Nutzungskonzepte, sagte Schuster. In Kleinschenk wird jährlich eine Künstlerresidenz organisiert.
Nach dem Projekt Curchfortress e.V. in Hundertbücheln (Movile) wurde das Jugendzentrum in Holzmengen (Hosman) besucht. Pfarrer Hans Georg Junesch und Ruth István stellten die Vielfalt der vor Ort durchgeführten Projekte, von Jugendfreizeiten bis zum Holzstockfestival, vor. Der letzte Konferenztag rundete das Programm mit dem Besuch des Gottesdienstes in der Stadtpfarrkirche in Hermannstadt und einer Stadtführung ab.
Zur Tagung waren Teilnehmer aus Deutschland und Rumänien angereist, darunter Vertreter siebenbürgischer Einrichtungen und verschiedener Initiativen in und um die Kirchenburgen sowie an der Problematik Interessierte. Die unter der Federführung von Thomas Konhäuser und Birgit Aldenhoff von der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen konzipierte und durchgeführte Tagung hat noch einmal vor Augen geführt, wie komplex und vielfältig die mit dem Erhalt der Kirchenburgenlandschaft verbundene Problematik ist. Zwar gibt es immer mehr Projekte, die sich der Kirchenburgen annehmen, doch sind verstärkte Synergieeffekte zu wünschen. Eine Anbindung der in und um die Kirchenburgen durchgeführten Projekte an die lokale Gemeinschaft bleibt eine unabdingbare Voraussetzung, eine conditio sine qua non, auch wenn die Zusammenarbeit mit der Lokalverwaltung mancherorts nicht einfach ist. Wünschenswert ist eine verstärkte Mitwirkung des rumänischen Staates. Alle Tagungsbeiträge und Gesprächsrunden können auf dem YouTube-Kanal der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen verfolgt werden.
Roger Pârvu
Schlagwörter: Kirchenburgen, Stiftung Kirchenburgen, Evangelische Akademie Siebenbürgen
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