17. November 2023
Der Chamisso-Preis 2023 wurde an die siebenbürgische Autorin Iris Wolff verliehen
Die Geschichte des Chamisso-Preises für Literatur der Migration reicht bis ins Jahr 1985 zurück; er wurde damals in München ins Leben gerufen, dann viele Jahre lang verliehen – und schließlich im Jahr 2017 von der fördernden Stiftung eingestellt. Sofort wurde kritisch eingewandt, dieser Preis würde fehlen. Daher initiierte ein bürgerschaftliches Bündnis in Dresden die Neustiftung des Preises, seit diesem Jahr gemeinsam mit der Sächsischen Akademie der Künste; seit 2019 konnte die Auszeichnung wieder verliehen werden, zunächst noch als Chamisso-Preis Hellerau. Jetzt, in der Stadt Dresden, wird der Preis im Sankt-Benno-Gymnasium verliehen, das 1933 geschlossen und in den Jahren der DDR nicht wieder eröffnet wurde, sondern erst nach der Friedlichen Revolution; so ist es ein geeigneter Ort für einen Preis, der auch für Offenheit und Toleranz steht. Verliehen wird er für ein Werk von literarischem Rang, in diesem Jahr votierte die Jury für Iris Wolff. Die Preisverleihung fand am 27. Oktober statt.
Was sie in ihren Romanen erzählt, ist zwar stets eingebettet in die Geschichte Rumäniens. „In einprägsamen Bildern und kurzen Andeutungen oder Gedankenspielen“ – so hat es Axel Helbig in seinem Gespräch mit Iris Wolff zum Chamisso-Preis gefasst – „wird insbesondere von der Zeit des diktatorischen Kommunismus erzählt, von Deportationen, Gefängnisaufenthalten und den Methoden der Securitate, des rumänischen Geheimdienstes.“ Und die Auswanderungsbewegung, die die traditionsreiche Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen langsam zum Verschwin- den bringt, ist ja ohne diese Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts, ohne Repression und ständigen Druck eben nicht zu verstehen. Und dennoch kann man die Romane der Iris Wolff gewiss nicht als politische Romane bezeichnen: „Könnte vielmehr man sagen,“ so Helbigs Frage an die Autorin, „dass letztlich jede gute Literatur zwangsläufig auch politisch ist?“
„In dem Sinne“ – so erläutert es für Iris Wolff – „als Literatur, die ihren Namen verdient, Relevanz hat für die Gegenwart. Sonst wäre es ja pure Unterhaltung oder eine nostalgische Lebenserinnerung. Politische Relevanz ist für mich, wenn es eine Übertragbarkeit in die Gegenwart gibt; wenn Themen verhandelt werden, die für uns noch nicht abgeschlossen sind, die uns berühren und angehen, obwohl die Geschichte in einem anderen Land spielen kann, in einer anderen Zeit und anderen gesellschaftlichen Umständen. Gute Literatur zeichnet sich dadurch aus, dass sie überzeitlich ist. Wenn sie anfängt, sich einem politischen System zu verschreiben, dann wird sie ideologisch und letztlich hinfällig. Literatur muss ihre Unabhängigkeit von der Politik bewahren, auch von der gegenwärtigen, und darf trotzdem politisch sein. Das ist ein schmaler Grat.“ Gute Literatur hat es immer auch mit den Grundlagen unseres Gemeinwesens zu tun; so sind für Iris Wolff Offenheit und Toleranz, aber auch das Eingedenken an Verlorenes und Verluste stets Teil ihres Schreibens.
In ihren Büchern baut sie, die mit acht Jahren mit ihren Eltern Siebenbürgen verließ, immer wieder „Kassiber“ aus der Welt ihrer Kindheit ein: „Da wir mit wenig Gepäck ausreisten, und vieles von dem, was zur Familiengeschichte gehörte, zurücklassen mussten, hat alles einen besonderen Wert. Kristallgeschirr, Bettwäsche, Handarbeiten, Gemälde meines Großvaters väterlicherseits (…). Ich verstecke diese Dinge in meinen Büchern, meist nur für wenige erkennbar. Manchmal aber durchaus zur Irritation meiner Leser. Dass es etwa keine Färberei in Michelsberg gab, wie in meinem ersten Roman ,Halber Stein‘, darauf wurde ich mit Nachdruck aufmerksam gemacht.“ Aber es geht eben nicht um eine pseudo-realistische Genauigkeit, es geht um die Wahrheit des Erinnerns. Die Erinnerung ist fragmentarisch, bruchstückhaft, aber wir haben nichts anderes, wenn wir die Orientierung in unserem Leben behalten wollen. Und so ist „Siebenbürgen“ für die Leser von Iris Wolff beides: Eine Region, eine Kultur, eine Gemeinschaft von Menschen – und zugleich, für alle, die diese langsam versinkende Welt nur aus diesen Romanen kennen, ein Beispiel, dass jede Leserin und jeden Leser eingedenk sein lässt, wie sich aus Vergangenheit und Verlust unsere Gegenwart und unsere Zukunft aufbauen. „Ich glaube“, so nochmals Iris Wolff, „auch wenn sich das bisweilen anfühlt, wie ein verlorener Posten – an Sanftmut, geistige Freiheit. Ich glaube, dass wir Bilder, Metaphern, Symbole brauchen, um leben zu können; um diese Gleichzeitigkeit von Licht und Dunkel, Wissen und Nichtwissen überhaupt auszuhalten. Unser Leben ist ein Geheimnis, von dem nur ganz wenig ins bewusste Verständnis kommt. Eigenständigkeit, Unabhängigkeit gibt es nur für Augenblicke. Ich möchte diese Lichtungen in der Zeit finden, dort ist noch alles offen. Dort werde ich überrascht, von einem Wort, einem Bild, einem Klang. Dort gibt es Verbundenheit.“ „Lichtungen“ ist der Titel ihres nächsten Romans. Er erscheint im Januar, und er wird aus Nordrumänien in die Welt führen. Denn „Heimat“, das ist immer auch der Beginn eines Weges. Dass Adelbert von Chamisso, der französische Exilant, der als Naturforscher eine Weltreise unternimmt, der als Dichter mit seinem Peter Schlemihl die erste Figur der Fremdheit und des Weltverlustes in der deutschen Literatur geschaffen hat und dem Berlin in Preußen zur Heimat wurde – dass der Namensgeber dieses Preises zu den literarischen Ahnen von Iris Wolff gehört, ist offenkundig.
In einem Buch Chamisso-Preis 2023 werden Anfang 2024 die Reden, die zur Preisverleihung am 27. Oktober gehalten wurden, veröffentlicht, dazu Gespräche mit Iris Wolff von Axel Helbig und Christian Lehnert sowie die beiden Poetikvorlesungen, die sie im Rahmen dieses Preises am 27. und 29. November in der Sächsischen Akademie der Künste halten wird.
„In dem Sinne“ – so erläutert es für Iris Wolff – „als Literatur, die ihren Namen verdient, Relevanz hat für die Gegenwart. Sonst wäre es ja pure Unterhaltung oder eine nostalgische Lebenserinnerung. Politische Relevanz ist für mich, wenn es eine Übertragbarkeit in die Gegenwart gibt; wenn Themen verhandelt werden, die für uns noch nicht abgeschlossen sind, die uns berühren und angehen, obwohl die Geschichte in einem anderen Land spielen kann, in einer anderen Zeit und anderen gesellschaftlichen Umständen. Gute Literatur zeichnet sich dadurch aus, dass sie überzeitlich ist. Wenn sie anfängt, sich einem politischen System zu verschreiben, dann wird sie ideologisch und letztlich hinfällig. Literatur muss ihre Unabhängigkeit von der Politik bewahren, auch von der gegenwärtigen, und darf trotzdem politisch sein. Das ist ein schmaler Grat.“ Gute Literatur hat es immer auch mit den Grundlagen unseres Gemeinwesens zu tun; so sind für Iris Wolff Offenheit und Toleranz, aber auch das Eingedenken an Verlorenes und Verluste stets Teil ihres Schreibens.
In ihren Büchern baut sie, die mit acht Jahren mit ihren Eltern Siebenbürgen verließ, immer wieder „Kassiber“ aus der Welt ihrer Kindheit ein: „Da wir mit wenig Gepäck ausreisten, und vieles von dem, was zur Familiengeschichte gehörte, zurücklassen mussten, hat alles einen besonderen Wert. Kristallgeschirr, Bettwäsche, Handarbeiten, Gemälde meines Großvaters väterlicherseits (…). Ich verstecke diese Dinge in meinen Büchern, meist nur für wenige erkennbar. Manchmal aber durchaus zur Irritation meiner Leser. Dass es etwa keine Färberei in Michelsberg gab, wie in meinem ersten Roman ,Halber Stein‘, darauf wurde ich mit Nachdruck aufmerksam gemacht.“ Aber es geht eben nicht um eine pseudo-realistische Genauigkeit, es geht um die Wahrheit des Erinnerns. Die Erinnerung ist fragmentarisch, bruchstückhaft, aber wir haben nichts anderes, wenn wir die Orientierung in unserem Leben behalten wollen. Und so ist „Siebenbürgen“ für die Leser von Iris Wolff beides: Eine Region, eine Kultur, eine Gemeinschaft von Menschen – und zugleich, für alle, die diese langsam versinkende Welt nur aus diesen Romanen kennen, ein Beispiel, dass jede Leserin und jeden Leser eingedenk sein lässt, wie sich aus Vergangenheit und Verlust unsere Gegenwart und unsere Zukunft aufbauen. „Ich glaube“, so nochmals Iris Wolff, „auch wenn sich das bisweilen anfühlt, wie ein verlorener Posten – an Sanftmut, geistige Freiheit. Ich glaube, dass wir Bilder, Metaphern, Symbole brauchen, um leben zu können; um diese Gleichzeitigkeit von Licht und Dunkel, Wissen und Nichtwissen überhaupt auszuhalten. Unser Leben ist ein Geheimnis, von dem nur ganz wenig ins bewusste Verständnis kommt. Eigenständigkeit, Unabhängigkeit gibt es nur für Augenblicke. Ich möchte diese Lichtungen in der Zeit finden, dort ist noch alles offen. Dort werde ich überrascht, von einem Wort, einem Bild, einem Klang. Dort gibt es Verbundenheit.“ „Lichtungen“ ist der Titel ihres nächsten Romans. Er erscheint im Januar, und er wird aus Nordrumänien in die Welt führen. Denn „Heimat“, das ist immer auch der Beginn eines Weges. Dass Adelbert von Chamisso, der französische Exilant, der als Naturforscher eine Weltreise unternimmt, der als Dichter mit seinem Peter Schlemihl die erste Figur der Fremdheit und des Weltverlustes in der deutschen Literatur geschaffen hat und dem Berlin in Preußen zur Heimat wurde – dass der Namensgeber dieses Preises zu den literarischen Ahnen von Iris Wolff gehört, ist offenkundig.
In einem Buch Chamisso-Preis 2023 werden Anfang 2024 die Reden, die zur Preisverleihung am 27. Oktober gehalten wurden, veröffentlicht, dazu Gespräche mit Iris Wolff von Axel Helbig und Christian Lehnert sowie die beiden Poetikvorlesungen, die sie im Rahmen dieses Preises am 27. und 29. November in der Sächsischen Akademie der Künste halten wird.
Walter Schmitz
Schlagwörter: Literatur, Preis, Chamisso, Iris Wolff, Autorin
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- 17.11.2023, 12:36 Uhr von Peter Otto Wolff: Freue mich für jede positive Nachricht betreffend, im weitesten Sinne, unsere verlorene Heimat, ... [weiter]
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