7. Dezember 2024
Schriftsteller, Journalist, Künstler: Nachruf auf Helmuth Frauendorfer
Ende Oktober teilte Helmuth Frauendorfer einigen Personen seines Bekannten- und Freundeskreises in ernsten und zugleich sehr gefassten Worten mit, dass nunmehr eine sichere ärztliche Diagnose vorläge, nach der er voraussichtlich nur noch etwa vier Wochen zu leben hätte. Soweit fortgeschritten war seine Krankheit bereits und so aussichtslos seine Lage. Ihm war, wie er schrieb, sehr bewusst, wie kostbar die Zeit sei, die ihm noch blieb. Er hatte vor, diese wertvolle Zeit für sich, mit seiner Kunst und seiner Literatur, zur Vorbereitung auf den Tod und zum bewussten Abschiednehmen zu nutzen. Das tat er gewiss in seiner Weise.
Als ich am frühen Morgen des 2. Dezember von seinem Tod erfuhr, hat mich diese Nachricht, obwohl sie doch täglich zu erwarten war, dennoch sehr betroffen. Auf solche Mitteilungen kann man sich, wie sehr man dies auch versucht, doch nicht richtig einstellen oder vorbereiten, merkte ich erneut. Vor dem Gefühl der völligen Ohnmacht angesichts des Todes ist man einfach hilflos. Alsbald erreichten mich Zeilen und Sätze von gemeinsamen Freunden, die ihre ratlose Überraschung, ihre tiefe Trauer oder ihre mitfühlende Anteilnahme zum Ausdruck brachten. Dabei fiel mir und anderen gleichsam unabhängig voneinander ein, wie Helmuth Frauendorfer bei einem Literaturseminar in Bad Kissingen Anfang April dieses Jahres, an dem er als Autor mitwirkte und aus seinem Roman „Abendweg“ las, bei der Nachricht vom Tod des Dramaturgen des Deutschen Staatstheaters in Temeswar, Rudolf Herbert, am 4. April 2024, reagierte. Ich erfuhr diese traurige Nachricht am Vortag, die ich sodann am Anfang in das Seminar einbrachte und zu einer Gedenkminute aufforderte. Während alle aufstanden, verließ Helmuth Frauendorfer sichtlich bewegt und weinend den Raum. Wie andere, konnte ich das nicht sofort verstehen. Er erklärte mir allerdings später, dass er mit dem Verstorbenen, unserem Freund Rudolf Herbert, noch vor wenigen Tagen telefonierte, und dass ihn dessen Todesnachricht deshalb so hart traf, obgleich er davon wusste, wie schlimm es um diesen stand.
Jetzt wirken diese Geschehnisse wie eine traurige Vorahnung, wiewohl für Helmuth Frauendorfer bei dem Literaturseminar, zu dem nicht zuletzt seinetwegen einige seiner aus dem Banat stammenden Freunde kamen, die Welt noch in Ordnung schien. Ebenso war es bei der Leipziger Buchmesse im März, bei der wir gemeinsam mit Horst Samson Gedichte und Texte lasen. Und auch bei seinem 65. Geburtstag Anfang Juni, den wir gemeinsam mit vielen seiner Bekannten und Freunde im Rahmen einer künstlerischen Veranstaltung in der „Knopffabrik“ in Fürth feierten, wobei er in all diesen Begegnungen voller Pläne, Zuversicht und Zukunftshoffnungen wirkte. Nun kann ich, auf die unfassbar raschen Veränderungen in diesem kurzen, dazwischenliegenden Zeitraum zurückblickend, nur wehmütig und in Trauer an einige Dinge erinnern, die ich noch vor wenigen Monaten anlässlich seines erwähnten Geburtstags schrieb und veröffentlichte, und dies gleichsam allen Bekannten und Freunden zum bleibenden Gedächtnis an ihn nochmals anvertrauen.
Geboren wurde Helmuth Frauendorfer am 5. Juni 1959 in dem Banater Dorf Wojteg, in dem er auch einige Jahre seiner banatschwäbischen Kindheit verbrachte. Vater Martin Frauendorfer (1929-2013) stammte aus dem siebenbürgischen Bulkesch. Er war sodann Schüler des Lenau-Lyzeums in Temeswar und absolvierte 1984 ein Studium der Germanistik, Anglistik und Pädagogik an der Universität Temeswar. Bereits ab 1979 veröffentlichte er regelmäßig literarische und andere Beiträge in verschiedenen deutschsprachigen Publikationen Rumäniens. Er fungierte damals auch als verantwortlicher Redakteur der deutschsprachigen Literaturbeilage der Studentenzeitschrift Forum studenţesc, in der er übrigens auch frühe Arbeiten von Herta Müller unterbringen konnte. Er war zudem dem Theater zugeneigt, leitete zeitweilig eine studentische Theatergruppe, schrieb eigene literarische Texte und bewegte sich in dieser Zeit, insbesondere im Banat und in Temeswar, in Kreisen kritischer rumäniendeutscher Schriftsteller und Künstler. So konnte es unter den damaligen Verhältnissen natürlich nicht ausbleiben, dass er – übrigens nach mehrfachen erfolglosen Anwerbungsversuchen als informeller Mitarbeiter – seitens der Securitate wegen „staatsfeindlicher Tätigkeit“ observiert, bespitzelt, bedroht, verhört, geschlagen und mehrere Tage lang festgenommen wurde. Dies hat damals zu einem solidarischen und überaus mutigen Protestbrief seinerzeit noch jüngerer rumäniendeutscher Schriftsteller geführt. Helmuth Frauendorfer kam mithin bereits früh in seinem Leben und Wirken eine wichtige Rolle in der rumäniendeutschen Literatur zu, wobei an folgenden zeitgeschichtlichen Hintergrund zu erinnern ist. Nach der Zerschlagung der „Aktionsgruppe Banat“ im Jahr 1975 und einem immer weiter um sich greifenden Aussiedlungsprozess der Deutschen aus Rumänien gab es auch in den frühen 1980er Jahren und eigentlich bis zum Zusammenbruch des nationalkommunistischen Ceauşescu-Regimes weiterhin aus den Reihen damals junger rumäniendeutscher Schriftsteller literarisch subtil wie auch prägnant und scharfsinnig artikulierte Kritik, vielfältigen Widerspruch gegen unsinnig erscheinende kulturpolitische Maßnahmen und bemerkenswert mutigen Widerstand gegen die Repressionen kommunistischer Herrschaft in Rumänien. Ein besonderes Ereignis in diesem Zusammenhang bildete der bereits erwähnte Protestbrief an den damaligen Ersten Sekretär des Kreisparteikomitees Temesch, Cornel Pacoste, im September 1984, der ein mehrtägiges, von Drohungen, Einschüchterungen und mehrfachen Prügeln begleitetes Verhör Frauendorfers durch Offiziere des rumänischen Sicherheitsdienstes, der Securitate, zum unmittelbaren Anlass hatte. Dieses denkwürde Schreiben wurde seinerzeit von Helmuth Frauendorfer, Herta Müller, Richard Wagner, William Totok, Johann Lippet, Horst Samson und Balthasar Waitz unterzeichnet (siehe dazu: Horst Samson: Heimat als Versuchung. Das nackte Leben. Literarisches Lesebuch – Gedichte, Prosa, Literaturkritiken, Interviews, Pop Verlag, Ludwigsburg 2018, insb. S. 396 ff). Auf dieses zunächst große Verwirrung, Aufregung, Ratlosigkeit und Verunsicherung der Mächtigen erzeugende Protestschreiben folgten auch bei Frauendorfer, wie im Falle anderer der Unterzeichner, weitere Repressionen, Veröffentlichungsverbot und sodann in der Konsequenz Ende 1987 die dadurch gleichsam erzwungene Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland.
Helmuth Frauendorfer ließ sich wie einige seiner Schriftstellerfreunde zunächst als freischaffender Schriftsteller und Dokumentarfilmer in West-Berlin nieder und engagierte sich alsbald in der Menschenrechtsbewegung. Bereits 1989 erfolgte gemeinsam mit anderen rumäniendeutschen Schriftstellern und Intellektuellen wie auch bundesdeutschen Politikern die Gründung des Menschenrechtskomitees Rumänien im Rahmen der Heinrich-Böll-Stiftung. Dieses Komitee koordinierte er bis 1992 hauptamtlich, wobei es diesem und ihm selbst vornehmlich um eingehende Aufklärung und politische Bildung im Hinblick auf die Menschenrechtssituation in Rumänien und in den kommunistischen Diktaturen in Osteuropa und in der DDR ging. 1990 organisierte er – woran sich noch manche gut erinnern – die erste, dreitägige Internationale Menschenrechtskonferenz in Rumänien, mit 500 Teilnehmern aus der ganzen Welt, die damals große Resonanz fand.
Nach dem Ende der Ceauşescu-Diktatur und dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in Rumänien gab Frauendorfer zusammen mit Richard Wagner Mitte des Jahres 1990 unter dem Titel Der Sturz des Tyrannen. Rumänien und das Ende der Diktatur, in der Reihe rororo aktuell, Reinbek bei Hamburg, eines der ersten deutschsprachigen Bücher mit Berichten und Hintergrundanalysen zu diesen folgenreichen Geschehnissen heraus. In dem Band findet sich unter anderem ein von ihm zusammen mit Herta Müller und Richard Wagner verfasster, sehr aufschlussreicher Beitrag über den großen Einfluss und die unheilvollen Machenschaften der Securitate. Dem folgte unter dem Titel Die Demokratie der Nomenklatura. Zur gegenwärtigen Lage in Rumänien, Heinrich-Böll-Stiftung, Köln 1991, ein weiteres Buch von ihm über die damaligen, recht verwirrend und undurchsichtig wirkenden Geschehnisse und Entwicklungen in Rumänien. Im Jahr 1990 erschien außerdem sein Gedichtband Landschaft der Maulwürfe. Gedichte, dipa Verlag, Frankfurt am Main. Vertreten ist Helmuth Frauendorfer auch in den bekannten und damals gleichsam als repräsentativ geltenden Veröffentlichungen zur rumäniendeutschen Literatur: Das Wohnen ist kein Ort. Texte & Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat – und den Gegenden versuchter Ankunft. In memoriam Rolf Bossert. die horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik, 32. Jg., Hannover 1987, und Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur, herausgegeben von Wilhelm Solms, Hitzeroth Verlag, Marburg 1990.
In den darauf folgenden Jahren veröffentlichte Frauendorfer literarische, essayistische und journalistische Arbeiten wie auch Rundfunkbeiträge und wurde alsbald als Fernsehjournalist tätig. Vor allem seine Reportagen und Beiträge als fester freier Mitarbeiter der MDR-Redaktion Zeitgeschehen im Rahmen der Magazine Fakt, exakt, Windrose wie auch ARD-Kulturreport, ORB-Klartext u.a. fielen stets durch journalistische Professionalität, solide Sachkenntnis, gute Recherchen, eindringliche Analysen und kluge, eigenständige Kommentare auf. Nicht selten wurden darin Nachwirkungen der kommunistischen Vergangenheit, ebenso wie gesellschaftliche oder politische Missstände, grundsätzliche Fragen des Totalitarismus und allgegenwärtige Repressionen in kommunistischen und anderen Diktaturen oder auch neue ideologische Gefahren behandelt.
In ähnlichen thematischen Bahnen, allerdings schwerpunktmäßig noch stärker auf Erinnerungskultur und historisches Gedenken fokussiert, bewegte sich seit 2010 seine Arbeit als Referent für politische Bildung und stellvertretender Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Dass seine wissenschaftliche, journalistische und künstlerische Arbeit vor allem das Missbehagen, den Ärger und die Feindseligkeit von parteipolitisch zu „Linken“ gewandelten und teilweise erneut zu Macht und Einfluss, vor allem im Berliner Senat und den Bezirksverwaltungen, gelangten „Postkommunisten“ provozierte, blieb daher nicht aus. Diese wussten dann auch bei passender Gelegenheit hinterhältig zurückzuschlagen und ihn wie auch den Direktor der Gedenkstätte, Hubertus Knabe, einen der gründlichsten und unnachsichtigsten Kenner auf dem Gebiet der kritischen Aufarbeitung des SED-Regimes und der Verbrechen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, beruflich ins Abseits zu stellen. Ein fragwürdiges und trauriges Kapitel der Berliner Kulturpolitik und Justizgeschichte, wie viele Kenner der Sache meinen.
Helmuth Frauendorfers wohl bekanntester und einflussreichster Film dürfte An den Rand geschrieben. Rumäniendeutsche Schriftsteller im Fadenkreuz der Securitate sein, ein 90 Minuten langer, sehr wirkungsmächtiger Filmbeitrag, bei dem er für Buch und Regie, zusammen mit Herta Müller, Gerhardt Csejka, Johann Lippet, Horst Samson, William Totok, Richard Wagner und dem Sohn des verstorbenen Nikolaus Berwanger, Harald Berwanger, zeichnete, und der am 5. Oktober 2010 im Hackesche Höfe Kino, Berlin, Premiere hatte. Aus einer ganzen Reihe weiterer Filme oder Reportagen wären noch zu erwähnen: Der Marsch der Kinder. Auf der Flucht aus Rumänien, Erstsendung: 16. April 1992 in der ARD, Tränen und Trümmer. Glaube und Hoffnung in Sarajevo, Erstsendung ORB, 25. Februar 1996, Der Anfang vom Ende. Reisegruppe 88 in der DDR, ORB, März 1998. Ebenso Zentrale des Terrors. Das Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen, zusammen mit Hubertus Knabe, der seine Uraufführung Juni 2004, als Einführungsfilm für die Gedenkstätte Hohenschönhausen, hatte und am 10. November 2004 im MDR erstmals gesendet wurde.
In dem von Albert Bohn und Anton Sterbling herausgegebenen Band Deportationen. Literarische Blickwinkel, Pop Verlag, Ludwigsburg 2021, findet sich die merkwürdige Geschichte einer banatschwäbischen Familie, der es viele Jahre nach der Deportation gelang, den in der Bărăgansteppe beerdigten Großvater in Banater Erde umzubestatten. Gleichsam wie in einer Parabel erschien den Angehörigen dieser Familie die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland weniger wichtig, als diese heilige Pflicht zu erfüllen und den in der Fremde verstorbenen Großvater in die Heimat zurück zu bringen. Es handelt sich hierbei um eine Erzählung, genauer gesagt um ein vorab veröffentlichtes Kapitel aus dem Roman Abendweg, Pop Verlag, Ludwigsburg 2021, von Helmuth Frauendorfer.
Seit 2020 lebte Helmuth Frauendorfer in Fürth bei Nürnberg. Im Jahr 2021 legte er den eben erwähnten, tiefgründigen und erschütternden Roman Abendweg vor, der nicht nur nach Rumänien, zu den traurigen Ereignissen der Deportation einer banatschwäbischen Familie in die Bărăgansteppe und zu den bedrückenden Lebensverhältnissen im realsozialistischen Rumänien zurückführt, sondern uns auch mit den abgründigen Biographien von Stasi-Agenten und insbesondere eines langjährigen informellen Mitarbeiters der Stasi aus dem Westen in aufwühlender Weise vertraut macht. Erschienen ist in diesem Jahr zudem der Band Photopoesie Phuerth. Gedichte, Pop Verlag, Ludwigsburg, 2024, der in Gedichten und Photos vor allem Impressionen, Stimmungen und Reflexionen der Coronazeit festhält. Wir treffen in diesem Buch erneut auf einen temperamentvollen, sensiblen, mitunter melancholischen und nicht zuletzt kritischen und unkonventionellen Künstler aus dem Banat, von dem sicherlich noch so manches zu erwarten gewesen wäre, hätte er uns nicht zu frühzeitig verlassen müssen.
Helmuth Frauendorfer war in den letzten Jahren als Redakteur und Regisseur der Münchner Produktionsfirma Preview Production tätig. Vor wenigen Wochen schrieb er mir in diesem Zusammenhang noch, dass er an einem intellektuellen Portrait des emeritierten Professors für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München und bekannten jüdischen Publizisten, Michael Wolffsohn, arbeiten würde, und er wollte mich seine Vorarbeiten dazu alsbald lesen lassen. Dazu ist es leider nicht mehr gekommen.
Nur wenige Monate nach seinem 65. Geburtstag, einer Altersschwelle, an der die meisten Menschen heute dem wohlverdienten Ruhestand entgegensehen, müssen wir bei Helmut Frauendorfer in tiefer Trauer auf ein je zu Ende gegangenes Leben zurückblicken. Auf ein rastloses und mutiges, neugieriges und herausforderndes Leben, erfüllt von umfänglicher und vielfältiger Arbeit als Journalist, Essayist, Schriftsteller, Bildungsreferent und Dokumentarfilmer und wohl wahrscheinlich in erster Linie als Künstler und Schriftsteller, dem ebenso wie in zeithistorischer auch in eindrucksvoller literarischer Weise, eine aufklärende und zugleich erschütternde Aufarbeitung und Kritik der brutalen wie der hinterhältigen Schrecken und Abgründe der kommunistischen Herrschaft, ihrer Sicherheits- und Geheimdienste und einzelner ihrer Akteure gelang. Leider muss man es als eine ironische Heimtücke dieses wohl nur scheintoten Systems, das bis in die Gegenwart hinein seine ideologischen Adepten, Helfer und Helfershelfer kennt, ansehen, dass es diesem gerade auch im Falle Helmuth Frauendorfers immer wieder gelang, gewalttätig, gezielt, manipulativ und heimtückisch zuzuschlagen. Frauendorfer ist daran zwar nicht zerbrochen, dies hat ihm das Leben aber zumindest zeitweilig dennoch sehr schwierig gemacht.
Jetzt wirken diese Geschehnisse wie eine traurige Vorahnung, wiewohl für Helmuth Frauendorfer bei dem Literaturseminar, zu dem nicht zuletzt seinetwegen einige seiner aus dem Banat stammenden Freunde kamen, die Welt noch in Ordnung schien. Ebenso war es bei der Leipziger Buchmesse im März, bei der wir gemeinsam mit Horst Samson Gedichte und Texte lasen. Und auch bei seinem 65. Geburtstag Anfang Juni, den wir gemeinsam mit vielen seiner Bekannten und Freunde im Rahmen einer künstlerischen Veranstaltung in der „Knopffabrik“ in Fürth feierten, wobei er in all diesen Begegnungen voller Pläne, Zuversicht und Zukunftshoffnungen wirkte. Nun kann ich, auf die unfassbar raschen Veränderungen in diesem kurzen, dazwischenliegenden Zeitraum zurückblickend, nur wehmütig und in Trauer an einige Dinge erinnern, die ich noch vor wenigen Monaten anlässlich seines erwähnten Geburtstags schrieb und veröffentlichte, und dies gleichsam allen Bekannten und Freunden zum bleibenden Gedächtnis an ihn nochmals anvertrauen.
Geboren wurde Helmuth Frauendorfer am 5. Juni 1959 in dem Banater Dorf Wojteg, in dem er auch einige Jahre seiner banatschwäbischen Kindheit verbrachte. Vater Martin Frauendorfer (1929-2013) stammte aus dem siebenbürgischen Bulkesch. Er war sodann Schüler des Lenau-Lyzeums in Temeswar und absolvierte 1984 ein Studium der Germanistik, Anglistik und Pädagogik an der Universität Temeswar. Bereits ab 1979 veröffentlichte er regelmäßig literarische und andere Beiträge in verschiedenen deutschsprachigen Publikationen Rumäniens. Er fungierte damals auch als verantwortlicher Redakteur der deutschsprachigen Literaturbeilage der Studentenzeitschrift Forum studenţesc, in der er übrigens auch frühe Arbeiten von Herta Müller unterbringen konnte. Er war zudem dem Theater zugeneigt, leitete zeitweilig eine studentische Theatergruppe, schrieb eigene literarische Texte und bewegte sich in dieser Zeit, insbesondere im Banat und in Temeswar, in Kreisen kritischer rumäniendeutscher Schriftsteller und Künstler. So konnte es unter den damaligen Verhältnissen natürlich nicht ausbleiben, dass er – übrigens nach mehrfachen erfolglosen Anwerbungsversuchen als informeller Mitarbeiter – seitens der Securitate wegen „staatsfeindlicher Tätigkeit“ observiert, bespitzelt, bedroht, verhört, geschlagen und mehrere Tage lang festgenommen wurde. Dies hat damals zu einem solidarischen und überaus mutigen Protestbrief seinerzeit noch jüngerer rumäniendeutscher Schriftsteller geführt. Helmuth Frauendorfer kam mithin bereits früh in seinem Leben und Wirken eine wichtige Rolle in der rumäniendeutschen Literatur zu, wobei an folgenden zeitgeschichtlichen Hintergrund zu erinnern ist. Nach der Zerschlagung der „Aktionsgruppe Banat“ im Jahr 1975 und einem immer weiter um sich greifenden Aussiedlungsprozess der Deutschen aus Rumänien gab es auch in den frühen 1980er Jahren und eigentlich bis zum Zusammenbruch des nationalkommunistischen Ceauşescu-Regimes weiterhin aus den Reihen damals junger rumäniendeutscher Schriftsteller literarisch subtil wie auch prägnant und scharfsinnig artikulierte Kritik, vielfältigen Widerspruch gegen unsinnig erscheinende kulturpolitische Maßnahmen und bemerkenswert mutigen Widerstand gegen die Repressionen kommunistischer Herrschaft in Rumänien. Ein besonderes Ereignis in diesem Zusammenhang bildete der bereits erwähnte Protestbrief an den damaligen Ersten Sekretär des Kreisparteikomitees Temesch, Cornel Pacoste, im September 1984, der ein mehrtägiges, von Drohungen, Einschüchterungen und mehrfachen Prügeln begleitetes Verhör Frauendorfers durch Offiziere des rumänischen Sicherheitsdienstes, der Securitate, zum unmittelbaren Anlass hatte. Dieses denkwürde Schreiben wurde seinerzeit von Helmuth Frauendorfer, Herta Müller, Richard Wagner, William Totok, Johann Lippet, Horst Samson und Balthasar Waitz unterzeichnet (siehe dazu: Horst Samson: Heimat als Versuchung. Das nackte Leben. Literarisches Lesebuch – Gedichte, Prosa, Literaturkritiken, Interviews, Pop Verlag, Ludwigsburg 2018, insb. S. 396 ff). Auf dieses zunächst große Verwirrung, Aufregung, Ratlosigkeit und Verunsicherung der Mächtigen erzeugende Protestschreiben folgten auch bei Frauendorfer, wie im Falle anderer der Unterzeichner, weitere Repressionen, Veröffentlichungsverbot und sodann in der Konsequenz Ende 1987 die dadurch gleichsam erzwungene Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland.
Helmuth Frauendorfer ließ sich wie einige seiner Schriftstellerfreunde zunächst als freischaffender Schriftsteller und Dokumentarfilmer in West-Berlin nieder und engagierte sich alsbald in der Menschenrechtsbewegung. Bereits 1989 erfolgte gemeinsam mit anderen rumäniendeutschen Schriftstellern und Intellektuellen wie auch bundesdeutschen Politikern die Gründung des Menschenrechtskomitees Rumänien im Rahmen der Heinrich-Böll-Stiftung. Dieses Komitee koordinierte er bis 1992 hauptamtlich, wobei es diesem und ihm selbst vornehmlich um eingehende Aufklärung und politische Bildung im Hinblick auf die Menschenrechtssituation in Rumänien und in den kommunistischen Diktaturen in Osteuropa und in der DDR ging. 1990 organisierte er – woran sich noch manche gut erinnern – die erste, dreitägige Internationale Menschenrechtskonferenz in Rumänien, mit 500 Teilnehmern aus der ganzen Welt, die damals große Resonanz fand.
Nach dem Ende der Ceauşescu-Diktatur und dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in Rumänien gab Frauendorfer zusammen mit Richard Wagner Mitte des Jahres 1990 unter dem Titel Der Sturz des Tyrannen. Rumänien und das Ende der Diktatur, in der Reihe rororo aktuell, Reinbek bei Hamburg, eines der ersten deutschsprachigen Bücher mit Berichten und Hintergrundanalysen zu diesen folgenreichen Geschehnissen heraus. In dem Band findet sich unter anderem ein von ihm zusammen mit Herta Müller und Richard Wagner verfasster, sehr aufschlussreicher Beitrag über den großen Einfluss und die unheilvollen Machenschaften der Securitate. Dem folgte unter dem Titel Die Demokratie der Nomenklatura. Zur gegenwärtigen Lage in Rumänien, Heinrich-Böll-Stiftung, Köln 1991, ein weiteres Buch von ihm über die damaligen, recht verwirrend und undurchsichtig wirkenden Geschehnisse und Entwicklungen in Rumänien. Im Jahr 1990 erschien außerdem sein Gedichtband Landschaft der Maulwürfe. Gedichte, dipa Verlag, Frankfurt am Main. Vertreten ist Helmuth Frauendorfer auch in den bekannten und damals gleichsam als repräsentativ geltenden Veröffentlichungen zur rumäniendeutschen Literatur: Das Wohnen ist kein Ort. Texte & Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat – und den Gegenden versuchter Ankunft. In memoriam Rolf Bossert. die horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik, 32. Jg., Hannover 1987, und Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur, herausgegeben von Wilhelm Solms, Hitzeroth Verlag, Marburg 1990.
In den darauf folgenden Jahren veröffentlichte Frauendorfer literarische, essayistische und journalistische Arbeiten wie auch Rundfunkbeiträge und wurde alsbald als Fernsehjournalist tätig. Vor allem seine Reportagen und Beiträge als fester freier Mitarbeiter der MDR-Redaktion Zeitgeschehen im Rahmen der Magazine Fakt, exakt, Windrose wie auch ARD-Kulturreport, ORB-Klartext u.a. fielen stets durch journalistische Professionalität, solide Sachkenntnis, gute Recherchen, eindringliche Analysen und kluge, eigenständige Kommentare auf. Nicht selten wurden darin Nachwirkungen der kommunistischen Vergangenheit, ebenso wie gesellschaftliche oder politische Missstände, grundsätzliche Fragen des Totalitarismus und allgegenwärtige Repressionen in kommunistischen und anderen Diktaturen oder auch neue ideologische Gefahren behandelt.
In ähnlichen thematischen Bahnen, allerdings schwerpunktmäßig noch stärker auf Erinnerungskultur und historisches Gedenken fokussiert, bewegte sich seit 2010 seine Arbeit als Referent für politische Bildung und stellvertretender Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Dass seine wissenschaftliche, journalistische und künstlerische Arbeit vor allem das Missbehagen, den Ärger und die Feindseligkeit von parteipolitisch zu „Linken“ gewandelten und teilweise erneut zu Macht und Einfluss, vor allem im Berliner Senat und den Bezirksverwaltungen, gelangten „Postkommunisten“ provozierte, blieb daher nicht aus. Diese wussten dann auch bei passender Gelegenheit hinterhältig zurückzuschlagen und ihn wie auch den Direktor der Gedenkstätte, Hubertus Knabe, einen der gründlichsten und unnachsichtigsten Kenner auf dem Gebiet der kritischen Aufarbeitung des SED-Regimes und der Verbrechen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, beruflich ins Abseits zu stellen. Ein fragwürdiges und trauriges Kapitel der Berliner Kulturpolitik und Justizgeschichte, wie viele Kenner der Sache meinen.
Helmuth Frauendorfers wohl bekanntester und einflussreichster Film dürfte An den Rand geschrieben. Rumäniendeutsche Schriftsteller im Fadenkreuz der Securitate sein, ein 90 Minuten langer, sehr wirkungsmächtiger Filmbeitrag, bei dem er für Buch und Regie, zusammen mit Herta Müller, Gerhardt Csejka, Johann Lippet, Horst Samson, William Totok, Richard Wagner und dem Sohn des verstorbenen Nikolaus Berwanger, Harald Berwanger, zeichnete, und der am 5. Oktober 2010 im Hackesche Höfe Kino, Berlin, Premiere hatte. Aus einer ganzen Reihe weiterer Filme oder Reportagen wären noch zu erwähnen: Der Marsch der Kinder. Auf der Flucht aus Rumänien, Erstsendung: 16. April 1992 in der ARD, Tränen und Trümmer. Glaube und Hoffnung in Sarajevo, Erstsendung ORB, 25. Februar 1996, Der Anfang vom Ende. Reisegruppe 88 in der DDR, ORB, März 1998. Ebenso Zentrale des Terrors. Das Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen, zusammen mit Hubertus Knabe, der seine Uraufführung Juni 2004, als Einführungsfilm für die Gedenkstätte Hohenschönhausen, hatte und am 10. November 2004 im MDR erstmals gesendet wurde.
In dem von Albert Bohn und Anton Sterbling herausgegebenen Band Deportationen. Literarische Blickwinkel, Pop Verlag, Ludwigsburg 2021, findet sich die merkwürdige Geschichte einer banatschwäbischen Familie, der es viele Jahre nach der Deportation gelang, den in der Bărăgansteppe beerdigten Großvater in Banater Erde umzubestatten. Gleichsam wie in einer Parabel erschien den Angehörigen dieser Familie die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland weniger wichtig, als diese heilige Pflicht zu erfüllen und den in der Fremde verstorbenen Großvater in die Heimat zurück zu bringen. Es handelt sich hierbei um eine Erzählung, genauer gesagt um ein vorab veröffentlichtes Kapitel aus dem Roman Abendweg, Pop Verlag, Ludwigsburg 2021, von Helmuth Frauendorfer.
Seit 2020 lebte Helmuth Frauendorfer in Fürth bei Nürnberg. Im Jahr 2021 legte er den eben erwähnten, tiefgründigen und erschütternden Roman Abendweg vor, der nicht nur nach Rumänien, zu den traurigen Ereignissen der Deportation einer banatschwäbischen Familie in die Bărăgansteppe und zu den bedrückenden Lebensverhältnissen im realsozialistischen Rumänien zurückführt, sondern uns auch mit den abgründigen Biographien von Stasi-Agenten und insbesondere eines langjährigen informellen Mitarbeiters der Stasi aus dem Westen in aufwühlender Weise vertraut macht. Erschienen ist in diesem Jahr zudem der Band Photopoesie Phuerth. Gedichte, Pop Verlag, Ludwigsburg, 2024, der in Gedichten und Photos vor allem Impressionen, Stimmungen und Reflexionen der Coronazeit festhält. Wir treffen in diesem Buch erneut auf einen temperamentvollen, sensiblen, mitunter melancholischen und nicht zuletzt kritischen und unkonventionellen Künstler aus dem Banat, von dem sicherlich noch so manches zu erwarten gewesen wäre, hätte er uns nicht zu frühzeitig verlassen müssen.
Helmuth Frauendorfer war in den letzten Jahren als Redakteur und Regisseur der Münchner Produktionsfirma Preview Production tätig. Vor wenigen Wochen schrieb er mir in diesem Zusammenhang noch, dass er an einem intellektuellen Portrait des emeritierten Professors für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München und bekannten jüdischen Publizisten, Michael Wolffsohn, arbeiten würde, und er wollte mich seine Vorarbeiten dazu alsbald lesen lassen. Dazu ist es leider nicht mehr gekommen.
Nur wenige Monate nach seinem 65. Geburtstag, einer Altersschwelle, an der die meisten Menschen heute dem wohlverdienten Ruhestand entgegensehen, müssen wir bei Helmut Frauendorfer in tiefer Trauer auf ein je zu Ende gegangenes Leben zurückblicken. Auf ein rastloses und mutiges, neugieriges und herausforderndes Leben, erfüllt von umfänglicher und vielfältiger Arbeit als Journalist, Essayist, Schriftsteller, Bildungsreferent und Dokumentarfilmer und wohl wahrscheinlich in erster Linie als Künstler und Schriftsteller, dem ebenso wie in zeithistorischer auch in eindrucksvoller literarischer Weise, eine aufklärende und zugleich erschütternde Aufarbeitung und Kritik der brutalen wie der hinterhältigen Schrecken und Abgründe der kommunistischen Herrschaft, ihrer Sicherheits- und Geheimdienste und einzelner ihrer Akteure gelang. Leider muss man es als eine ironische Heimtücke dieses wohl nur scheintoten Systems, das bis in die Gegenwart hinein seine ideologischen Adepten, Helfer und Helfershelfer kennt, ansehen, dass es diesem gerade auch im Falle Helmuth Frauendorfers immer wieder gelang, gewalttätig, gezielt, manipulativ und heimtückisch zuzuschlagen. Frauendorfer ist daran zwar nicht zerbrochen, dies hat ihm das Leben aber zumindest zeitweilig dennoch sehr schwierig gemacht.
Anton Sterbling (Fürth)
Schlagwörter: Literatur, Frauendorfer, Nachruf, Securitate, Hohenschönhausen
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