16. September 2025

Ein Leben für die Gemeinschaft: Der Theologe Hans Klein schreibt seine Lebenserinnerungen nieder

Hans Kleins Buch „Ausgerichtet auf das Kommende. Erinnerungen“ mit einem Geleitwort von Martin Bottesch erzählt und reflektiert auf 432 Seiten die Lebenserfahrungen des Autors. Chronologisch wird der persönliche Werdegang des Autors mit immer wieder überraschenden Details erzählt, ein Leben in den großen historischen Umbrüchen von 1940-2025. Nachdenkenswert ist, was so der Vergessenheit entrissen wird: die aufregende Geschichte Siebenbürgens, evangelische Theologie und Kirche dieser Zeit in und für Siebenbürgen im europäischen Kontext, aus der „Feder“ eines Autors, der vieles und Wesentliches mitgedacht und mitgestaltet hat.
Roter Faden in diesen Erinnerungen, der ab 1977 explizit auftaucht, ist die Ausrichtung Hans Kleins auf das Kommende, aufleuchtend in dem großen Zukunftswort „Hoffnung“. Sie hält sich durch – mehr noch: „die trägt“ – selbst in Zeiten großer Hoffnungslosigkeit. Seine optimistische Weltsicht ist dabei ein guter, vom Schöpfer bereiteter Boden, der in einem hochintellektuellen Pfarrhaus zu einem Urvertrauen in das Leben gedieh. Es ist die Hoffnung, die aus dem Vertrauen in die gute Führung Gottes für das eigene Leben wie für das Leben der Gemeinschaft entspringt. Sie wird aus der Bibel genährt. Sein Doktorat im Neuen Testament versteht er als Berufung zur Bibelauslegung.

Es werden nicht bloß Ereignisse geschildert, sondern die innere Sicht eines davon Betroffenen offenbart. Es entsteht dabei auch ein Porträt des Erzählers; der Leser erhält Einblick in sein Denken, in die Konsequenzen, die er daraus zog. Es sind Ereignisse, „die ihn zu einem Umdenken, Neudenken oder sich Neu-Orientieren geführt haben“, wie Klein im Vorwort schreibt. Bei seiner Präsentation als Stadtpfarrer von Hermannstadt 1993 sagte er: „Mein Leben war in mancher Hinsicht davon bestimmt, dass ich Anregungen anderer aufgenommen habe und angesprochene Probleme einer Lösung zuzuführen bestrebt war…“

Wie weit gespannt seine Erinnerungen sind, erkennt man an den fünf Teilen des Buches: I. Kindheit und Jugend, II. Im Pfarrdienst, III. Theologischer Lehrer bis zu Wende (1972-1989), IV. Die Wende (1989/90) und ihre Folgen, V. Vielfältige Aufgaben (1989-2010), VI. Im Ruhestand.

Schon der erste Satz macht neugierig: „Am 9. November 1940 kam ich zur Welt. Sie war nie ganz die meine und ich nicht ganz der ihre.“ Es schreibt ein Theologieprofessor. Doch keine Spur von einem weltfernen Stubengelehrten.Vielmehr einer, der mit beiden Füßen im Leben steht, der sich einmischt in die Gesellschaft und Gemeinschaft, der er angehört, zur Verfügung stellt. Er zählt sich zum asketischen religiösen Typ, „der die Güter dieser Welt vernachlässigt und sich zum Gehorsam gerufen sieht“.

I. Die Kindheit und Jugend erlebt er in Dobring, Petersdorf und Mühlbach an der Seite von fünf Geschwistern, von denen Gernot früh verstarb. Eine Kuh musste in den Stall, die die Pfarrfamilie mit nötigsten Milch­produkten versorgen konnte, der Honig aus eigener Bienenvölkerzucht wurde verkauft. Der Vater Albert Klein, der 1969 Bischof der Landeskirche werden sollte, war zunächst Persona non grata für die Securitate. Als er von der großen Gemeinde Großau 1952 zu ihrem Pfarrer gewählt wurde, verweigertem ihm die Behörden die Bestätigung. Lebensort bleibt der Unterwald und die Berge der Karpatenausläufer für die Bienen.

II. Obwohl für Mathematik begabt, entscheidet sich Hans Klein für das Theologiestudium. Den Pfarrdienst beginnt er als Vikar im Banat, dem evangelischen Ort Liebling; er wird Pfarrverweser in Lugosch und Pfarrer in Deutsch-Kreuz. Im Vikariat las er allmorgendlich das Neue Testament im Original (griechisch) und notierte unbekannte Worte. 20000 Seiten theologische Literatur hatte er gelesen, erfährt man anlässlich der Pfarramtsprüfung. Aus der Fülle von interessanten Mitteilungen vermerken wir nur die Äußerung einer Frau über ihn: „Der glaubt, was er sagt.“

Dr. Hans Klein (2. v.l.) bei der Vorstellung ...
Dr. Hans Klein (2. v.l.) bei der Vorstellung seines Erinnerungsbandes „Ausgerichtet auf das Kommende“ am 10. Mai im Erasmus-Büchercafé in Hermannstadt. Rechts seine Frau Heide, die Auszüge daraus las, und Beatrice Ungar, Chefredakteurin der „Hermannstädter Zeitung“. Zur Einführung sprach Martin Bottesch. Foto: Konrad Klein
III. Im dritten Teil wird sein Weg zur Promotion zum Dr. theol. im Neuen Testament genau beschrieben. Seine Doktorarbeit betrifft ein Thema aus dem Lukasevangelium. Er wird – viel später – in „Meyers Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament“ seinen Kommentar: „Das Lukasevangelium“ verfassen. Die Auslandsbesuche, später beruflich bedingt, führten zu Freundschaften mit Theologen in Deutschland, die sich durch seine sehr offene, unkomplizierte Art und sein fachkundiges Interesse an dem Verständnis der Bibel ergaben: zum fast gleichaltrigen Professor für Neues Testament Günter Haufe; zu einem sehr renommierten Neutestamentler Ferdinand Hahn, dem es 1985/86 gelang, Hans Klein als Gastprofessor nach München zu bekommen; zum Alttestamentler Jörg Jeremias.

1972 wird er als Dozent für Altes Testament und Religionsgeschichte nach Hermannstadt berufen. 1982 wird er Professor für Neues Testament. Er arbeitete sich ins Alte Testament so gründlich ein, dass er Aufsätze und Studien im Ausland veröffentlichte. Theologische Publikationen in Rumänien waren kaum möglich. Seine Vorlesungen in Hermannstadt begeistern die Hörer. Er entwirft in dieser Zeit seine „Theologie des Lebens“. Das ist ein originelles Konzept der biblischen Theologie, das die beiden Testamente mit einem an den Texten nachprüfbaren Kriterium der Unterscheidung einander zuordnet: Leben und neues Leben. Zugleich ist dieser Entwurf bibeltreu und lebensnah, geeignet für die Praxis.

IV. Die Wende in Rumänien mit viel Blutvergießen und Opfer erlebt er ungewöhnlich. Er gehörte zum Kreis derer, die sich auf den politischen Umschwung vorbereitetet hatten, sich über das Danach Gedanken machten. Hans Klein wurde am 24. Dezember 1989 mit einem Herzschuss lebensgefährlich verwundet, als er Schüler aus Michelsberg nach Hermannstadt abholte. Die nach 1990 einsetzende massive Auswanderung der Siebenbürger Sachsen führte zum großen Umbruch. Alle Strukturen schienen zusammenzubrechen. „Zeitweise war ich ratlos.“ Nach Überwindung dieser Ratlosigkeit schrieb er den kurzen Text: „Ans andere Ufer“ in Versen. Er empfindet sich als Tänzer auf hauchdünnem Seil mitten im Nebel, der erfährt: Es gibt kein Netz, aber ein Gehaltensein von unsichtbarer Hand: „Ich begann den Seiltanz./ Und die Hand im Nebel/ hielt mich./ Ich kam an.“

V. Die Fülle der Ämter – viele waren ehrenamtlich – und Aufgaben, die er nach seiner Genesung ab 1990 wahrnehmen wird, sind aus der Gliederung ersichtlich: 1. Professor für Neues Testament (1990-2010); 2. Im Forum; 3. Im Kreis- und Stadtrat; 4. Im Stadtpfarramt (1993-1998); 5. Als Bischofsvikar (1994-2007). Fünf Legislaturperioden ist er im Stadtrat als gewählter Vertreter des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt (DFDH). Wenn in der Kirche diese Zeit als Abbruch erlebt wurde, so im Forum als Aufbruch. Hans Klein verband beides miteinander. Nicht weniger als 80 Wochenstunden leistete er als Professor für Neues Testament, Mitglied des Stadtrats, im Vorstand des Hermannstädter Forums und Stadtpfarrer. Dies sind nur einige Aufgaben: Empfang und Verteilung von Hilfsgütern, Rückgabe von Immobilien, Religionsunterricht in den Schulen, Restaurierung der Sauerorgel, eine neue Kirchenordnung, die den neuen Gegebenheiten entspricht. 2007 ist Hermann­stadt Europäische Kulturhauptstadt. Hier finden die Tagung der „Societas Novi Testamenti Studiorum“ (SNTS), einer internationalen Sozietät der Neutestamentler, in der Hans Klein von 1985-2012 Mitglied war, und die dritte Europäische Kirchenversammlung (EEA) statt. 2006 war sein umfangreicher Kommentar zum Lukasevangelium erschienen. 1998-2006 ist Hans Klein Dekan des Evangelischen Theologischen Instituts. „2006 trat die Fakultät für Evangelische Theologie in die Lucian-Blaga-Universität ein.“ Der Beginn eines ernsthaften Augenleidens zeigt, dass er die Grenze seiner Kräfte erreicht oder gar überschritten hatte.

VI. Bewegend, wie Klein im letzten Teil die Erfahrungen biblischer Personen zum Spiegel seiner eigenen macht. Heide geb. Schneider wird seine Ehefrau und Mutter ihrer vier Kinder. Detailgenau schildert er die Begegnung, das Kennenlernen, die lange Zeit der Trennung bis zur Hochzeit. Von ihr sagt er: „Meine Frau Heide hat mich über 60 Jahre lang mit viel Wohlwollen begleitet, immer auch ein wenig korrigiert und vor allem mir geholfen, die Welt und die Mitmenschen mit Wohlvollen zu akzeptieren, die Studenten zu fördern.“ Sie ist sein Ruhepol und seine Kraftquelle.

Spannungsreich werden in diesem Buch „Erinnerungen“ geschildert, die eine Fundgrube für künftige Historiker sein werden. Doch ist der Blick des Autors auf das Kommende gerichtet, das Gott gewährt, nach dem voller Hoffnung Ausschau gehalten wird.

Samuel Piringer, Pfarrer i.R., Öhringen




Hans Klein: „Ausgerichtet auf das Kommende. Erinnerungen“, Schiller Verlag Bonn-Hermannstadt, 2025, 432 Seiten, 13,90 Euro, ISBN 978-3-949583-71-1, erhältlich im Buchhandel oder zu bestellen im Erasmus Büchercafé Hermannstadt, E-Mail: erasmus[ät]buechercafe.ro, deutsche Festnetznummer: (02 28) 90 91 95 57.

Schlagwörter: Hans Klein, Theologe, Biographie, Kirche, Hermannstadt

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