20. Juni 2006

Siebenter Kongress der Germanisten Rumäniens tagte in Temeswar

Die Kongresse der Germanisten Rumäniens, die im Dreijahresrhythmus abwechselnd in einer rumänischen Universitätsstadt oder einem Touristikzentrum (Schwarzmeerküste, Sinaia) stattfinden, sind zur Tradition geworden und erfreuen sich bei in- und ausländischen Wissenschaftlern einer zunehmenden Beliebtheit und Beachtung. Bereits in den 1930er Jahren ins Leben gerufen, werden sie seit 1994 von der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens (GGR) in Zusammenarbeit mit Institutionen aus dem In- und Ausland organisiert. Das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München betreute die Sektion "Deutsche Regionalliteraturen".
Neu initiiert wurden sie nach der Wende vom Präsidenten der GGR, Prof. Dr. George Gutu, der den Lehrstuhl für Germanistik an der Bukarester Universität leitet und sich besonders durch seine Forschungen zur Literatur der Bukowina und als Übersetzer deutschsprachiger Literatur ins Rumänische einen guten Namen gemacht hat. Der Kongress hatte vor drei Jahren in Hermannstadt stattgefunden. Heuer war Temeswar zum Austragungsort auserkoren worden, wohl auch weil 2006 der germanistische Lehrstuhl der dortigen Universität sein 50-jähriges Jubiläum seit seiner Gründung begehen durfte.

Vom 22.-25. Mai wurden in den Räumlichkeiten der Universität und im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus neue Forschungsergebnisse vor rund 250 Germanisten aus zahlreichen europäischen Ländern präsentiert.

In den Grußansprachen des Präsidenten der GGR, der Botschafter und Botschaftsvertreter der Bundesrepublik Deutschland und Österreichs, der Temeswarer Universitätsleitung und der Vertreter der mitveranstaltenden Institutionen wurde auf die Jahrhunderte alten Beziehungen zwischen Rumänien und den deutschsprachigen Ländern verwiesen und dabei besonders der Regionen Banat, Bukowina und Siebenbürgen gedacht, deren Verbindungen zu Deutschland, Österreich und der Schweiz sich aufgrund ihres hohen Anteils von deutschen Minderheitengruppen in der Vergangenheit, aber auch gegenwärtig, besonders intensiv gestalteten. Rund ein Drittel der Außenhandelsbeziehungen Rumäniens machen jene mit den deutschsprachigen Ländern aus, die unter den in Rumänien investierenden Staaten Spitzenplätze einnehmen.

Trotz dieser engen wirtschaftlichen Verflechtungen ist es um den Stand der deutschen Sprache in Rumänien nicht zum Besten bestellt. Zwar hat Deutsch als Mutter- und Fremdsprache in den minderheitlich stark ausgedünnten Regionen Banats und Siebenbürgens immer noch einen hohen Stellenwert, doch die deutsche Sprache, die in diesen Gebieten und auch sonst in Ostmittel- und Südosteuropa einst als Lingua franca fungierte, musste diesen Platz längst dem Englischen räumen. In einer globalisierten Welt wird sich an diesem Tatbestand wohl auch in Zukunft nichts ändern, und so ging es auch in Temeswar eher darum, Chancen ausfindig zu machen, die es ermöglichen, den Standort der deutschen Sprache als zweite wichtige Fremdsprache in diesem Teil Europas zu sichern. Der große Teil der Referate, die sich auf der Temeswarer Tagung mit der Didaktik des Deutschen als Mutter- und besonders als Fremdsprache auseinandersetzten, weist in diese Richtung und verleiht dem Anliegen der rumänischen Germanisten Ausdruck, das Studium der deutschen Sprache und Literatur auf einer breiten Basis zu etablieren. Ähnlich waren auch die Beiträge orientiert, die sich mit linguistischen Fragen befassten, wobei der Eigenart des Deutschen in Rumänien in seinen mundartlichen und hochsprachlichen Erscheinungsformen sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

In den literaturwissenschaftlichen Abteilungen standen die kanonisierten Autoren und Werke der deutschen Literatur - vom Nibelungenlied bis zu Günter Grass - im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Germanistinnen und Germanisten Rumäniens widmen sich mit Vorliebe Fragen der neueren und neuesten deutschen Literaturgeschichte, wohl auch eine reiche Sekundärliteratur vorhanden ist und die Werke der neueren deutschen Literatur besonders junge Wissenschaftler ansprechen und zur Beschäftigung einladen.

Seit 1994 wird die Sektion "Deutsche Regionalliteraturen in Rumänien" vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig.Maximilians-Universität München (IKGS) betreut. Um dem Genius loci Genüge zu tun war diese Sektion heuer thematisch auf die Banater deutsche Literatur ausgerichtet, deren Standort im interkulturellen Beziehungsgeflecht Südosteuropas näher bestimmt werden sollte. Schwerpunktmäßig sollten "Modalitäten der wechselseitigen Wahrnehmung, des Kulturtransfers im Spannungsfeld von Korrelation und Konflikt, von Annäherung und Abgrenzung im historischen Wandel befragt und beleuchtet werden", wie Hon.-Prof. Dr. Peter Motzan, der diese Abteilung seitens des IKGS leitete, in der Einladung hervorhob.

Der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der banatschwäbischen Literatur wird im IKGS - wie der siebenbürgisch-sächsischen übrigens auch - großes Interesse entgegengebracht. Eine ganze Reihe von Veröffentlichungen - erinnert sei an den Ausstellungskatalog zu Nikolaus Lenau und an die von Eduard Schneider erstellte Anthologie der Temeswarer Zeitung sowie an die zahlreichen Beiträge, Rezensionen und Interviews in den Südostdeutschen Vierteljahresblättern, die sich seit 2006 Spiegelungen nennen - sind der Kultur, der Geschichte und Sprache der Banater Schwaben gewidmet. Darüber hinaus ist das Münchner Institut, das an der Ausarbeitung des Siebenbürgisch-sächsischen Wörterbuches mitwirkt, auch an der Förderung des Banatschwäbischen Wörterbuches, eines wissenschaftlichen Großunternehmens von hohem Prestigewert, beteiligt, dessen Erscheinen des ersten Bandes im Verlag das IKGS von der Fachwelt mit ungeduldiger Neugierde erwartet wird.

Der Einladung des IKGS und der GGR waren rund sechzig Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Rumänien, der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Ungarn, Frankreich und Norwegen gefolgt, deren Beiträge sich hauptsächlich mit den jüngeren Vertretern der rumäniendeutschen Literatur (von Hans Bergel und Oskar Pastior bis Herta Müller und Richard Wagner) auseinandersetzten, wobei allein über Herta Müllers facettenreiches Werk sechs Referate präsentiert wurden.

Das ist mit ein Zeichen, dass diese Literatur in ihren wichtigen Repräsentanten einem wissenschaftlichen Kanonisierungsprozess unterliegt und dass ihre Relevanz und Bedeutung im gesamtdeutschen Literaturbetrieb zugenommen hat. Erinnert wurde auf der Tagung auch daran, dass der diesjährige Träger des Büchner-Preises, der wichtigsten literarischen Auszeichnung im deutschen Sprachgebiet, Oskar Pastior, aus Hermannstadt kommt, der wie ein anderer Träger desselben Preises, der aus der Bukowina stammende Paul Celan, viele Jahre in Bukarest gelebt hat.

Begrüßt wurde auch die Idee der Veranstalter, die Temeswarer Tagung, auf der u. a. die Ausstellung Wortreiche Landschaft, die die Geschichte der deutschen Literatur auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens von ihren Anfängen im bis in die Gegenwart veranschaulicht, gezeigt wurde, mit Dichterlesungen zu umrahmen. Bei allem Interesse an der philologischen Forschung wurde dadurch daran erinnert, dass der lebendige Bezug zum Dichterwort gerade bei einer solchen Veranstaltung nicht vergessen werden dürfe. Aus ihren Werken lasen vor einer zahlreichen interessierten Zuhörerschaft u. a. der Temeswarer Schriftsteller und bekannte Übersetzer aus der deutschsprachigen Lyrik ins Rumänische Petre Stoica und der ebenfalls in dieser Stadt ansässige Prosaautor Daniel Vighi sowie die im Banat geborenen und heute in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Autoren Richard Wagner und Johann Lippet, deren Lesungen von den Literaturwissenschaftlern Gerhart Csejka, Walter Engel und Peter Motzan moderiert wurden. Eine Gruppenlesung, an der sich die Kronstädter Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Carmen Elisabeth Pucheanu, die österreichische Autorin Marianne Gruber sowie die Temeswarer Lyrikerinnen Lorette und Henrike Bradiceanu-Persem beteiligten, fand im Deutschen Kulturzentrum der Banater Metropole statt.

Stefan Sienerth

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 10 vom 20. Juni 2006, Seite 15)

Schlagwörter: Rumänien und Siebenbürgen, Germanistik, Tagungen

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