5. November 2006

Junge Siebenbürgen-Forscher pflegen regen Dialog

Vom 3. bis 6. Oktober fand in der Akademie Mitteleuropa in Bad Kissingen das 6. internationale Diplomanden- und Doktorandenkolloquium statt. Nachdem das Siebenbürgen-Institut von 2001 bis 2004 die ersten vier Tagungen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Gundelsheim am Neckar durchgeführt hatte, fand bereits das letztjährige Graduiertenkolloquium in Kooperation mit dem Ungarischen Institut München ebendort statt. Als dritter Partner kam in diesem Jahr die Akademie Mitteleuropa Bad Kissingen hinzu, die in ihrem Tagungszentrum „Der Heiligenhof“ auch für hervorragende Bedingungen zur Durchführung der Konferenz sorgte.
Nach der Begrüßung der aus Rumänien, Ungarn und Deutschland angereisten Teilnehmer durch Dr. Harald Roth, Dr. Gerald Volkmer (Siebenbürgen-Institut Gundelsheim), Dr. Zsolt Lengyel (Ungarisches Institut München) und Werner Gustav Binder (Akademie Mitteleuropa Bad Kissingen) fand am Abend des 3. Oktober eine Vorstellungs- und erste Gesprächsrunde statt. Die Ziele der Veranstaltung waren: ein intensiver fachbezogener Austausch über Zielsetzung, Methodik und Schwerpunktbildung der Forschung und der interdisziplinäre Wissenstransfer. Der kritische Dialog soll dem wissenschaftlichen Nachwuchs einerseits die Möglichkeit bieten, den eigenen methodischen Zugang kritisch zu überprüfen, andererseits aber auch kreative Impulse liefern.

Das Graduiertenkolloquium wurde dann am 4. Oktober mit der Abteilung Geschichte eröffnet, die von Prof. Dr. Joachim Bahlke und Dr. Zsolt Lengyel moderiert wurde. Zsolt Simon (Neumarkt am Mieresch) referierte über die Finanzen der Stadt Kronstadt im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts. In seiner Arbeit untersucht er die Rechnungsbücher der Stadt aus der Zeit von 1506 bis 1526, analysiert Steuereinkünfte, Vermögen und Ausgaben der Stadt und vergleicht ihr Geldwesen mit dem von Klausenburg und Preßburg. Die interregionalen Kulturbeziehungen der siebenbürgischen Armenier im 17. und 18. Jahrhundert war das Thema von Bálint Kovács (Piliscsaba). Dabei ging er auch auf die Verbindungen zwischen der asiatischen und der europäischen Diaspora ein, auf den Austausch der siebenbürgischen Armenier mit den Gemeinschaften in Konstantinopel, Lemberg, Rom und Venedig. Anschließend sprach Kálmán Árpád Kovács (Szeged) über die „Rolle der Siebenbürger Sachsen innerhalb der Religionspolitik Maria Theresias in den 1760-70-er Jahren“. Der Referent betonte vor allem die staats- und machtpolitischen Aspekte der Theresianischen Glaubenspolitik. Mariann Juha (München) widmete sich der „Etablierung und Verbreitung des mineralogischen Wissens in Ungarn“ (1735-1777). Das im Jahre 2001 von dem Parlament in Budapest verabschiedete Statusgesetz und der journalistische Diskurs über dieses Gesetz in ungarischen und rumänischen Tageszeitungen bildeten den Schwerpunkt des Vortrags von Mihai Márton (Bremen), mit dem die Sektion Geschichte abgeschlossen wurde.

Die von Dr. Evelin Wetter moderierte kunsthistorische Abteilung eröffnete Uwe Hienz (Augsburg) mit einem Vortrag über den Wurzel-Jesse-Altar in Mühlbach. Die Mühlbacher Darstellung des Jessebaums nimmt eine prominente Rolle innerhalb der spätgotischen Abbildungen der königlichen Abstammungslinie Christi ein, denn sie ist das dominante Thema des Altarschreins. Gáspár Gábor Kalamár (Klausenburg) sprach anschließend über die kirchliche Glasmalerei Miksa Róths in Rumänien. Ágota Zakariás (Klausenburg) stellte die bisher von der Kunstgeschichtsschreibung kaum beachteten Pastellarbeiten Gábor Miklóssys vor, in denen der Künstler moderne und zeitgenössische Strömungen wie Fauvismus, Expressionismus und sozialistischer Realismus aufgreift. Karin Böllmann (Leipzig) behandelte in ihrem Vortrag die Darstellung der Architektur und der Funktionen der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen in der deutschsprachigen kunsthistorischen Literatur zwischen 1850 und 1945. Dabei beschäftigte sie sich mit der Frage, ob politische Unsicherheiten in Siebenbürgen die Bedeutung der Kirchenburgen als kulturelle Fixpunkte gesteigert haben. Sebastian Szaktilla (Hermannstadt) berichtete von einem ehrgeizigen Projekt, das er im Rahmen seiner Promotion an der TU Berlin verfolgt. Im Mittelpunkt seiner Forschung stehen die siebenbürgischen Kirchenburgen, deren baulichen Zustand er dokumentieren will, um dann eine Priorisierung der Instandsetzung der Objekte und Vorschläge für die notwendigen Maßnahmen zu ihrem Erhalt zu erarbeiten. Abschließend präsentierte Timo Hagen (Heidelberg) neue Erkenntnisse zur Architektur in Hermannstadt im Zeitalter des Dualismus (1867-1918), die vor allem öffentliche Bauten, deren Auftraggeber und Architekten betreffen.

Der dritte Tag des Kolloquiums unter dem Vorsitz von Prof. Dr. András Balogh war den Literaturwissenschaft gewidmet. Sándor Körtesi (Klausenburg) stellte sein Konzept einer literarischen Landkarte Siebenbürgens vor, auf der die wichtigsten Orte eingezeichnet werden sollen, die im Laufe der Jahrhunderte der deutschen Sprache, Kultur und Literatur ein Zuhause geboten haben. Im Mittelpunkt des Referats von Orsolya Lénárt (Budapest) stand die „Rezeption Siebenbürgens im 17. Jahrhundert durch die Darstellung des Ungarischen oder Dazianischen Simplicissimus (1683-84)“. „Sándor Bölöni Farkas’ Werther-Übersetzung: Literarische und kulturelle Ansichten eines siebenbürgischen Intellektuellen im Kontext des ungarischen Goethekultes“ lautete der Titel des Vortrags von Ágnes Simon-Szabó (Berlin), die sich nun mit den Entstehungsumständen und der Kontextualisierung des ersten ungarischen „Werther“ in der Reihe der frühen ungarischen „Werther“-Geschichten befaßt. Nach einer kurzen Pause berichtete Angéla Deák (Klausenburg) über ihre Diplomarbeit „Der Mensch als Spielzeug der Macht. Die Deportation der Deutschen aus Rumänien in der Erinnerungsliteratur“, in der sie während der Deportation in die Sowjetunion geschriebene Tagebücher und nach der Heimkehr verfasste Berichte untersucht. Über die literarische Auswirkung der Aus- und Einwanderung am Beispiel der Deutschen und Ungarn in Rumänien sprach Emese Vencser (Klausenburg). Dabei ging sie auf das Gefühl der Heimatlosigkeit, der Entwurzelung ein, das oft mit einer Identitätsspaltung verbunden ist. Mit dem literarischen Werk Müllers und Hodjaks befassten sich auch die beiden ersten Vorträge der Nachmittagssitzung. Natalia Matica (Klausenburg) referierte über Herta Müllers „Reisende auf einem Bein“ und „Heute wär ich mir lieber nicht begegnet“ („Zwischen dem Drüben und dem Hier bei Herta Müller“), während Bálint Walter (Budapest) über die Diktatur und Tyrannei in den Romanen Franz Hodjaks sprach. Péter Boldizsár (Klausenburg) schloss mit seinen Überlegungen zu Richard Wagners Roman „Miss Bukarest („Eine etwas andere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“) die umfangreiche Sektion Literaturgeschichte ab.

In der Abschlussdiskussion lobten die Teilnehmer die Grenzüberschreitung zwischen den Fachdisziplinen durch unterschiedliche Fragestellungen und Methoden und neuen inhaltlichen und organisatorischen Hilfestellungen. Sie bekräftigten darüber hinaus ihren Wunsch, die auf dem Kolloquium geknüpften internationalen Kontakte auch nach der Veranstaltung aufrecht zu erhalten. Die Organisatoren kündigten an, die erfolgreiche Kooperation zwischen dem Siebenbürgen-Institut, dem Ungarischen Institut und der Akademie Mitteleuropa fortzusetzen und auch im nächsten Jahr ein Forum zur Diskussion wissenschaftlicher Abschlussarbeiten anzubieten, die den Raum des historischen Ungarn und zeitgenössischen Rumänien betreffen.

Uwe Hienz (Augsburg)


Schlagwörter: Tagung, Jugend, Wissenschaft, Siebenbürgen-Institut

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