1. Juni 2007

Osteuropäische Juden im Ersten Weltkrieg

Mit der Arbeit „Zwischen allen Fronten – Osteuropäische Juden während des ersten Weltkrieges“ promovierte Frank M. Schuster im Jahr 2003 am Historischen Seminar der Universität Basel in der Schweiz. Schuster wurde 1971 in Bukarest geboren, seine Eltern stammen aus Heltau bei Hermannstadt. Seine Dissertation ist 2004 im Böhlau-Verlag als Buch erschienen.
Mit seiner Arbeit möchte der Historiker das Leid der Juden aus Litauen, der polnischen Juden, der Juden aus Galizien und der Bukowina nicht vergessen lassen. Schuster umreißt das Kriegsgeschehen (1914 – 1918) im Osten Europas und schildert die katastrophale Situation der Juden in diesen Gebieten. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges sowie dem Einmarsch der russischen Truppen beginnt für die Juden eine Zeit der Massenflucht und Evakuierungen, der Plünderungen und Krankheiten sowie der Deportierungen und Diskriminierungen. Die Analysen Schusters ergaben, dass die Ostjuden zu Sündenböcken für die Niederlagen der zaristischen Armeen gemacht wurden.

Eine allmähliche „Normalisierung“ der Verhältnisse stellt Schuster durch den Übergang zu staatlichen Unabhängigkeiten dar. Diese Situation ändert sich aber wieder, es kommt zu antijüdischen Ausschreitungen; zu Pogromen in Krakau, Lemberg, Wilna. Ob für die jüdische Bevölkerung in den neuen Gesellschaften überhaupt noch Platz sei, mit dieser Frage verdeutlicht Schuster, dass die Welt der Ostjuden nach dem Ersten Weltkrieg bereits endgültig zerbrochen war, dass sie nun schutzlos „zwischen allen Fronten“ standen.

Der letzte Teil der Arbeit befasst sich mit dem „kulturellen Gedächtnis“ der Juden, mit deren Erinnerungen an die verlorene jüdische Welt aus ihrer Kindheit in Galizien und im Baltikum, in Polen und in der Bukowina. „Dieses Gedächtnis verklärt und konstruiert Mythen, die aber durch den Filter der Erlebnisse in und nach dem Zweiten Weltkrieg zu lesen sind“, betont Schuster. Dass die Welt der Ostjuden bereits durch den Ersten Weltkrieg zerstört wurde, haben seine Recherchen klar ergeben, die Ostjuden wurden schon durch den Antisemitismus des Ersten Weltkrieges gebrandmarkt.

Für seine Arbeit durchforstete Schuster Archive aus Deutschland, Polen. Litauen, Russland, Israel und den USA. Gleichzeitig zog er aber auch literarisch Werke heran, wie Romane, Tagebücher und Erinnerungen. Diese sind teilweise mit einem gewissen Fragezeichen behaftet, da sie erst nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der vollständigen Vernichtung des jüdischen Lebens in Osteuropa, verfasst worden sind. Schusters Analyse verlangt Konzentration, die Lektüre der Arbeit setzt die Bereitschaft voraus, sich auf eine Zeit einzulassen, die unbekannt und düster ist, die aber einem die Augen öffnet, für die Geschehnisse im Ersten Weltkrieg.

Frank M. Schuster unternahm 2006, drei Jahre nach seiner Dissertation, eine Reise nach Galizien und folgte den spärlich gebliebenen Spuren der Ostjuden, die er in seiner Arbeit behandelt hatte. Die Kenntnis der polnischen Sprache sowie des jüdischen Lebens und seiner Traditionen öffneten ihm die Türen zu den wenigen noch lebenden Nachkommen der Juden aus Galizien. Frank Schuster lebt in Lodz (Polen) und arbeitet an der dortigen Universität als Dozent am Lehrstuhl für Literatur und Kultur Deutschlands, Österreichs und der Schweiz.

Heidrun Knall

Frank M. Schuster: Zwischen allen Fronten. Osteuropäische Juden während des Ersten Weltkriegs. Erschienen in der Reihe Lebenswelten osteuropäischer Juden, Band 9. Hrsg. Heiko Haumann. Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2004, 562 Seiten, ISBN 3-412-13704-9.

Schlagwörter: Zeitgeschichte, Rezension, Vergangenheitsbewältigung

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