12. November 2007
Im Spannungsfeld zwischen ethnischer Identität und Globalisierung
Besprechung eines Forschungsprojektes über 20 nationale Minderheiten in Rumänien: Wilfried Heller, Peter Jordan, Thede Kahl, Josef Sallanz (herausgeber, "Ethnizität in der Transformation. Zur Situation nationaler Minderheiten in Rumänien" (= Wiener Osteuropa Studien, herausgegeben vom Österreichischen Ost- und Südosteuropa Institut, Band 21), Lit. Verlag Berlin, Hamburg, London, Münster, Wien, Zürich 2006, 168 Seiten, Preis 14,90 Euro, ISBN 3-8258-9590-4.
Was in diesem Band über die Situation der nationalen Minderheiten in Rumänien vorliegt, ist das Ergebnis eines seit 2002 unter der Leitung von Wilfried Heller vom Institut für Geographie und Geoökonomie, Universität Potsdam, von der Volkswagenstiftung geförderten Projekts über „Nationale Minderheiten in der Globalisierung. Ethnizität als Element von Ausdifferenzierungsprozessen der Lebenslagen von Minderheitengruppen im ländlichen Raum Rumänien“. Das Forschungsprojekt wird vom Lehrstuhl für Sozial- und Kulturgeographie der Universität Potsdam in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Soziologie der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg und dem Lehrstuhl für Human- und Wirtschaftsgeographie der Universität Bukarest durchgeführt. Es konzentriert sich geographisch einerseits auf die Untersuchung der nach der politischen Wende von 1989 erfolgten Transformationsprozesse bei den nationalen Minderheiten in den wirtschaftlich und sozial peripheren Regionen der Dobrudscha und des Donaudeltas und andererseits auf die in den ökonomisch entwickelteren Provinzen des Banats und Siebenbürgens. Die hier veröffentlichten Mitteilungen enthalten die Referate einer Tagung am Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut im Jahr 2004.
Wir sehen davon ab, auf die neun Beiträge (davon zwei in englischer Sprache) einzeln einzugehen und werden auf einige allgemeine Feststellungen des Forschungsteams hinweisen.
Zunächst ist Folgendes festzustellen: Nach der Benachteiligung, Verfolgung und der auf Nivellierung und Assimilierung der nationalen Minderheiten ausgerichteten Politik des großrumänischen Staates nach 1918 und während der kommunistischen Herrschaft und nach einem explosiven Ausbruch der nationalen Gegensätze unmittelbar nach der Wende von 1989 (siehe die Gewaltexzesse in Neumarkt am Miersch (Târgu Mureș) zwischen Rumänen und Ungarn sowie Pogrome gegen Roma in den Gemeinden Cuza Vodă und Mihail Kogălniceanu im Kreis Konstanza) haben sich die nationalen Minderheiten kulturell und wirtschaftlich festigen und politisch organisieren können. Dafür wurde allmählich der gesetzliche Rahmen geschaffen. Die Verfassung von 1991 gewährt den nationalen Minderheiten staatsbürgerliche Gleichheit mit dem tragenden, rumänischen Staatsvolk sowie eine Reihe von Rechten: Schulen mit Unterricht in der Muttersprache, Pflege der eigenen Kultur, eigene Organisationen zur Vertretung ihrer Interessen. Diese Bestimmungen wurden mit der Aufnahme in die Europäische Union und den damit verbundenen Auflagen erweitert. Danach wird den nationalen Minderheiten, die einen erheblichen Anteil einer Gemeinde bilden, das Recht gewährt, den Amtsverkehr mit kommunalen Behörden sowie in Gerichtsverhandlungen ihre Muttersprache zu benutzen. In Gemeinden, in denen die Minderheit 20 Prozent der Gesamtbevölkerung stellt, werden zweisprachige Gemeindeschilder an der Haupteinfahrt in die Ortschaften angebracht. Ein spezielles Gesetz und Projekt widmet sich dem schwierigen Problem der Integration der Roma. Auf diesem Gebiet gibt es jedoch eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Roma werden von allen Bevölkerungsschichten, auch den nationalen Minderheiten, marginalisiert und ausgegrenzt. Dazu lebt der Großteil in Armut und in Elendsvierteln am Rande der Ortschaften. Obwohl sie zu den großen Minderheiten gehören, bringen sie politisch im Vergleich mit den Ungarn wenig ein.
Die 20 anerkannten nationalen Minderheiten sind im Parlament vertreten. Erreichen sie bei den Wahlen die 5-Prozent-Klausel nicht, erhalten sie dennoch das Recht einen Abgeordneten ins Abgeordnetenhaus zu entsenden. Das sind seit dem Jahr 2000 folgende nationalen Minderheiten: Albaner, Armenier, Bulgaren, Deutsche, Griechen, Italiener, Juden, Kroaten, slawische Makedonier, Polen, Roma, Lipowaner, Ruthenen, Serben, Tataren, Türken und Ukrainer. Slowaken und Tschechen verfügen über einen einzigen Vertreter, da sie sich in einem Verband zusammengeschlossen haben, während der „Demokratische Verband der Ungarn in Rumänien“ bei allen bisherigen Wahlen die 5-Prozent-Klausel überbieten konnte und seit 2002 sogar an der Regierung beteiligt ist.
Der Beitritt Rumäniens zur NATO und zur EU wird von den nationalen Minderheiten begrüßt, nicht zuletzt darum, weil Bukarest gehalten ist, die Auflagen hinsichtlich des Minderheitenschutzes zu beachten. In Folge der Einbeziehung Rumäniens in die europäischen und nordatlantischen Strukturen befinden sich die nationalen Minderheiten jedoch in einer Spannung zwischen vereinheitlichen globalen Prozessen einerseits und der Klammerung an die gewonnene ethnische Identität andererseits.
Ein Beitrag widmet sich den Siebenbürger Sachsen, den Banater Schwaben und Landlern. Sowohl in diesem Beitrag als auch sonst strapazieren die Autoren soziologische Definitionen und Beschreibungen in einer für den Normalleser unverständlichen Fachsprache. Der Beitrag enthält übrigens für den rumäniendeutschen Leser keine relevanten, neuen Erkenntnisse, er dürfte übrigens auch nicht für sie gedacht sein, sondern bietet einem breiten Leserkreis Informationen über ihr Werden und gegenwärtige Lage. Die Verfasserin Corina Anderl vom Institut für Geographie und Geoökonomie Potsdam unterstreicht, dass die von Sachsen und Schwaben bewohnten Gebiete von Deutschland und Österreich am stärksten Direktinvestitionen erhielten und zu den prosperierenden Regionen des Landes gehören. Die deutsche Minderheit erhält auch direkte Hilfen von Deutschland und Österreich, die auch ethnisches Patronat übernommen haben. Es wird auch auf die Tätigkeit des Sozialwerkes der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen hingewiesen und auf die von ihm initiierte Hilfsorganisation „Saxonia“.
Die Verfasserin meint, dass bei den Deutschen Rumäniens eine Öffnung gegenüber anderen Ethnien erfolgte, was schon dadurch gegeben sei, dass in den untersuchten Ortschaften neben einer deutschen fast jede Familie auch eine ungarische, serbische oder rumänische Großmutter habe. Die deutsche Minderheit habe im postsozialistischen Rumänien eine Mittler- und Vermittlerfunktion inne sowohl zwischen den verschiedenen nationalen Minderheiten als auch international zwischen Rumänien, Deutschland und der Welt. Letzteres scheint uns etwas zu hoch gegriffen, und die Vermittlerrolle sollte auch nicht überschätzt werden. Das Beispiel der Deutschen in Rumänien zeige, so Anderl, „wie Ethnie als soziokulturelles, ökonomisches und politisches Kapitel eingesetzt werden kann“.
Ein Beitrag des Bandes lässt besonders aufhorchen. Er beschäftigt sich mit den chinesischen Immigranten in Bukarest, deren Zahl sich derzeit zwischen 6 000 und 12 000 bewegt. Es sind hauptsächlich Händler, die in Bukarest Geschäfte abwickeln und leben. Die berechtigte Frage der Verfasserin: Entsteht eine neue Minderheit in Rumänien? Dabei sind die in der Textilindustrie von Bacău beschäftigten 200 Chinesinnen nicht mitgezählt. Und es sollen mehr werden, nachdem es im Land, wegen der im Westen arbeitenden Rumänen, an Facharbeitern mangelt
Wir sehen davon ab, auf die neun Beiträge (davon zwei in englischer Sprache) einzeln einzugehen und werden auf einige allgemeine Feststellungen des Forschungsteams hinweisen.
Zunächst ist Folgendes festzustellen: Nach der Benachteiligung, Verfolgung und der auf Nivellierung und Assimilierung der nationalen Minderheiten ausgerichteten Politik des großrumänischen Staates nach 1918 und während der kommunistischen Herrschaft und nach einem explosiven Ausbruch der nationalen Gegensätze unmittelbar nach der Wende von 1989 (siehe die Gewaltexzesse in Neumarkt am Miersch (Târgu Mureș) zwischen Rumänen und Ungarn sowie Pogrome gegen Roma in den Gemeinden Cuza Vodă und Mihail Kogălniceanu im Kreis Konstanza) haben sich die nationalen Minderheiten kulturell und wirtschaftlich festigen und politisch organisieren können. Dafür wurde allmählich der gesetzliche Rahmen geschaffen. Die Verfassung von 1991 gewährt den nationalen Minderheiten staatsbürgerliche Gleichheit mit dem tragenden, rumänischen Staatsvolk sowie eine Reihe von Rechten: Schulen mit Unterricht in der Muttersprache, Pflege der eigenen Kultur, eigene Organisationen zur Vertretung ihrer Interessen. Diese Bestimmungen wurden mit der Aufnahme in die Europäische Union und den damit verbundenen Auflagen erweitert. Danach wird den nationalen Minderheiten, die einen erheblichen Anteil einer Gemeinde bilden, das Recht gewährt, den Amtsverkehr mit kommunalen Behörden sowie in Gerichtsverhandlungen ihre Muttersprache zu benutzen. In Gemeinden, in denen die Minderheit 20 Prozent der Gesamtbevölkerung stellt, werden zweisprachige Gemeindeschilder an der Haupteinfahrt in die Ortschaften angebracht. Ein spezielles Gesetz und Projekt widmet sich dem schwierigen Problem der Integration der Roma. Auf diesem Gebiet gibt es jedoch eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Roma werden von allen Bevölkerungsschichten, auch den nationalen Minderheiten, marginalisiert und ausgegrenzt. Dazu lebt der Großteil in Armut und in Elendsvierteln am Rande der Ortschaften. Obwohl sie zu den großen Minderheiten gehören, bringen sie politisch im Vergleich mit den Ungarn wenig ein.
Die 20 anerkannten nationalen Minderheiten sind im Parlament vertreten. Erreichen sie bei den Wahlen die 5-Prozent-Klausel nicht, erhalten sie dennoch das Recht einen Abgeordneten ins Abgeordnetenhaus zu entsenden. Das sind seit dem Jahr 2000 folgende nationalen Minderheiten: Albaner, Armenier, Bulgaren, Deutsche, Griechen, Italiener, Juden, Kroaten, slawische Makedonier, Polen, Roma, Lipowaner, Ruthenen, Serben, Tataren, Türken und Ukrainer. Slowaken und Tschechen verfügen über einen einzigen Vertreter, da sie sich in einem Verband zusammengeschlossen haben, während der „Demokratische Verband der Ungarn in Rumänien“ bei allen bisherigen Wahlen die 5-Prozent-Klausel überbieten konnte und seit 2002 sogar an der Regierung beteiligt ist.
Der Beitritt Rumäniens zur NATO und zur EU wird von den nationalen Minderheiten begrüßt, nicht zuletzt darum, weil Bukarest gehalten ist, die Auflagen hinsichtlich des Minderheitenschutzes zu beachten. In Folge der Einbeziehung Rumäniens in die europäischen und nordatlantischen Strukturen befinden sich die nationalen Minderheiten jedoch in einer Spannung zwischen vereinheitlichen globalen Prozessen einerseits und der Klammerung an die gewonnene ethnische Identität andererseits.
Ein Beitrag widmet sich den Siebenbürger Sachsen, den Banater Schwaben und Landlern. Sowohl in diesem Beitrag als auch sonst strapazieren die Autoren soziologische Definitionen und Beschreibungen in einer für den Normalleser unverständlichen Fachsprache. Der Beitrag enthält übrigens für den rumäniendeutschen Leser keine relevanten, neuen Erkenntnisse, er dürfte übrigens auch nicht für sie gedacht sein, sondern bietet einem breiten Leserkreis Informationen über ihr Werden und gegenwärtige Lage. Die Verfasserin Corina Anderl vom Institut für Geographie und Geoökonomie Potsdam unterstreicht, dass die von Sachsen und Schwaben bewohnten Gebiete von Deutschland und Österreich am stärksten Direktinvestitionen erhielten und zu den prosperierenden Regionen des Landes gehören. Die deutsche Minderheit erhält auch direkte Hilfen von Deutschland und Österreich, die auch ethnisches Patronat übernommen haben. Es wird auch auf die Tätigkeit des Sozialwerkes der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen hingewiesen und auf die von ihm initiierte Hilfsorganisation „Saxonia“.
Die Verfasserin meint, dass bei den Deutschen Rumäniens eine Öffnung gegenüber anderen Ethnien erfolgte, was schon dadurch gegeben sei, dass in den untersuchten Ortschaften neben einer deutschen fast jede Familie auch eine ungarische, serbische oder rumänische Großmutter habe. Die deutsche Minderheit habe im postsozialistischen Rumänien eine Mittler- und Vermittlerfunktion inne sowohl zwischen den verschiedenen nationalen Minderheiten als auch international zwischen Rumänien, Deutschland und der Welt. Letzteres scheint uns etwas zu hoch gegriffen, und die Vermittlerrolle sollte auch nicht überschätzt werden. Das Beispiel der Deutschen in Rumänien zeige, so Anderl, „wie Ethnie als soziokulturelles, ökonomisches und politisches Kapitel eingesetzt werden kann“.
Ein Beitrag des Bandes lässt besonders aufhorchen. Er beschäftigt sich mit den chinesischen Immigranten in Bukarest, deren Zahl sich derzeit zwischen 6 000 und 12 000 bewegt. Es sind hauptsächlich Händler, die in Bukarest Geschäfte abwickeln und leben. Die berechtigte Frage der Verfasserin: Entsteht eine neue Minderheit in Rumänien? Dabei sind die in der Textilindustrie von Bacău beschäftigten 200 Chinesinnen nicht mitgezählt. Und es sollen mehr werden, nachdem es im Land, wegen der im Westen arbeitenden Rumänen, an Facharbeitern mangelt
Michael Kroner
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Schlagwörter: Minderheiten, Rumänien, Forschungsprojekt
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