17. Dezember 2007

Audiothek statt Schuhkarton

Als vor vierzig Jahren die Tonaufnahmen des Linguistikinstituts Bukarest entstanden sind (siehe Interview mit Heinrich Mantsch), war der Massenexodus der Siebenbürger Sachsen noch nicht absehbar. Dass die Aufnahmeleiter sich damals nicht nur auf rein linguistische Aspekte beschränkt haben, sondern die Leute in freier Rede vom Alltagsleben erzählen haben lassen, erweist sich heute als großer Gewinn, da die Aufnahmen eine Welt dokumentieren, die es in dieser Form nicht mehr gibt. Der Verfall von Kirchenburgen sorgt für größeres Aufsehen und führt oft zu aufwendigen Rettungsaktionen. Hingegen scheint es vielen Landsleuten nicht bewusst zu sein, dass der Dialekt eine Kulturleistung von vielleicht höherem Rang ist. Die Mundarten sind nicht nur ein wesentlicher Bestandteil der Identität der Siebenbürger Sachsen, sie enthalten auch viel kulturspezifisches Wissen. Der Erhalt und die Auswertung der Aufnahmen trägt dazu bei, dieses Wissen im kulturellen Gedächtnis zu behalten. Die folgenden Überlegungen sollen einen Anstoß für ein Projekt zur wissenschaftlichen Erschließung dieser Sprachaufnahmen geben.
Für eine wissenschaftliche Auswertung reicht es nicht aus, die Aufnahmen lediglich zu konservieren und öffentlich zugänglich zu machen. Es müssen überdies Hilfsmittel zur Recherche be­reitgestellt werden, damit Sprachwissenschaftler, Historiker, Soziologen und Heimatkundler sie effizient als Quellenmaterial nutzen können. Rhetorisch gefragt: Wer kann in unserer rasant schnell gewordenen Wissensgesellschaft zig Stunden auf der Suche nach Informationen für das Abhören dieser Aufnahmen investieren? Es ist daher wichtig, die Aufnahmen nach verschiedenen Kriterien zu ordnen, so dass man die für das jeweilige Forschungsthema relevanten Se­quenzen fix finden kann. Neben der Angabe von Aufnahmeort und -jahr sollten die Auf­nahmen in verschiedene Kategorien eingeteilt und der Gesprächsinhalt durch Schlagworte charakterisiert werden. Weitere Informationen zur technischen, sprachlichen und inhaltlichen Qualität, kurze Inhaltsangaben oder gar eine Übersetzung ins Hochdeutsche würden eine noch bessere Suche ermöglichen.

Zunächst ist eine entsprechende technische Plattform zu schaffen. Sobald die Informationen dann elektronisch in Datenbanken gespeichert sind und die Aufnahmen im geeigneten Digital­format vorliegen, kann jeder Nutzer durch Wahl der gewünschten Kriterien und Eingabe von Stichwörtern den Datenbestand in Sekunden­schnelle durchsuchen, sich die passenden Auf­nahmen auflisten lassen und diese sofort anhören. Der Vorteil einer Online-Lösung ist, dass dies quasi von jedem Ort der Welt aus geschehen kann, an dem ein Computer mit Internetzugang steht. Da nicht alle Aufnahmen und Informa­tionen zur uneingeschränkten Veröffentlichung geeignet sind, sollte nur wer ein berechtigtes wissenschaftliches Interesse hat und sich zur Einhaltung der Zugangsregeln verpflichtet die Zugriffsdaten erhalten.

Die Plattform sollte so flexibel ausgelegt sein, dass später gegebenenfalls auch andere Tonauf­nahmen integriert werden können. Es gibt wahr­scheinlich noch weitere Sammlungen von (eventuell auch privat erstellten) Tonaufnahmen in siebenbürgisch-sächsischer Mundart. Auf diese Weise könnte eine umfassende Audiothek siebenbürgisch-sächsischer Mundarten entstehen, die diese Mundarten nicht nur akustisch bewahrt, sondern sie auch für die Forschung zugänglich macht. Vermutlich wird in fünfzig Jahren der Dialekt nur noch von relativ wenigen Menschen gesprochen werden, und selbst wenn eine nennenswerte Anzahl ihn noch aktiv verwenden würde, bleibt es nicht aus, dass sich der Dialekt phonetisch und lexikalisch sehr stark an das Hochdeutsche angleichen wird. Vor allem die verschiedenen charakteristischen Ortsmund­arten werden mit großer Wahrscheinlichkeit verschwinden. Erhalten bleiben wird allenfalls ein Mischdialekt. Umso bedeutsamer sind die Aufnahmen des Linguistikinstituts, da die Auf­nahmeleiter bestrebt waren, die Ortsmund­arten möglichst authentisch aufzunehmen, und sie so die charakteristischen Mundarten aus mehr als der Hälfte aller siebenbürgischen Ortschaften dokumentiert haben.

Wissenschaftliche Mitarbeit benötigt

Die technische Umsetzung der Plattform mit Einrichten der Datenbanken, Programmieren des Zugangssystems, Erfassen der Daten ist aufwendig und bedarf einer materiellen bzw. finanziellen Förderung. Wichtig wäre die Unterstüt­zung durch weitere Wissenschaftler mit Rat und Tat. So ist bei der Konzeption der Plattform zu berücksichtigen, welche Anforderungen Wissen­schaftler an die Aufbereitung, Organisation und Präsentation der Daten haben. Noch wichtiger ist es, bei der Katalogisierung der Aufnahmen zu helfen und die Begleitinformationen zu erarbeiten. Neben der Verschlagwortung wäre eine Übertragung ins Hochdeutsche oder zumindest kurze Inhaltsangaben sehr hilfreich. Beim gegenwärtigen Umfang von etwa 250 Stunden Ton­aufnahmen liegt es nahe, dass diese Aufgabe nur von mehreren Schultern getragen werden kann. Allerdings reicht angesichts der Komplexität der Materie Engagement allein nicht aus, manche Aufgaben bedürfen des Ein­arbei­tens, für andere sind philologische oder sprachwissenschaftliche Kenntnisse notwendig. Die phonetisch korrekte Transkription in Laut­schrift erfordert nicht nur die Kenntnis der phonetischen Lautschrift, sondern auch eine gewisse Übung und ein ge­schultes Ohr. Für sprachwissenschaftliche Zwecke wären Transkriptionen natürlich sehr wünschenswert. Ob sich dieser Wunsch für alle Auf­nahmen realisieren lässt, ist fraglich. Doch auch durch die Transkription einer kleineren Auswahl an Aufnahmen wäre schon viel gewonnen. Wer Interesse an einer Mitarbeit hat oder mit weiteren Anregungen oder Ratschlägen dienen kann, ist eingeladen, sich per E-Mail an die Adresse spracharchiv@­siebenbuerger.de zu wenden.

Durch den Einsatz von Computer und Internet ist es möglich, die Bearbeitung der Aufnahmen dezentral vorzunehmen. Die Mitarbeiter müssen nicht vor Ort sein, sondern können die Aufnahmen zu Hause via Computer anhören und die entsprechend erarbeiteten Informationen online übermitteln. Die Plattform soll deshalb um einen Bearbeitungs-Bereich erweitert werden, zu dem nur Mitarbeiter Zugang haben. Hier können sie sehen, welche Aufnahmen schon bearbeitet wurden, sie können selber Informationen übermitteln und sich mit anderen Bearbeitern austauschen. Das Nutzen moderner Kommunikations­mittel ist unerlässlich, da potentielle, mundartkundige Mitarbeiter heute in den verschiedensten Regionen der Welt wohnen.

Zusammenfassend sind folgende Schritte ge­plant: 1.) Festlegen der Kriterien, nach denen die Aufnahmen katalogisiert und bearbeitet werden sollen; 2.) Technische Realisierung der Plattform; 3.) Eingabe der Katalogisierung in die Datenban­ken und Bereitstellung der Aufnahmen; 4.) Schritt­weise Eingabe von weiteren Metadaten (Schlag­worte, Zusammenfassungen, Übersetzungen); 5.) Erstellen von Transkriptionen (zumindest für einzelne ausgewählte Aufnahmen).

In welchem Umfang und Zeitrahmen das Pro­jekt umgesetzt werden kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab – neben der materiellen För­derung ist vor allem auch das Mitwirken möglichst vieler fachkundiger Mitarbeiter von entscheidender Bedeutung. In der nächsten Zeit wird – auch mit Unterstützung des Siebenbür­gen-Instituts – nach wissenschaftlichen Institutio­nen gesucht, die in der Lage sind, einen Förder­antrag dieses Ausmaßes zu stellen und zu be­treuen. Zugleich ist geplant, eine Auswahl von Aufnahmen auch einem breiteren Publikum zu­gänglich zu machen. Wer sich für die siebenbürgisch-sächsische Mundart interessiert, wird bestimmt fasziniert sein von den frisch veröffentlichten Aufnahmen, darunter Berichte über die Nachbarschaft, Schilderung landwirtschaftlicher Tätigkeiten, Kindheits- und Lebenserinnerungen, Märchen, ein Hochzeitslied. Wer sich einen Ein­druck von den Sprachaufnahmen verschaffen will, kann ausgewählte Beispiele auf der Webseite www.siebenbuerger.de/medien/sprachaufnahmen/ anhören. Hier klingt das Potential der Aufnahmen an. Es wäre ein großer Verlust, diese authentischen Sprachdokumente im Archiv verstauben zu lassen.

Gunther Krauss, Christian Schoger

Schlagwörter: Mundart, Linguistik, Sprachaufnahmen, Internet, Siebenbuerger.de

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