18. August 2008
Kirchen- und Festtracht von Stolzenburg
Das trachtenmäßige Kleidungsverhalten der Siebenbürger Sachsen in den siebziger bis neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist bisher von der fachwissenschaftlichen Kleiderforschung nur marginal rezipiert worden, nicht zuletzt auch, weil es an übersichtlichen, geordneten Dokumentationen zu dem Thema fehlt. Der von Elisabeth Kanz und Otmar Rothbächer im Eigenverlag jetzt herausgegebene Bildband über die Kirchen- und Festtracht im siebenbürgischen Stolzenburg während der Zeit des rumänischen Nationalkommunismus bringt hier Abhilfe.
Der Besuch Nicolae Ceaușescus in China und Nordkorea im Jahr 1971, das Erlebnis kommunistischer Gesellschaftsgestaltung asiatischer Prägung waren Auslöser für eine im kommunistischen Rumänien von ganz oben initiierte „Kulturrevolution“, in deren Verlauf die kompromisslose Ideologisierung aller Bereiche des geistigen Lebens angestrebt wurde. Während man den rumänischen Nationalismus als politisches Rechtfertigungs- und Herrschaftsinstrument offiziell einsetzte, zielte das politische Gebot der nationalen „Homogenisierung“ seit den späten 70ern auf das Verdrängen der „mitwohnenden Nationalitäten“ aus dem öffentlichen Bewusstsein.
In der Folge aktivierte das Gefühl der Herabsetzung durch die Verdrängung aus der Geschichte bei vielen siebenbürgisch-sächsischen Dorfgemeinschaften die Mechanismen privater und gemeinschaftlicher Selbstversicherung.
Eine neue Wertschätzung des Traditionalen – Brauchtum, Feste, Tracht –, das in der Aufbruchstimmung der 60er Jahren, „als sich das junge Volk auf dem Dorf auskleidete“, an den Rand des Dorflebens gerückt zu sein schien, prägte auch in Stolzenburg, wie andernorts im Alten Land, das gesellschaftliche Leben bis spät in die 90er Jahre hinein. Anlässe boten sich zur Genüge: Im überliefertem Brauchgeschehen im Kreislauf des Jahres und des Lebens (Kirchgang, Nachbarschaftsfeier, Kronenfest, Erntedank, Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Begräbnis), bei Trachtenbällen, Theateraufführungen zu Kathrein und Maria, im Rahmen politisch gewollter Laienkunstbewegung (das Folklorefestival „Preis Dir, Rumänien“) legte Jung und Alt das überlieferte Festtagsgewand, das nunmehr als „sächsische Tracht“ verstandene Traditionskleid, an. Das Trachtenanlegen wurde zum identitätsstiftenden Ritual, es emotionalisierte und ließ vor allem die Jugend die Wichtigkeit dieser Geste erahnen. Es verwundert daher nicht, dass überwiegend diese Trachtensituationen auch fotografisch festgehalten, in den deutschsprachigen Printmedien vervielfältigt oder aber in private Fotoalben geklebt wurden, wo sie an Zahl und Bedeutung alle anderen Aufnahmen überbieten.
Der von Elisabeth Kanz und Otmar Rothbächer im Eigenverlag herausgegebene Bildband über die Kirchen- und Festtracht in Stolzenburg während der Zeit des rumänischen Nationalkommunismus hält grob die Zeitspanne zwischen 1970 und 1990 fest. Über 200 Aufnahmen, die der studierte Ingenieur und Hobbyfotograf Rothbächer in seiner Zeit als Lehrer im traditionsgeprägten Stolzenburg bei Festveranstaltungen – privaten wie öffentlichen – gemacht hat, geben Aufschluss nicht nur über eine der aufwändigsten Ortstrachten in Südsiebenbürgen, sondern auch über das überaus reiche Festgeschehen in der Gemeinde, zwei Jahrzehnte vor dem Exodus in den 90er Jahren.
Die Fotos werden ergänzt von einer akribischen Darstellung der zahlreichen, je nach Stand, Jahreszeit und Trageanlass variierenden Trachten, wobei die 1930 in Stolzenburg geborene, gelernte Schneiderin Elisabeth Kanz nicht nur die einzelnen Kleidungsstücke genau beschreibt (mundartliche Bezeichnung, Hinweise zu Material und Schnitttechnik), sondern mit dem internen Wissen einer Ortskundigen und aktiven Trachtenträgerin und -pflegerin auf die einzelnen Gewandkompositionen und die Tragesituation eingeht. Detailliert im Foto festgehalten und beschrieben, einer Gebrauchsanweisung gleichkommend, gestaltet sich z. B. das Kapitel über den Kopfschmuck der jungverheirateten Frau, das „Schlejern“/Schleier und „Heallen“/ [Um]hüllen. Wichtige Ereignisse im Leben der Dorfgemeinschaft – etwa die Präsentation von Pfarrer Walther Seidner am 5. September 1982 oder die Teilnahme der Schuljugend am Heltauer Kirschfest – finden in der Dokumentation ihren Platz, ebenso die Gegenüberstellung historischer und neuerer Trachten anhand von historischen und neuen Aufnahmen zur gleichen Tragesituation.
Mit einem Glossar zum bearbeiteten Trachtenmaterial schließt die gelungene Dokumentation. Gelungen auch, weil sich die Informationen genau auf das Erlebte und das zeitgenössische Wissen um die Tracht beschränkt. Zugleich aber ist diese beschriebene Trachtenszene in ihrem historischen Kontext fassbar, d. h. sie ist eingebettet ins Festgeschehen in einem siebenbürgischen Dorf während der Zeit des rumänischen Nationalkommunismus.
Die beiden Autoren sind sich bewusst, keine Trachtenforscher zu sein, so dass auf trachtenhistorische Interpretationen verzichtet wird. Die von Astrid Karin Thal professionell redigierte Publikation ist nicht mehr und nicht weniger als sie vom Titel her beansprucht: eine von Ortskundigen akribisch zusammengestellte Dokumentation in Wort und Bild zur „Kirchen- und Festtracht von Stolzenburg“.
Elisabeth Kanz, Otmar Rothbächer: Kirchen- und Festtracht von Stolzenburg/Siebenbürgen, Eigenverlag 2008, 138 Seiten, ISBN 978-3-00-0234386-8, 35,00 Euro (zuzüglich Versand), zu bestellen bei Otmar Rothbächer, Kohleisenstraße 5, 73540 Heubach, Telefon: (0 71 73) 85 79, E-Mail: otmar [ät] rothbaecher.net.
In der Folge aktivierte das Gefühl der Herabsetzung durch die Verdrängung aus der Geschichte bei vielen siebenbürgisch-sächsischen Dorfgemeinschaften die Mechanismen privater und gemeinschaftlicher Selbstversicherung.
Eine neue Wertschätzung des Traditionalen – Brauchtum, Feste, Tracht –, das in der Aufbruchstimmung der 60er Jahren, „als sich das junge Volk auf dem Dorf auskleidete“, an den Rand des Dorflebens gerückt zu sein schien, prägte auch in Stolzenburg, wie andernorts im Alten Land, das gesellschaftliche Leben bis spät in die 90er Jahre hinein. Anlässe boten sich zur Genüge: Im überliefertem Brauchgeschehen im Kreislauf des Jahres und des Lebens (Kirchgang, Nachbarschaftsfeier, Kronenfest, Erntedank, Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Begräbnis), bei Trachtenbällen, Theateraufführungen zu Kathrein und Maria, im Rahmen politisch gewollter Laienkunstbewegung (das Folklorefestival „Preis Dir, Rumänien“) legte Jung und Alt das überlieferte Festtagsgewand, das nunmehr als „sächsische Tracht“ verstandene Traditionskleid, an. Das Trachtenanlegen wurde zum identitätsstiftenden Ritual, es emotionalisierte und ließ vor allem die Jugend die Wichtigkeit dieser Geste erahnen. Es verwundert daher nicht, dass überwiegend diese Trachtensituationen auch fotografisch festgehalten, in den deutschsprachigen Printmedien vervielfältigt oder aber in private Fotoalben geklebt wurden, wo sie an Zahl und Bedeutung alle anderen Aufnahmen überbieten.
Der von Elisabeth Kanz und Otmar Rothbächer im Eigenverlag herausgegebene Bildband über die Kirchen- und Festtracht in Stolzenburg während der Zeit des rumänischen Nationalkommunismus hält grob die Zeitspanne zwischen 1970 und 1990 fest. Über 200 Aufnahmen, die der studierte Ingenieur und Hobbyfotograf Rothbächer in seiner Zeit als Lehrer im traditionsgeprägten Stolzenburg bei Festveranstaltungen – privaten wie öffentlichen – gemacht hat, geben Aufschluss nicht nur über eine der aufwändigsten Ortstrachten in Südsiebenbürgen, sondern auch über das überaus reiche Festgeschehen in der Gemeinde, zwei Jahrzehnte vor dem Exodus in den 90er Jahren.
Die Fotos werden ergänzt von einer akribischen Darstellung der zahlreichen, je nach Stand, Jahreszeit und Trageanlass variierenden Trachten, wobei die 1930 in Stolzenburg geborene, gelernte Schneiderin Elisabeth Kanz nicht nur die einzelnen Kleidungsstücke genau beschreibt (mundartliche Bezeichnung, Hinweise zu Material und Schnitttechnik), sondern mit dem internen Wissen einer Ortskundigen und aktiven Trachtenträgerin und -pflegerin auf die einzelnen Gewandkompositionen und die Tragesituation eingeht. Detailliert im Foto festgehalten und beschrieben, einer Gebrauchsanweisung gleichkommend, gestaltet sich z. B. das Kapitel über den Kopfschmuck der jungverheirateten Frau, das „Schlejern“/Schleier und „Heallen“/ [Um]hüllen. Wichtige Ereignisse im Leben der Dorfgemeinschaft – etwa die Präsentation von Pfarrer Walther Seidner am 5. September 1982 oder die Teilnahme der Schuljugend am Heltauer Kirschfest – finden in der Dokumentation ihren Platz, ebenso die Gegenüberstellung historischer und neuerer Trachten anhand von historischen und neuen Aufnahmen zur gleichen Tragesituation.
Mit einem Glossar zum bearbeiteten Trachtenmaterial schließt die gelungene Dokumentation. Gelungen auch, weil sich die Informationen genau auf das Erlebte und das zeitgenössische Wissen um die Tracht beschränkt. Zugleich aber ist diese beschriebene Trachtenszene in ihrem historischen Kontext fassbar, d. h. sie ist eingebettet ins Festgeschehen in einem siebenbürgischen Dorf während der Zeit des rumänischen Nationalkommunismus.
Die beiden Autoren sind sich bewusst, keine Trachtenforscher zu sein, so dass auf trachtenhistorische Interpretationen verzichtet wird. Die von Astrid Karin Thal professionell redigierte Publikation ist nicht mehr und nicht weniger als sie vom Titel her beansprucht: eine von Ortskundigen akribisch zusammengestellte Dokumentation in Wort und Bild zur „Kirchen- und Festtracht von Stolzenburg“.
Dr. Irmgard Sedler
Elisabeth Kanz, Otmar Rothbächer: Kirchen- und Festtracht von Stolzenburg/Siebenbürgen, Eigenverlag 2008, 138 Seiten, ISBN 978-3-00-0234386-8, 35,00 Euro (zuzüglich Versand), zu bestellen bei Otmar Rothbächer, Kohleisenstraße 5, 73540 Heubach, Telefon: (0 71 73) 85 79, E-Mail: otmar [ät] rothbaecher.net.
Schlagwörter: Rezension, Trachten, Fotografie
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