1. August 2009

Der Stellenwert des Regionalen, die Bedeutung der Minderheitenliteraturen

Im Rahmen des Germanistenkongresses, der im Mai 2009 in Klausenburg stattfand, legte die Sektion „Rumäniendeutsche Literatur“ ihr Augenmerk auf die Rumäniendeutsche Literatur (1948-1989) im kommunistischen Einparteienstaat. Der in der Siebenbürgischen Zeitung Online vom 19. Juni 2009 veröffentlichte Tagungsbericht wird um dieses Schwerpunktthema ergänzt.
Die kleine Welt der Region ist keine Kleinigkeit, die Äußerungsformen einer Minderheitenliteratur sind nichts Minderes als verdichtete Dokumente vom Dasein innerhalb sensibler Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden, die Beziehungen zur Außenwelt poetisch in ihrer Behutsamkeit. Der Minderheitenbegriff kann sicherlich mehr umfassen: Übersieht man nicht alltäglich die Erfahrung des eigenen Selbst als Minderheit in jedem Akt des Handelns und sich Äußerns, im Zustimmen, Erläutern und Widersprechen, im Bekunden der individuellen Freiheit? So tief verwurzelt im Menschlichen das Minderheitendasein ist, so aktuell und erkenntnisreich ist auch der Ausdruck von Minderheitenliteraturen. Jeder Text ist als persönliche Aussage zu sehen, jedoch immer wieder auf kollektive Erlebnishorizonte zurückgreifend, sich durch sie „versichernd“, auch sprachlich der unmittelbaren Realität verpflichtet, gleichzeitig auch auf der Suche nach Ausdrucksabenteuern jenseits der gewohnten Reichweite.

Die deutsche Minderheitenliteratur aus Rumänien dokumentiert schon lange Jahrzehnte das Leben und Überleben „kleiner Welten“, Auflösungsprozesse und Verstrickungen, das Hineingeraten in Untergangsszenarien fremder Bühnen in Krieg und Diktatur. Die Aktualität der Minderheitenliteratur angesichts dieser einschneidenden Ereignisse signalisiert auch das gewählte Rahmenthema der Sektion „Rumäniendeutsche Literatur“ im Rahmen des VIII. Kongresses der Germanisten Rumäniens (Mai 2009 in Klausenburg): „Zwanzig Jahre danach. Ein Rückblick: Rumäniendeutsche Literatur (1948-1989) im kommunistischen Einparteienstaat. Entstehungsgeschichtliche Rekonstruktion und rezeptionsästhetische Neudeutung“. Dr. Peter Motzan vom Institut für Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS), der diese Sektion traditionsgemäß betreute, diesmal in Zusammenarbeit mit dem Forschungs- und Exzellenzzentrum „Paul Celan“ des Instituts für Germanistik der Universität Bukarest, dem Stiftungslehrstuhl der Bundesrepublik Deutschland „Deutsche Literatur im südöstlichen Mitteleuropa“ an der „Babeș-Bolyai“-Universität Klausenburg und dem Klausenburger Lehrstuhl für Germanistik, setzte durch die Wahl dieses Themas die besonderen Existenzbedingungen des deutschen Literaturbetriebs im rumänischen Einparteienstaat ins Zentrum literaturwissenschaftlicher Betrachtung.

Davon legen auch die präsentierten Beiträge Zeugnis ab: Von der Wichtigkeit biographischer Hintergründe überzeugte Joachim Wittstock, der die Entstehungsbedingungen einiger Texte aus den 1950er Jahren auf den Hintergrund ständiger Bedrohung und Angst projizierte. Mariana Lăzărescu berichtete von der Möglichkeit wertgerechten Schreibens am Beispiel der Tätigkeit von Hans Bergel am „Kulturspiegel“ der Kronstädter Volkszeitung. Den Topos „Vergangenheitsbewältigung“ rückte Markus Fischer im Zusammenhang mit Erwin Wittstocks Deportationsroman „Januar ’45 oder die höhere Pflicht“ ins Zentrum der Diskussionen. Erstaunlicherweise setzten sich drei Vorträge mit den Techniken der poetischen Verkleidung im Umgang mit der Zensur am Beispiel der kryptischen Romane Georg Schergs auseinander, zwei weitere Themen kamen aus dem Umfeld der „Aktionsgruppe Banat“. Zur Rezeption der deutschen Schriftsteller aus Rumänien bei ihren ungarischen Kollegen trug Juliane Brandt am Beispiel der Zeitschrift „Igaz Szó“ vor, mit neuen Deutungsmöglichkeiten und Rätselfragen gestaltete Peter Motzan seine Richard-Wagner-Analyse. Auch in Beiträgen zu Alfred Margul-Sperber, Dieter Schlesak, Christian Maurer, Herta Müller, Balthasar Waitz und Roland Kirsch hatte die Textnähe Vorrang. Aus den verborgenen Kulissen der Literatur hingegen berichteten Horst Schuller zu den ungezeichneten Übersetzungen Hermine Pilder-Kleins und Stefan Sienerth, der den Briefwechsel zwischen Moses Rosenkranz und Paul Schuster ans Tageslicht brachte.

Die „kleine Literatur“ profitierte erneut von der unmittelbaren Nähe ihrer Autoren, denn einige waren sogar mit Vorträgen, eigenen Texten, Erfahrungs- und Wissenshorizonten zugegen: Hans Bergel, Ingmar Brantsch, Franz Hodjak, Carmen Elisabeth Puchianu, Joachim Wittstock. Brandneu sind auch die folgenden, im Rahmen des Germanistenkongresses präsentierten Bücher: „’… dass ich in der Welt zu Hause bin.‘ Hans Bergels Werk in sekundärliterarischem Querschnitt“ (Hg. George Guțu, Bukarest 2009) und die in den 1930er Jahren u.a. von Alfred Margul-Sperber zusammengestellte legendäre Sammlung: „Die Buche. Eine Anthologie deutschsprachiger Judendichtung aus der Bukowina“. Der Band wurde von George Guțu, Peter Motzan und Stefan Sienerth im IKGS-Verlag München und im Rimbaud-Verlag Aachen herausgegeben.

Olivia Spiridon

Schlagwörter: Germanistik, Südosteuropa, Klausenburg

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