17. August 2009

Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch im Kommunismus fortgeführt

Der Leipziger Germanist und Mediävist Dr. Helmut Protze hat an dem Siebenbürgisch-Sächsi­schen Wörterbuch an entscheidender Stelle mitgewirkt. Über die Jahrzehnte als parteiloser Wissenschaftler wirkend, dabei stets Siebenbürgen im Blick, heute mit über 250 eigenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen einschließlich neun Büchern, bringt Dr. Protze einige notwendige Ergänzungen zum Aufsatz „100 Jahre Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch“ von Heinrich Mantsch, veröffentlicht in der „Siebenbürgischen Zeitung“, Folge 19 vom 30. November 2008 und Folge 20 vom 15. Dezember 2008. Dem Sprachwissenschaftler geht es dabei um eine „allseitig gerechte Darstellungen eines so großen, schon von Leibniz geforderten Werkes eines tapferen, kleinen Volkes, dem seit 1956 meine ganze Zuneigung galt und gilt“.
Der schöne Beitrag des mir gut bekannten und geschätzten Heinrich Mantsch, mit dem ich oft in Bukarest und einmal in seinem Heimatort Meschen zusammen war, enthält eine grundlegende Unterlassung und ist deshalb in einigen wichtigen Punkten nicht präzise genug, nämlich, den Neubeginn 1956/1957 betreffend, als die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Ber­lin und die Rumänische Akademie der Wissen­schaften die Zusammenarbeit verankerten. Da­mals wie heute ist festzuhalten, dass es ohne das 1955 geschlossene Abkommen der beiden Aka­demien keine befriedigende Alternative gegeben hätte. Wer hätte damals an deren Stelle treten können, um repräsentativ und finanziell die Last der Weiterführung des Werkes zu übernehmen? Aufgrund der damaligen politischen Spaltung Europas wäre keine westdeutsche Institution seitens der Rumänischen Volksrepublik akzeptiert und keine innerrumänische finanziell in der Lage gewesen, solch hohe finanzielle Mittel jahrzehntelang zur Verfügung zu stellen. Man muss auch darauf hinweisen, dass Rumänien als einziges romanisches Land zum „Ostblock“ gehörte und interessiert daran war, mit der damaligen DDR, von der aus man über das bis zum 13. August 1961 leicht zu erreichende West­berlin mühelos mit allen anderen romanischen Ländern und weiteren frei verkehren konnte. Noch zur Jubiläumsfeier aus Anlass des 40-jährigen Bestehens des Hermannstädter Akademie­instituts im Oktober 1996, an der ich als Leipzi­ger Emeritus und Referent teilnehmen konnte, ist man daran erinnert worden, seit deren Grün­dung Weihnachten 1956 stets willkommener Gast in den Hermannstädter Sitzungen bis 1961 gewesen zu sein.

Um vorwegzunehmen: In dem erwähnten Rückblick auf 100 Jahre Siebenbürgisch-Sächsi­sches Wörterbuch wird zu wenig auf den Beitrag der deutschen Seite eingegangen und damit auf die in jener Aufbruchszeit prägenden und zu­gleich fördernden Persönlichkeiten wie Theodor Frings und Iorgu Iordan. Mehr dazu bei Helmut Protze: „Theodor Frings und Iorgu Iordan – zwei Förderer des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuches.“ In: Forschungen zur Volks- und Landeskunde 1/32 (1989), Seite 78-93.

Ende der fünfziger Jahre war eine Zeit berech­tigter Hoffnungen. Hinzuweisen ist auf den Opti­mismus großer Teile der siebenbürgisch-sächsischen Landbevölkerung, deren Bauern 1955/56 ihre Höfe vom Staat zurückerhalten hatten, Hoff­nungen aber auch der sächsischen Intelligenz, die ich insgesamt kennenlernte. In dieser Stim­mung bestand kein Zweifel daran, dass das wich­tige Werk zur Jahrhundertwende abgeschlossen sein werde. Allerdings kam es zu unerwarteten Rückschlägen und Verzögerungen. Der wesentliche Grund dazu liegt im einseitig politisch ge­prägten und diktierten Handeln nationalistisch-kommunistischer Kräfte in der damaligen Rumä­nischen Volksrepublik bzw. der Sozialistischen Republik Rumänien vor allem der sechziger bis achtziger Jahren, die den hoffnungsvollen Neu­anfang der Arbeiten ab 1956/57 und schließlich beinahe den Fortbestand des gemeinsamen Ab­kommens zwischen beiden Akademien in Frage gestellt haben.

Man muss sich die Situation vergegenwärtigen, die zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit der Deutschen Akademie mit der Rumänischen Akademie geführt und die 1956 bis 1959 gut funktioniert hat, dann aber aufgrund des Abrü­ckens der kommunistisch gelenkten rumänischen Seite von den gemeinsamen Vereinbarun­gen bald zu Enttäuschung und fast zum Abbruch deutscherseits geführt hat.

Zu erinnern ist an folgende Fakten: Während der Zusammenkunft wichtiger Persönlichkeiten im Juli 1956 in Leipzig und Berlin (aus Anlass des 70. Geburtstages des Sächsischen Akademie­präsidenten Theodor Frings), als auch ich als künftiger Vertreter deutscherseits am Sieben­bürgisch-Sächsischen Wörterbuch den rumänischen Wissenschaftlern: Vizepräsident Prof. Iorgu Iordan, Prof. Emil Petrovici, Prof. Tudor Vianu vorgestellt wurde, äußerte Prof. Frings dem künftigen Verantwortlichen rumänischerseits Prof. Petrovici gegenüber: „Warten Sie bitte mit der Anstellung neuer Mitarbeiter am Wörterbuch, bis Dr. Protze ab Oktober (1956) in Bukarest/Hermannstadt sein wird.“

Dr. Helmut Protze ...
Dr. Helmut Protze
Ich habe dann nach einer zweiwöchigen Dienstreise zu Prof. Dr. Karl Kurt Klein (Inns­bruck) Anfang August 1956 vom 4. Oktober 1956 bis 24. Januar 1957 in und Klausenburg und Bukarest organisatorisch gewirkt sowie wissenschaftliche Institute und in Siebenbürgen Land und Leute kennengelernt. Vor meiner Reise nach Innsbruck ließen Prof. Iordan und Prof. Petrovici Ende Juli 1956 Grüße an Prof. Klein ausrichten. Von Prof. Iordan sollte ich ihm zu­sätzlich bestellen, dass er (Iordan) sich für ein Ordinariat in Rumänien einsetzen würde, wenn er nach Rumänien zurückkehrte: Sie kannten sich gut aus gemeinsamen Jahren als Lehrende an der Universität Jassy (Iași). Mir wurde später, veranlasst von politisch geprägten rumänischen Instanzen, das Zusammensein mit Prof. K. K. Klein in Innsbruck und 1957 in Leipzig und Berlin zum maßgebenden Vorwurf erhoben, der in meiner STASI-Akte gut belegt ist: „Dr. Protze habe schädliche Verbindungen zum ka­pitalistischen Westen gepflegt“, ein unhaltbarer Vorwurf, der dann auch meine Einreise nach Rumänien zwischen 1962 und Juni 1970 verhindert hat und das verheißungsvoll begonnene Weiterarbeiten am Wörterbuch in Hermann­stadt, wogegen Präsident Frings, Vizepräsident Steinitz und Präsident Hartke (Berlin) in Gesprä­chen und im Briefwechsel mit dem Präsidenten der Rumänischen Akademie in den sechziger Jahren energisch, aber jahrelang erfolglos Stel­lung genommen haben. Gerade in den Jahren dieser meiner Abwesenheit von Hermannstadt konnten unter Leitung von Dr. Bernhard Cape­sius die Wörterbucharbeiten in die falsche Rich­tung treiben, da er unter dem Druck des kommunistischen Systems stand und „sich das Ver­trauen seiner Vorgesetzten durch immer größere Zugeständnisse und nicht selten auch durch öffentliche Loyalitätsbezeugungen gegenüber dem rumänischen kommunistischen Staat er­kaufen musste“, wie Prof. Dr. Stefan Sienerth nach Einsicht schriftlicher Quellen im Wörter­bucharchiv Hermannstadt feststellt (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Germanisti­sche Reihe, Band 1997, Seite 445). Statt zügigem Fertigstellen des Bandes G mit Umstellung der Artikel nach dem alphabetischen Prinzip gegenüber der Ausarbeitung nach Wortsippen, wie von Holzträger begonnen, und statt mit dem Druck zu beginnen, was von der deutschen Seite immer wieder gefordert worden war (vgl. Pro­tokolle der Sitzungen der Wörterbuchkom­mis­sion), „vergeudete man viel Zeit mit Ordnungs-, Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten“ und „erweiterte den Mundartbestand vor allem mit Beispielen aus dem neuen ‚sozialistischen Alltag‘“. (St. Sienerth ebd. S. 444, zitiert nach G. Richter, A. Thudt, Forschungen zur Volks- und Landeskunde 7 (1964), H. 1, S. 9).

Schließlich war in Hermannstadt während meiner Abwesenheit zwischen Mai 1959 und 1. September 1961 das neu bearbeitete Manuskript G von rund 1800 auf 450 Seiten willkürlich gekürzt worden, vor allem weil man fast alle sprachhistorisch relevanten Belege zur alten Sprache herausgenommen hatte. In der Sitzung der Wörterbuchkommisson Anfang September 1961 hatte ich als deren Mitglied mit drei gegen eine Stimme (Capesius) durchsetzen können, diese wichtigen Belege wieder einzusetzen. So­gleich flog ich nach Klausenburg zu Prof. Petro­vici und holte seine Zustimmung ein, worauf das wiederhergestellte Manuskript in Druck gehen konnte, was aber nicht geschah, da das G noch von anderen rumänischen politischen Instanzen „begutachtet“ wurde und der Druck des G-Ban­des dann erst 1970 erfolgen konnte. Noch der 92-jährige Iorgu Iordan hat bei meinem von ihm gewünschten Besuch in seinem Bukarester Haus 1980 diese Entwicklung bedauert!

In den sechziger Jahren kam es dann nur mittels Korrespondenz mit Leipzig und dem einmonatigen Besuch von Gisela Richter und Prof. Mihai Isbășescu im Sommer 1965 in Leipzig und Berlin zur eingeschränkten Zusammenarbeit. In guter Erinnerung bleibt mir der ernüchternde Auftritt von Dr. Fritz Holzträger, von dem „Verlautbarungen im Sinne der nationalsozialistischen Wissenschaftslehre vorliegen“ (St. Sienerth a. a. O. S. 443 über ihn aus den Jahren 1940/41), wie er sich auf der entscheidenden gemeinsamen Sitzung in der Akademie am 24. Oktober 1957 in Bukarest verhalten hat. Sein Groll war gegen die Forderung gerichtet, das Wörterbuchmaterial in von der Akademie gestellte Räume zu übergeben.

Ich war mir in meinem gesamten Auftreten in Rumänien und sonst stets bewusst, dass ich Vertreter der einen deutschen Kulturnation bin. Nun ist nach notwendigem Rückblick vor allem auf die kommunistisch geprägte Zeit in den fünf­ziger und sechziger Jahren und den ebenso diktierten und zeitlich lähmenden und druckverzögernden der siebziger und achtziger Jahre leider sehr viel Zeit vergangen und doch trotz mancher schwer zumutbarer Anpassung an übergeordnete Machtstrukturen auch im Zeichen der Zusammenarbeit mit der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig das Jahrhundert­werk im Auslaufen. Wie viele Jahre auf die Hun­dert noch draufgezählt werden müssen, wird die Zukunft lehren. Auf jeden Fall verdient Dr. Sigrid Haldenwang hohes Lob für ihren ungebrochen zielstrebigen Einsatz.

Dr. Helmut Protze

Schlagwörter: Sprachgeschichte, Wörterbuch, Germanistik, Mundart

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