13. August 2015

"Die Geschichte lehrt uns": Deutsch-Kreuz macht Schule in der Haferlandwoche

Deutsch-Kreuz – Rhythmisch klappern Pferdehufe über die staubige Schotterstraße. Ein vollbesetzter Wagen nach dem andern kurvt an pittoresk bemalten Häuserfassaden vorbei, hinauf zur alten Kirchenburg. Vorbei an mit Heuballen gesäumten Ständen, an schaulustigen Ausflüglern, an Sportlern im hautengen Radlerdress und ihren in der Wiese verstreuten Mountainbikes. Der sanfte Fahrtwind erfasst Sonnenhüte, wirbelt Haare auf. Ringsum klicken die Kameras. Die Kinder lachen mit der Sonne um die Wette und toben mit bemalten Gesichtern um die Festungsmauern. Die Tore zur Kirchenburg stehen weit offen.
Am 8. August 2015 gehört das einst deutsche Dorf im idyllischen Haferland uns allen. Nicht nur den extra für die Kulturwoche Haferland angereisten Siebenbürger Sachsen, sondern auch den Touristen, den Radlern, die sich für den von der Adept-Stiftung organisierten Transilvania Bike Trails Race eingefunden haben, den geladenen Gästen aus Deutschland und Rumänien – und natürlich den heutigen Dorfbewohnern. Traditionen und Moderne verschmelzen an diesem Tag zu einem.

Eine Synergie, die bewegt: Gemüter, aber auch konkrete Dinge. „Es tut sich etwas“, bemerkt der evangelische Bischof Reinhart Guib mit hoffnungsfroher Zuversicht. Hinter seinem gutmütig wirkenden Gesicht verbirgt er dennoch Sorge – um die Zukunft seiner Kirchenschäfchen, um die Zukunft der deutschen Minderheit in Rumänien, wie er in der Predigt gesteht. Aber auch Hoffnung, dass es weitergeht. Und, dass die Geschichte uns etwas lehrt – passend zum Motto der Veranstaltung, die mit einer von der Michael Schmidt Stiftung konzipierten Ausstellung über deutsche Schulen in Rumänien eröffnet wird: Feierlich durchschneiden vier Herren das blau-rote Band zum symbolischen Klassenzimmer in der Kirchenburg.
Die Predigt in der vollen evangelischen Kirche ...
Die Predigt in der vollen evangelischen Kirche Deutsch-Kreuz hielt Bischof Reinhart Guib. Fotos: George Dumitriu
Seite an Seite: der rumänische Bildungsminister Sorin Mihai Cîmpeanu, der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Hartmut Koschyk, als Schirmherr der Haferlandwoche, Bischof Guib, denn immerhin standen die sächsischen Schulen bis 1940 unter der Ägide der evangelischen Kirche, und Michael Schmidt als Gastgeber.

Wer das Schicksal der Siebenbürger Sachsen, aber auch die Art, wie sie es bewältigen, aufmerksam verfolgt, entdeckt in der Tat eine Lebenslektion: Wie ihr eiserner Zusammenhalt neue Brücken baut und Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und damit auch die Menschen über vielerlei Grenzen hinweg erneut heilsam vereint.

Gemeinsamer Einsatz zum Erhalt des deutschen Schulwesens

Mittlerweile zum dritten Mal – und damit schon Tradition, wie fast alle Festredner bemerken – soll die Haferlandwoche das traditionelle Kulturgut aktiv in Erinnerung rufen und gleichzeitig die Organisationen in der Region vernetzen: die Michael Schmidt Stiftung und Peter Maffays Tabaluga Stiftung, die in Deutsch-Kreuz und Radeln aktiv sind, den Mihai Eminescu Trust in Deutsch-Weißkirch und die Adept-Stiftung in Keisd.
Eröffnung der Schulausstellung in Deutsch-Kreuz, ...
Eröffnung der Schulausstellung in Deutsch-Kreuz, von links: Bildungsminister Sorin Mihai Cîmpeanu, Aussiedlerbeauftragter Hartmut Koschyk, Bischof Reinhart Guib und Gastgeber Michael Schmidt.
Als Gäste aus Deutschland sind die Bundestagsabgeordneten Dr. Bernd Fabritius, auch Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, und Hartmut Koschyk, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, angereist. Stark vertreten ist die deutsche Botschaft mit Botschafter Werner Hans Lauk und den Konsuln aus Hermannstadt und Temeswar, Judith Urban bzw. Rolf Maruhn. Von rumänischer Seite übermittelt Präsidialberater Dan Mihalache persönliche Grußworte von Staatspräsident Johannis. Neben Unterrichtsminister Cîmpeanu ist auch seine Vor-Vorgängerin, Ecaterina Andronescu, erschienen. Weitere Redner sind die Begründer der Haferlandwoche, Michael Schmidt und Peter Maffay, sowie der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, Dr. Paul-Jürgen Porr.

In seiner Ansprache lobt Hartmut Koschyk die Haferlandwoche als „Zeichen für die Lebendigkeit der deutschen Gemeinschaft in Rumänien“. Die Veranstaltungen dieser Kulturwoche hätten bereits zahlreiche inspirierende Begegnungen mit sich gebracht, so dass die Bedeutung als Plattform zur Verständigung beider Gruppen kaum zu unterschätzen sei. Das im wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Bereich spürbare freundschaftliche Verhältnis suche in Europa seinesgleichen, so Koschyk. Konkret nennt er die Hilfen für die deutsche Minderheit in Rumänien, die das Bundesinnenministerium jährlich mit nahezu zwei Millionen Euro fördert. Und präzisiert: „Zusammen mit Rückflussmitteln aus Darlehen zur Wirtschaftsförderung, die von den in Rumänien ansässigen Stiftungen erwirtschaftet werden, ergibt sich sogar ein Betrag in Höhe vom ca. 3,2 Millionen Euro. Der rumänische Staat stellt zudem Mittel in Höhe von über 1,6 Millionen Euro [für die deutsche Minderheit – Anm. der Redaktion] zur Verfügung.“

Die Förderungen kommen vier Kerngebieten zugute, die im sozial-humanitären, wirtschaftlichen, gemeinschaftsfördernden und im Bereich der Bildung liegen. Schwerpunkt hierbei sei die Erhaltung der deutschen Sprache im Bildungswesen. Jährlich werden für sprachliche und kulturelle Projekte seitens des Auswärtigen Amtes rund 389.000 Euro zur Verfügung gestellt, hinzu kommt die im letzten Jahr gewährte Unterstützung von 750.000 Euro speziell für die Bezahlung der Lehrer in deutschsprachigen Schulen, um deren Abwanderung in die Wirtschaft zu verhindern, betont Koschyk. „Wir wissen in Deutschland um den Schatz des deutschsprachigen Bildungswesens“ – der deutsche Bundestag habe bisher noch keiner anderen deutschen Minderheit eine solche spezielle Unterstützung gewährt. Der Aussiedlerbeauftragte versichert, persönlich gemeinsam mit Bernd Fabritius, Außenminister Steinmeier, Botschafter Lauk und den beiden deutschen Konsuln auch in Zukunft dafür zu kämpfen. Als vorbildlich lobt er die Öffnung des deutschsprachigen Schulwesens in Rumänien für Angehörige anderer Nationalitäten.
Deutsch-Kreuz macht Schule in der Haferlandwoche, ...
Deutsch-Kreuz macht Schule in der Haferlandwoche, von links: Forumsvorsitzender Dr. Paul-Jürgen Porr, Bundesvorsitzender Dr. Bernd Fabritius, Namin Lauk, Botschafter Werner Hans Lauk, Veronica Schmidt, Michael Schmidt, Bischof Reinhart Guib, Konsulin Judith Urban, Aussiedlerbeauftragter Hartmut Koschyk.
Der rumänische Bildungsminister Cîmpeanu sagt in seiner Rede zu, dem Beispiel des Bundestages folgen zu wollen, der mit der Förderung des muttersprachlichen Unterrichts in Rumänien ein deutliches Zeichen gesetzt habe. Der rumänische Staat strebe eine Verdoppelung dieser Summe an – eine Aussage, die Dr. Bernd Fabritius in der anschließenden Rede dankend und explizit wiederholt, „damit sie nicht in Vergessenheit gerate“.

Geschichte der deutschen Schule

Wer mit der speziellen Rolle von Deutsch-Kreuz in der Entstehungsgeschichte des sächsischen Schulwesens bisher nicht vertraut ist, erfährt, dass hier 1593 die erste rurale Schulordnung entstanden war (das Dokument ist noch erhalten!), die alsbald von den Dorfschulen in ganz Siebenbürgen übernommen wurde. Bis zu seiner Enteignung 1940 unterstand das Schulwesen der Siebenbürger Sachsen der evangelischen Kirche. Die Ausstellung klärt in bebilderten Tafeln über Geschichte und Gegenwart des Schulwesens auf: die Beziehung zwischen Kirche und Schule; kirchliche Schulgebäude; deutsche Kindergärten und Schulen; deutschsprachige Hochsschulstudiengänge; die evangelische Akademie und das protestantische theologische Institut; Historisches, Aktuelles und ein Ausblick.

Im Anschluss läutet für alle Beteiligten die Schulglocke: Ein simulierter Deutsch-Unterricht, der aus Gründen der allgemeinen Verständlichkeit bald ins Rumänische übergeht, lädt in ein Klassenzimmer aus Großväters Zeiten ein – mit Schiefertafel, Griffel und Schwamm statt Tablets und interaktiven Lehrmitteln.

Vielfältiger kultureller Rahmen

Vielseitiger musikalischer Ohrenschmaus macht der Kulturwoche alle Ehre: Klaus Dieter Untch an der Kirchenorgel, gefolgt von der Bläsergruppe Burzenland, ein Orgelkonzert unter der Regie von Dr. Steffen Schlandt, begleitet vom Quartett Brassovia. Bewegend ist der Moment, als Schlandt von der Empore der 2013 von der Michael Schmidt Stiftung restaurierten Orgel zum Publikum spricht – und so manchem plötzlich ins Bewusstsein tritt: Genau an dieser Stelle hat er vor vier Jahren flammend für den Erhalt dieses Instruments plädiert! Den musikalischen Abschluss in der Kirche bildete ein Gitarrenkonzert von Duo Kitharsis.

Für den Augenschmaus sorgen Trachten und Tanz, der am Abend mit dem sächsischen Ball, eingeleitet von der Tanzgruppe Korona, seinen Höhepunkt findet.

Wer sich am Nachmittag vom festlichen Treiben in der Kirchenburg losreißen kann, um einen Dorfspaziergang zu unternehmen, kann sich an der Vielfalt der Aktivitäten im Dorf erfreuen oder der spektakulären Siegerehrung des Radrennens beiwohnen, die mit mehreren Sektduschen endet. Deutsch-Kreuz macht nicht nur Schule, sondern auch Lust zum Feiern!

Nina May

Schlagwörter: Kulturwoche Haferland, Deutsch-Kreuz

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  • 13.08.2015, 10:17 Uhr von PePa: Auf dem Bild Nr.3 fehlt der Name der Dame zwischen Hans Lauk und Michael Schmidt, es handelt sich ... [weiter]

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