1. März 2017

Das Bild des anderen: Was die Rumänen über die Siebenbürger Sachsen denken

Was dachten die Rumänen in Siebenbürgen über ihre sächsischen Nachbarn? Wofür wurden sie anerkannt, bestaunt, belächelt oder gar zum Vorbild erkoren? Es ist ein eigenwilliger Ansatz, ein Volk durch den Blickwinkel eines anderen zu beschreiben. Ethnische Imagologie nennt sich die Wissenschaft, bei der sich individuelle und kollektive Vorstellungen über „die anderen” zu einem schlüssigen Bild zusammenfügen sollen. Auf über 50 Reisen durch drei Landkreise – Hermannstadt, Alba und Hunedoara – hatte der Historiker Dr. Cosmin Budeancă seit 1997 über 350 Rumänen zu ihrer Sicht auf verschiedenste Aspekte der sächsischen Gemeinschaft befragt.
122 Interviews wurden in das Buch „Imaginea Etnicilor Germani la Românii din Transilvania după 1918” („Das Bild der Siebenbürger Sachsen bei den Rumänen nach 1918”) aufgenommen, das 2016 im Verlag Cetatea de Scaun erschien. Trotz der wissenschaftlichen Herangehensweise stellt es sich als zugängliches, spannendes, unterhaltsames Werk dar, das ein Gefühl für die Menschen – Beobachter wie Beobachtete –, ihren Lebensraum und ihre Zeit vermittelt.

Von Aspekten des Alltagslebens - Arbeit, Gesellschaft, Kirche, Schule, Heirat, Bräuche, Familie, Speisen - reicht das Repertoire bis hin zu Eigenschaften und Stereotypen: die Einstellung zur Arbeit, zum Essen, zur Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und Strebsamkeit, Gastfreundschaft und Geiz. Ein Zeitzeuge beobachtete: Stark ausgeprägt war ihr Sinn für Eigentum, den Boden sowie Gebrauchsgegenstände gleichermaßen betreffend. Sie hielten ihre Dinge in Ordnung und passten auf sie gut auf. Lieh man sich etwas aus, musste man besonders achtgeben, es nicht schmutzig zu machen oder zu beschädigen.
Buchvorstellung im Kulturhaus „Friedrich ...
Buchvorstellung im Kulturhaus „Friedrich Schiller“ mit Dr. Cosmin Budeancă (links), Dr. Laura Gheorghiu (2. v. li) und Aurora Fabritius (rechts). Foto: George Dumitriu
Auch Tabuthemen kommen aufs Tablett: arrangierte Heiraten, um den Grundbesitz nicht teilen zu müssen; die Ablehnung ethnisch oder religiös gemischter Ehen, und wie letztere nach 1945 zu bröckeln begann, nachdem Ehen mit Rumänen junge Sächsinnen vor der Deportation retten sollten. Bewegend sind weitere Erinnerungen aus dieser Zeit: Ein sächsischer Meister bat seinen rumänischen Lehrling, seine Kinder zu adoptieren. Nach dem Verbrennen kompromittierender Dokumente, die Verbindungen eines Sachsen zur SS aufzeigten, gelobten auch Rumänen Stillschweigen. An die Rolle mittelloser Opportunisten bei der Erstellung der Deportationslisten erinnerten sich einige: „Sie verkauften dich (jemanden) für eine Flasche Schnaps” / „Sie waren arm und dachten, sie könnten so an ihr (der Sachsen) Hab und Gut kommen“ / „Die haben sich in die Partei eingeschrieben, die Heruntergekommensten im Dorf“. Im Großen und Ganzen herrschten jedoch unter Rumänen Solidarität und Mitgefühl vor. Erzählt werden Fälle, in denen Sachsen unter Gefahr für Leib und Leben versteckt und auf diese Weise gerettet wurden.

Neben Aussagen zu großen Fragen der Zeitgeschichte – Deportation, Bodenreform, Kommunismus, kollektive Auswanderung - besticht das Buch durch eine Fülle an Details, die durch den Erzählcharakter erhalten bleiben. Sie fielen nicht durch den Rost effizienter Kürzung, um den O-Ton zu bewahren. Auch widersprüchliche Aussagen kommen vor und verdeutlichen eine gewisse Meinungsbreite. So fügen sich die Fragmente zu einem Bild zusammen, das zwar nicht authentischer ist als das durch herkömmliche Geschichtsschreibung vermittelte, doch jedenfalls facettenreicher. Am Ende resümiert das Kapitel „Was die Rumänen von den Sachsen gelernt haben” die Folgen jahrhundertelanger Kohabitation: Nachbarschaftshilfe, die Organisation des eigenen Hofs und die Pflege der Gebrauchsgegenstände („a fi gospodar”), das Worthalten („vorba e vorba”) oder auch Mahlzeiten zu fester Uhrzeit. Bei der Buchvorstellung im Kulturhaus „Friedrich Schiller“ in Bukarest betonte die Historikerin Dr. Laura Gheorghiu: Die Beziehungen zwischen den Deutschen in Siebenbürgen und der rumänischen Mehrheit seien auch in schwierigen Zeiten meist gut gewesen, ganz anders als in anderen Ländern Südosteuropas.

Nina May

Cosmin Budeancă: „Imaginea Etnicilor Germani la Români din Transilvania după 1918”, Editura Cetatea de Scaun, ISBN 978-606-537-347-1

Schlagwörter: Studie, Siebenbürger Sachsen, Buchvorstellung

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