13. Februar 2019

Der "Geist von Mediasch" – Brückenschlag zwischen den Ethnien in Rumänien

Am 8. Januar 1919 versammelten sich 138 Vertreter der Siebenbürger Sachsen in der Aula des Mediascher Gymnasiums und berieten über die Haltung, die die sächsische Gemeinschaft gegenüber dem gerade entstandenen Großrumänien einnehmen sollte. Nach der rumänischen Nationalversammlung in Karlsburg (Alba Iulia) am 1. Dezember 1918 hatte König Ferdinand mit dem Dekret-Gesetz vom 11./24. Dezember 1918 die Vereinigung Siebenbürgens mit dem „Altreich“ noch vor Beginn der Friedensverhandlungen in Paris faktisch vollzogen. Von den anderen Ethnien im Lande wurde erwartet, dass sie ihre (zustimmende) Haltung zum neuen Staat erklärten.
Acht Stunden lang tagte diese „Sächsische Nationalversammlung“ in Mediasch, ehe sie den Beschluss zum Beitritt fasste und eine Erklärung „An unser Volk“ verabschiedete, die sich natürlich auch an das rumänische Volk richtete und alsbald auch dem König überreicht werden sollte. Darin „spricht das sächsische Volk, indem es sich auf den Boden des Selbstbestimmungsrechtes der Völker stellt, seinen Anschluss an das Königreich Rumänien aus und entbietet dem rumänischen Volke seine brüderlichen Grüße und herzlichen Glückwünsche zur Erfüllung seiner nationalen Ideale“. Einen Bogen schlagend zu den Versprechungen, die den Minderheiten auf der Karlsburger Nationalversammlung gemacht wurden, verband die Erklärung die Hoffnung, dass es dem sächsischen Volk „niemals unmöglich gemacht werde, sich als eine ihres Volkstums bewusste nationale und politische Einheit in aller Zukunft zu behaupten und zu entwickeln“. Bekanntlich erfüllten sich die in der Mediascher Erklärung zum Ausdruck gebrachten Hoffnungen nicht, was ein wesentlicher Grund für die bald danach einsetzenden Radikalisierung auch der sächsischen Gemeinschaft war. So geriet die Mediascher Erklärung selbst bei den Sachsen bald in Vergessenheit und auch die Kommunisten hatten keinerlei Grund, ihrer zu gedenken.
Aufmerksame Zuhörer in der Aula des Stephan ...
Aufmerksame Zuhörer in der Aula des Stephan-Ludwig-Roth Lyzeums in Mediasch, v.l.n.r. Daniel Seiberling, Regionalleiter der Hanns-Seidel-Stiftung, Cord Meier-Klodt, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Bukarest, Reinhart Guib, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, Dr. Paul Jürgen Porr, DFDR-Vorsitzender, Gheorghe Roman, Bürgermeister von Mediasch, Generalschulinspektor Novac Emilian-Marius, Christine Manta-Klemens, stellvertretende Vorsitzende des Kreisrats Hermannstadt, Ovidiu Ganț, Abgeordneter der deutschen Minderheit im rumänischen Parlament, Christine Thellmann, stellvertretende Bürgermeisterin von Mediasch, Elena-Teodora Ion, Direktorin des Lyzeums, und der Mediascher Historiker und Professor am Lyzeum Helmuth Julius Knall. Foto: Cristina-Maria Hentea
Die hundertste Wiederkehr dieses Ereignisses bot einen willkommenen Anlass, daran zu erinnern. Am 19. Januar 2019 lud das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien gemeinsam mit der Hanns-Seidel-Stiftung und dem Mediascher Stephan-Ludwig-Roth-Gymnasium zu einer wissenschaftlichen Tagung ein. An geschichtsträchtigem Ort kam mit 122 Teilnehmern in der bis zum letzten Platz gefüllten Aula fast die gleiche Zahl von Menschen zusammen wie vor einhundert Jahren. DFDR-Vorsitzender Dr. Paul Jürgen Porr, der Regionalleiter der Hanns-Seidel-Stiftung Daniel Seiberling und die Direktorin des Lyzeums Elena-Teodora Ion konnten außer den Referenten zahlreiche prominente Gäste begrüßen, allen voran Bischof Reinhart Guib, den Botschafter Deutschlands in Bukarest, Cord Meier-Klodt, den Mediascher Bürgermeister Gheorghe Roman, den Abgeordneten der deutschen Minderheit im rumänischen Parlament Ovidiu Ganț und Alfred Göckeler, Vorsitzender der Heimatgemeinschaft Mediasch.

Moderiert von der Journalistin und Historikerin Hannelore Baier, entwarfen fünf Referenten in ihren Vorträgen ein vielschichtiges Bild der Zeitumstände und erläuterten die Bedeutung jenes Ereignisses für die politische Entwicklung der Folgezeit. Wie wichtig die Mediascher Erklärung für die Rumänen Anfang 1919 war, machte Dr. Paul Jürgen Porr deutlich: Der Beitritt der Sachsen zu Großrumänien bei den Friedensverhandlungen in Paris sei so etwas wie ein Zünglein an der Waage für die Zustimmung der großen Siegermächte zur Vereinigung Rumäniens gewesen.

Dass man sich aber im Januar 2019 nicht damit begnügen kann und darf, die Nationalversammlung in Mediasch und ihre Erklärung rein aus einer historischen Perspektive heraus zu betrachten, betonte Botschafter Cord Meier-Klodt, der auf die immer wieder neu aufflackernden diffamierenden Äußerungen bestimmter politischer Kreise gegenüber der deutschen Minderheit in Rumänien zu sprechen kam. Diesen Verunglimpfungen stehe das entgegen, was der Akt vom 9. Januar 1919 „im Kern der Sache wirklich war: Die klare Loyalitätsbekundung der deutschen Minderheit zum neuen Staat – im Vertrauen auf die ihr bei dieser Gelegenheit zugesicherten Rechte… Diesen fairen Pakt aus Geben und Nehmen, dieses Zeichen der gegenseitigen Solidarität, also in zwei Richtungen, … möchte ich den ‚Geist von Mediasch“ in der Geschichte Rumäniens nennen.“

Die Reihe der Vorträge eröffnete der Mediascher Historiker Helmuth Knall, der einige bedeutende Mediascher vorstellte, die als Delegierte an der Versammlung teilnahmen, allen voran den bekannten Politiker Dr. Rudolf Brandsch, der als einer der maßgeblichen Verfasser der Erklärung gilt, die am 8. Januar 1919 verabschiedet wurde. Der Nachwuchshistoriker Alexandru Nicolaescu betrat in gewissem Umfang Neuland mit seinem Versuch, das Bild der Rumänen über die Sachsen in der Zeit des Ersten Weltkriegs im Spiegel der zeitgenössischen rumänischen Presse nachzuzeichnen. Dr. Konrad Gündisch ließ die komplexen Ereignisse rund um die Karlsburger und die Mediascher Nationalversammlungen im Zeitraffertempo vor dem geistigen Auge der Zuhörer Revue passieren. Er wies auf ein wichtiges Detail hin, das unter anderem erklärt, warum die Mediascher Versammlung so bald nach jener in Karlsburg stattfand: Die Vertreter der Siebenbürger Rumänen machten ihre Bereitschaft, mit den Sachsen über deren Minderheitenrechte zu verhandeln, davon abhängig, dass diese sich noch vor Beginn der Pariser Friedensverträge zu erklären hätten. Im Verhandlungsprotokoll vom 8. Januar ist daher auch festgehalten worden: „Wir haben nichts zu erwarten, wir müssen uns entscheiden. Mit jedem Tag, den wir warten, werden unsere Beziehungen zu den Rumänen schlechter.“

Wie ganz anders die innere Verfassung der Banater Schwaben am Anfang des 20. Jahrhunderts war und wie schwierig sich der Prozess der Meinungsbildung im Banat gestaltete, das zudem durch die Friedenverträge zwischen Rumänien, Serbien und Ungarn aufgeteilt wurde, verdeutlichte Dr. Rudolf Gräf, frisch gekürter Direktor des Forschungsinstituts für Geisteswissenschaften in Hermannstadt, in seinem Vortrag.

Dr. Vasile Ciobanu, unter den rumänischen Historikern vermutlich der profundeste Kenner der neueren sächsischen Geschichte, setzte sich in seinem Referat mit der Bedeutung und dem Echo der Mediascher Beitrittserklärung auseinander, deren Verabschiedung er als „den wichtigsten politischen Moment in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen“ bezeichnete. Die in Mediasch tagende Nationalversammlung markiere, so Ciobanu, das Ende einer Epoche und den Beginn einer neuen.
Vortragende und Organisatoren in der Aula des ...
Vortragende und Organisatoren in der Aula des Stephan-Ludwig-Roth Lyzeums in Mediasch, jeweils von links, vordere Reihe: Daniela Stanciu, Rudolf Gräf, Thomas Șindilariu, Vasile Ciobanu, Ruxandra Hurezean, Elena-Teodora Ion, Paul Jürgen Porr, Ovidiu Ganț; hintere Reihe: Konrad Gündisch, Alexandru Nicolaescu, Daniel Seiberling und Helmuth Julius Knall. Foto: Beatrice Ungar (HZ)
Was es mit dieser neuen Epoche auf sich hatte und hat, darüber referierte der Kronstädter Historiker Dr. Thomas Șindilariu in bekannt pointierter Weise. In letzter Konsequenz wurde keine der Versprechungen der Karlsburger Nationalversammlung eingelöst, wodurch sich bei den Siebenbürger Sachsen eine tiefe Enttäuschung breit machte. Die Verschlechterung der materiellen Lage, insbesondere die weitgehende Enteignung des Nationalvermögens hatte schon bald eine Hinwendung zu den Ideen des deutschen Nationalsozialismus zur Folge. Die zunehmend von Misstrauen und Spannungen gekennzeichneten Beziehungen zwischen Staatsvolk und der deutschen Minderheit lieferten den kommunistischen Machthabern nach 1944 ausreichend Vorwände für eine massive Diskriminierung der Deutschen, deren über Jahrhunderte erprobter Wille zum Durchhalten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schließlich zerbrach.

Auf die Darstellung des weitgehenden Scheiterns der Mediascher Nationalversammlung folgten noch zwei kurze Beiträge, die Anlass dazu boten, dennoch optimistisch nach vorne zu blicken. Bei der Vorstellung des Buches „Loyalitätswechsel und institutioneller Neuanfang – Die regionalen deutschen Minderheiten in Rumänien 1918-1928“, das er zusammen mit Daniela Stanciu herausgebracht hat, rief Rudolf Gräf dazu auf, die rückwärtsgewandte Fragerei, wer denn zuerst da gewesen sei und meine, daraus ältere Ansprüche ableiten zu können, endlich aufzugeben. Stattdessen gelte es, ein neues Miteinander der Ethnien in Rumänien zu gestalten. Das „Schlusswort“ der Tagung kam der Journalistin Ruxandra Hurezean zu, die das von der Michael-Schmidt-Stiftung geförderte Projekt „Die Deutschen. 100 Schicksale im rumänischen Jahrhundert“ (zu sehen unter https://www.facebook.com/Fundatia MichaelSchmidt) vorstellte. Indem sie das Auditorium stellvertretend für alle Deutschen aus Rumänien ansprach, unabhängig davon, wo sie heute leben, sagte sie: „Das rumänische Volk dankt der deutschen Minderheit für ihre Loyalität, Treue und Unterstützung, vor allem während der Vereinigung im Jahre 1918. Wie sehr wir unsere deutschen Freunde schätzen, haben Meinungsumfragen erst kürzlich wieder offenbart, in denen 89% der Befragten die Deutschen als gute oder sehr gute Freunde bezeichneten. Die kleine Geschichte einer guten Nachbarschaft, die uns unmittelbar verbindet, steht im Widerspruch zu der großen Geschichte, in der die Wahrheit manchmal verschleiert oder verbogen wird. Wir sehen die Dörfer, die Städte, die Schulen, die Krankenhäuser und die Kirchen, die die Sachsen und die Schwaben in unserem Land errichtet haben. Wir sehen den Lebensstil, den Fleiß und die Ernsthaftigkeit dieser Menschen und wir lernen von ihnen. … Wir können nicht darauf hoffen, dass die Sachsen in großer Zahl nach Rumänien zurückkehren, aber wir freuen uns, sagen zu können, dass nicht alle weggegangen sind und dass manche zurückkehren. Deren Beispiel zählt! Sie schaffen es, den Motor einer lokalen Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und Leben in eine noch so kleine Gemeinschaft zu bringen. Ich glaube daran, dass Minderheiten dazu in der Lage sind, Veränderungen anzustoßen. Sie bringen uns das ‚Anderssein‘, das wir so dringend brauchen.“ Oder, um an das von Botschafter Cord Meier-Klodt Gesagte anzuknüpfen: Möge der „Geist von Mediasch“ auf- und weiterleben.

Nicht unerwähnt sollen einige lokale Beiträge bleiben, die das Symposium bereicherten: Der Liedvortrag des Mediascher Männeroktetts, die beiden philatelistischen Ausstellungen zum Thema der Vereinigung von 1918 von Dipl.-Ing Liviu Pintican-Juga und Lucian Romeo Stoia sowie die beiden philatelistischen Gedenkbriefumschläge, für die auch Liviu Pintican-Juga verantwortlich zeichnete.

Hansotto Drotloff

Schlagwörter: Geschichte, Zeitgeschichte, Rumänien, Siebenbürger Sachsen, Mediasch, Jubiläum, deutsche Minderheit

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