22. September 2022

32. Sachsentreffen in Meschen: In krisenvollen Zeiten sich „zu Rat und Tat die Hände reichen“

Es ist das 32. Sachsentreffen seit der Wende – aber das erste in Meschen. Warum wurde ausgerechnet das kleine Dorf im Kreis Hermannstadt auserkoren? Hier wirkte Stephan Ludwig Roth ab 1847 als Pfarrer – neben Samuel von Brukenthal eine der bedeutendsten siebenbürgischen Persönlichkeiten. In Meschen wurde er im Zuge der Revolution von 1848-49 verhaftet und kurz danach, am 11. Mai 1849, in Klausenburg hingerichtet. Auf Schritt und Tritt erinnern an ihn Gedenktafeln und Büsten: in der Kirche, vor dem Pfarrhaus auf dem Hügel hinter der Kirchenburg, auch die benachbarte Schule trägt seinen Namen. Und natürlich stammt auch das Motto des diesjährigen Sachsentreffens von Roth: „Zu Rat und Tat die Hände reichen“.
Bischof Reinhart Guib hielt die Predigt beim 32. ...
Bischof Reinhart Guib hielt die Predigt beim 32. Sachsentreffen in der voll besetzten evangelischen Kirche in Meschen. Fotos: George Dumitriu
Meschen wurde aber auch gewählt, weil man nach Großau als Veranstaltungsort im letzten Jahr die Tradition fortsetzen wollte, das Sachsentreffen in die Dörfer zu bringen. Aber auch die Tatsache, dass die Kirchenburg gut erhalten ist, zählte. Das Treffen wurde am 16. und 17. September vom Demokratischen Forum der Deutschen in Siebenbürgen (DFDS), der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien und der Nachbarschaft Meschen aus Deutschland organisiert.

Goldene Ehrennadel für Udo Puschnig

Der Freitag begann mit einem Festakt: Die Goldene Ehrennadel, die höchste Auszeichnung des DFDR, wurde an einen langjährigen Förderer des Sachsentreffens und anderer Projekte der deutschen Minderheit, Mag. Udo Puschnig aus Klagenfurt, verliehen – auf einstimmigen Beschluss, so DFDR-Vorsitzender Dr. Paul Jürgen Porr. Die Laudatio hielt Benjamin Jozsa, der sich lebhaft an sein erstes Zusammentreffen mit Puschnig erinnerte, der spontan auf eine lange Reihe von gelungenen Förderprojekten durch das österreichische Bundesland Kärtnen einging. Puschnig ist zurzeit ­Unterabteilungsleiter im Bereich Volksgruppen, Menschenrechte und regionale Kooperation in der Landesamtsdirektion der Kärntner Landesregierung. Zu seinem Arbeitsbereich ­gehört auch die regelmäßige Veranstaltung des „Europäischen Volksgruppenkongresses“ und dem daraus resultierenden Tagungsband „Kärntner Dokumentation“, die sich seit Jahrzehnten grundlegenden Fragen der Minderheitenarbeit widmen. Beim Durchblättern der von Puschnig vorgestellten „Kärntner Dokumentation“ (Hefte 35, 36, 37) springen Persönlichkeiten aus den Reihen der deutschen Minderheit als Autoren ins Auge: Daniel Zikeli, Erwin Josef Ţigla, Kilian Dörr oder Dr. Gerhild Rudolf, Leiterin des „Teutsch-Hauses“ in Hermannstadt, die ein Resümee ihres Beitrags „Kirche – Sprache – Heimat“ (Heft 37) über soziolinguistische Aspekte der Kommunikationsgemeinschaft der evangelischen Siebenbürger Sachsen vortrug. Darin geht es um die Wandlung der Kirchensprache im Laufe der Geschichte, ebenso um die Anpassung der Kirche an neue Gegebenheiten.

Eine humorvolle Führung durch die 1491 fertiggestellte Kirchenburg bot der Vorsitzende der Meschener Nachbarschaft, Hugo Schneider. Alleinstellungsmerkmale der Meschener Kirche seien die schrägen, gedrehten Säulen, die zusammen mit den Kontraforts an der Außenmauer statische Stabilität verleihen, aber auch das gotische Sakramentshäuschen des Hermannstädter Steinmetzes Andreas Lapicida, das wegen seiner Höhe vermuten lässt, dass es vielleicht gar nicht für diese Kirche gedacht war... Der 53 Meter hohe Kirchturm – höchster im ländlichen Bereich – zeugt von der Konkurrenz Meschens mit Mediasch und Birthälm. Und noch ein wichtiges Detail verriet Schneider: Der damalige Prinz von Wales, heute König Charles III., hatte vor Deutsch-Weißkirch 1998 bereits Meschen besucht! Die Führung endete mit dem Museum, eingerichtet vom Direktor der Schule, Ionel Sotropa, unter eifriger Mitwirkung der Schüler. Nach so viel Geschichte klang der erste Tag fröhlich bei Mici, Musik und Tanz im Kulturhaus mit der Gruppe „Trio Saxones“ aus.

Am nächsten Morgen war die Kirche zum Bersten gefüllt. Auf lehnenlosen Bänken – die Originale sind längst dem Holzwurm zum Opfer gefallen – saßen Seite an Seite heimgekommene Meschner, Besucher und Ehrengäste, Mitglieder der Tanz- und Bläsergruppen aus Birthälm, Schäßburg und Nordsiebenbürgen sowie ein paar äußerst prachtvoll gebockelte Frauen. Die Begrüßung gestaltete Pfarrer Ulf Ziegler, für musikalische Begleitung sorgten der Kirchenbezirk Birthälm und der Posaunenchor Schäßburg unter Leitung von Theo Halmen.

Die Predigt hielt Bischof Reinhart Guib, der 16 Jahre lang als Pfarrer in Mediasch wirkte und damit auch für die Kirche in Meschen zuständig war. Außerdem hat er seine Kindheit hier verbracht. Stephan Ludwig Roth wird zitiert: „Einst wird die Morgensonne auch über unseren Bergen scheinen, einst wird es auch bei uns tagen. Und wenn es Tag wird, da wird man sich erkennen. Beschämt werden manche der Erkennenden auseinanderfliehen, doch viele werden sich ins Angesicht schauen und sich erkennen und sich zu Rat und Tat die Hände reichen.“ Da also kommt es her, das Motto des Sachsentreffens! Und auch Charles habe bei seinem Besuch in Meschen den Spruch beherzigt und sich als beispielloser Förderer für Natur und Kirchenburgenlandschaft in Siebenbürgen erwiesen, so der Bischof.

Wichtig sei es, auch heute der Realität ins Auge zu schauen und nach ständiger Verbesserung zu streben. So sei, ebenfalls nach Roth, „die Schule die Kirche der Kleinen und die Kirche die Schule der Großen“. Doch wenn der Mensch sich von Gott distanziert und seinen Dienst für das Wohl der Gemeinschaft aufgibt, führt dies zu egozentrischen Zügen wie bei Putin oder Erdogan, die „ihre Völker knechten und für ihre Macht die Welt auf den Kopf stellen“, warnt Guib, der Flüchtlinge und Migranten in seine Fürbitte einschließt und endet: „So mögen wir uns zu Rat und Tat die Hände reichen – denn die Wirklichkeit von morgen liegt bei uns.“

Schon früh hatte der Himmel seine Schleusen geöffnet. Nun stürmten kleine Bläser, von Kopf bis Fuß in Zellophan gehüllt, tapfer in den Kirchhof. Für den Trachtenzug zum Kulturhaus und zurück hielt der strömende Regen kurz inne.

Kleine Gemeinschaft – großes Fest

„Das Sachsentreffen ist mehr als nur ein fröhliches Volksfest“, erinnert Martin Bottesch, Vorsitzender des Siebenbürgenforums, zu Beginn der nachmittäglichen Festreden. Der Abgeordnete der deutschen Minderheit, Ovidiu Ganţ, lobte die in dem kleinen Ort sicher schwer gefallene Organisation und betonte, dass „auch eine kleine Gemeinschaft ein großes Fest“ ausrichten kann. Die deutsche Konsulin aus Hermannstadt, Kerstin Jahn, zeigte sich fasziniert von der Kirchenburg, überall habe sie nach Zeichen von Andreas Lapicida gesucht. Was die Kirchenburg als Zeitzeugin erzählen würde? „Vom Gehen und Kommen, Wiederkommen und Verlassensein – auf jeden Fall aber Freundschaftsgeschichten“, schloss sie den Bogen zum diesjährigen 30. Jubiläum des deutsch- rumänischen Freundschaftsvertrags.

Um Herausforderungen ging es Thomas Șindilariu, Unterstaatssekretär im Departement für Interethnische Beziehungen der rumänischen Regierung, die „in zunehmend kürzeren Abständen“ herniederprasseln: Kriege, Klimawandel, Inflation, Pandemie... Doch „unsere kleine Forums- und Kirchenwelt war schon immer in Gefahr“: osmanische Bedrohung, Habsburger, Erster und Zweiter Weltkrieg, Auswanderung. In den kollektiven Erfahrungen war man der Willkür schutzlos ausgeliefert – doch diesmal sei es anders, dank NATO und EU-Mitgliedschaft. Von Solidarität und dem Fortbestand der Demokratie hänge es nun ab, wie gegenwärtigen und kommende Krisen überwunden werden – und „dass wir uns neu erfinden in der Rolle der deutschen Minderheit“.

Der Bundesvorsitzende des Verbands der Siebenbürger Sachsen, Rainer Lehni, lobte die Initiative des Siebenbürgischen Kultursommers und erklärte, nach Corona gäbe es in allen Ländern jetzt wieder ein geregeltes Gemeinschaftsleben. Es folgten Grußworte des Bundesobmanns der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Konsulent Manfred Schuller, von Ilse Welther, Vorsitzende des HOG-Verbandes, und Hugo Schneider von der Meschner Nachbarschaft.

In die Welt von Stephan Ludwig Roth entführte der Historiker und Pfarrer Dr. András Bándi. „Wir kennen ihn als Opfer der Revolution von 1848-49, als Märtyrer des sächsischen Volkes und Freund der Rumänen“, auch als „Versöhner der Ethnien“. Doch sei Stephan Ludwig Roth tatsächlich eine „harte Nuss der heimischen Geschichte“, so könne man sein Leben und Wirken auch ganz anders interpretieren. Der Vortrag über den 1796 in Mediasch geborenen, 1834 zum ersten Prediger an der evangelischen Kirche in Mediasch berufenen Stephan Ludwig Roth, 1837 in Nimesch und 1847 in Meschen zum Pfarrer gewählt, sei ein Versuch, diesen nach 200 Jahren „zu entmythisieren“, erklärt Bándi. Eine Zusammenfassung der überaus komplexen Betrachtung übersteigt diesen Rahmen; statt dessen eine knappe Einordnung: Roth hatte sich den Magyarisierungstendenzen gegen anderssprachige Landesbewohner in Ungarn und Siebenbürgen, damals habsburgisches Kronland, vehement widersetzt und blieb während der Revolutionswirren von 1848 kaisertreu. Nachdem die ungarische Armee 1849 den Sieg gegen die Kaiserlichen errungen hatte und in Mediasch einzog, wurde er in Meschen verhaftet und in Klausenburg zum Tode verurteilt.

Hannelore Baier wurde mit der Honterus-Medaille ...
Hannelore Baier wurde mit der Honterus-Medaille geehrt, auf dem Bild mit Bischof Reinhart Guib und dem Vorsitzenden des Siebenbürgenforums Martin Bottesch.

Gründliche Forscherin geehrt

Die Honterusmedaille des DFDS und der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien wurde an Hannelore Baier verliehen. Die Laudatio hielt Dr. Gerhild Rudolf. Hannelore Baier wuchs in einer stark mit der Heimat verwurzelten Familie in Schäßburg auf, für die Auswanderung keine Option war, hob diese an. Dafür befasste sich die studierte Psychologin, die bald zu Journalistik und Geschichtsforschung wechselte, wissenschaftlich umso intensiver mit dem Thema. Nach beruflichen Stationen als Korrespondentin des Neuen Weg, Geschäftsführerin des DFDR und von 2006 bis heute Pressereferentin des Landesforums, nach wissenschaftlichen Tätigkeiten in der Rumänischen Akademie in Hermannstadt und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bukarest und journalistischen in der Hermannstädter ADZ-Redaktion, erreichte sie vor allem mit ihren Publikationen über die Geschichte der deutschen Minderheit und der evangelischen Kirche in Rumänien höchste Anerkennung. Mit akribischer Archivforschung im Hintergrund stürzte sie sich auf „schmerzhafte Themen“ wie Deportation, Exodus und Repressalien im Kommunismus. Oft habe sie selbst gar nicht gewusst, worauf sie sich einließ, gestand Baier, doch nur so könne man „die Gegenwart verstehen und daraus lernen“. Als bahnbrechende Werke nannte Rudolf die Titel „Kauf von Freiheit“ (2013), mit Interviews mit der Schlüsselfigur Dr. Heinz-Günther Hüsch, dem Unterhändler der BRD mit der rumänischen Regierung zum Freikauf der Deutschen, oder das jüngste veröffentlichte Werk „Überwachung und Infiltration. Die evangelische Kirche in Rumänien unter kommunistischer Herrschaft (1945-1969)“. Die von Hannelore Baier geleistete Aufarbeitung der Geschichte der deutschen Minderheit in der Nachkriegszeit, „akribisch, fundiert und klar“, ist nicht nur für die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft von unschätzbarem Wert. Geschichte ist eben doch nicht „nur ein Hobby“, wie die Geehrte bescheiden abwehrt.

Mit dem Lustspiel „Bezuolt“ der Siebenbürgischen Theatergruppe Landshut klingt das Sachsentreffen fröhlich aus. Meschen fällt zurück in den Dornröschenschlaf, als evangelisches Dorf ein „verlöschendes Licht“ – vielleicht. Doch der Funke, der es zwei Tage lang aufleben ließ, wird in der Erinnerung lange weiterglühen.

Nina May

Schlagwörter: Sachsentreffen, Meschen, Stephan Ludwig Roth, Reinhart Guib

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